Die junge englische Aristokratin Lady Mary Isabel Portman hätte sich damals, als sie noch vor dem Ersten Weltkrieg nahe Garmisch-Partenkirchen ein Alpendomizil im Arts-and-Crafts-Stil errichten liess, wohl nie träumen lassen, dass aus ihrer Traumresidenz hundert Jahre später ein stilvolles Traumhotel werden würde.

Das historische, 1915 fertiggestellte Hauptgebäude des Kranzbach, ehemaliger Alpensitz der jungen englischen Aristokratin Lady Mary Portman am Fuss der Zugspitze, besticht durch Arts-and-Crafts-Elemente wie Staffelgiebel

Stille mit Stil | Aktuelles

Das historische, 1915 fertiggestellte Hauptgebäude des Kranzbach, ehemaliger Alpensitz der jungen englischen Aristokratin Lady Mary Portman am Fuss der Zugspitze, besticht durch Arts-and-Crafts-Elemente wie Staffelgiebel

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„Es gibt dann in der Fremde einen Fleck / Der immer England ist“, schrieb der Dichter Rupert Brooke. Obwohl die kleine Inselnation über ein koloniales Weltreich herrschte, blieb ihr kulturelles und politisches Verhältnis zum europäischen Kontinent gestört. Man denke nur an das leidige Thema der EU-Mitgliedschaft, die noch nach 40 Jahren nicht als selbstverständlich hingenommen wird, oder die notorische Vernachlässigung des Fremdsprachenunterrichts (ich als patriotischer Brite darf das wohl sagen.)

Da wir von englischen Flecken reden – es gibt da einen in der Alpenlandschaft von Garmisch-Partenkirchen, am Fuss der Zugspitze, der ewig uns gehört. Diese Kolonie auf deutschem Boden verdanken wir dem Ehrgeiz einer jungen Dame namens Mary Portman, die mit vollem Namen The Honourable Mary Isabel Portman hiess, ihres Zeichens Tochter eines gewissen Henry Berkley Portman, 2nd Viscount Portman, dem ein ansehnliches Stück der Londoner City gehörte. Die noch unverheiratete Lady wusste was sie wollte, was in ihrer Generation durchaus nicht selbstverständlich war, und da es ihr auch an Geld nicht mangelte, erwarb sie anno 1913 kurzerhand ein Grundstück in Garmisch. Kurz darauf wurden die britischen Architekten Detmar Blow und Fernand Billerey mit der Planung des Alpendomizils betraut.

Jedes der 31 Zimmer im Haupthaus wurde individuell für Gäste eingerichtet, die eine Weile aus dem Alltagstrott aussteigen möchten. Hier zu sehen die Junior Suite im historischen Mary Portman House

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Jedes der 31 Zimmer im Haupthaus wurde individuell für Gäste eingerichtet, die eine Weile aus dem Alltagstrott aussteigen möchten. Hier zu sehen die Junior Suite im historischen Mary Portman House

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Wie zu erwarten, schöpfte das von Blow & Billerey entworfene Herrenhaus mit seinen markanten Staffelgiebeln und seinen verspielten Kaminen und Vertäfelungen aus dem Vokabular eines ur-englischen Stils, der Kunst- und Reformbewegung Arts and Crafts. Blow, ein Zeitgenosse des grossen britischen Architekten Edwin Lutyens, war in jungen Jahren ein Schützling von John Ruskin gewesen, des einflussreichen Kunsthistorikers und Sozialphilosophen des 19. Jahrhunderts, dessen Ideen viele führende Arts-and-Crafts-Vertreter wie William Morris oder Charles Robert Ashbee nachhaltig prägten. Das bayerische Bauprojekt – 1915 vollendet, inklusive eines vertäfelten Konzertsaals – orientiert sich an den schlossartigen Landsitzen der britischen Aristokratie in Schottland und auch Irland, nicht ohne sich zugleich dem häuslichen Massstab verpflichtet zu fühlen, den das Arts and Crafts als idealen Rahmen für seinen Gestaltungswillen begriff. Kurz gesagt: eine Harmonie von Grandeur und Wohnlichkeit.

Die britische Designerin Ilse Crawford, bekannt für Interieurs, die Menschen in Einklang mit sich selbst bringen, erhielt bei der Gestaltung des historischen Hauptgebäudes freie Hand

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Die britische Designerin Ilse Crawford, bekannt für Interieurs, die Menschen in Einklang mit sich selbst bringen, erhielt bei der Gestaltung des historischen Hauptgebäudes freie Hand

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Die Zeiten haben sich geändert. Man muss heute nicht blaublütig sein, um diese Harmonie im grossen Stil zu erleben. Denn Marys Architekturjuwel (das sie leider nie im fertigen Zustand sah, da der Erste Weltkrieg keine Reisen auf den Kontinent zuliess) wurde zu unserem Glück 2003 von seinen gegenwärtigen Eigentümern erworben, die seine einzigartigen Möglichkeiten erkannten und beschlossen, es als Hotel der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Über die Jahrzehnte hatte „Schloss Kranzbach“ als Quartier für die Olympischen Winterspiele 1936, als Unterschlupf evakuierter Kinder im Zweiten Weltkrieg, nach Kriegsende als Sanatorium für Offiziere der US-Armee sowie in jüngerer Zeit als Ferienheim der evangelischen Kirche gedient. Die Innsbrucker Architekten David Edinger, Thomas Fischbach, Martin Aufschnaiter und Heinz Pedrini erhielten nun den Auftrag, das hundert Jahre alte Gebäude mitsamt dem 13 Hektar grossen Areal mit grösstmöglicher Rücksicht auf die historische Substanz in ein Viersterne-Wellnesshotel umzuwandeln. Inspirierend wirkte natürlich das landschaftliche Panorama, das dem Gast bereits beim ersten Anblick die Gewissheit gibt, dass er sich hier nach allen Regeln der Kunst erholen wird. Der Besitzer Dr. Jakob Edinger versichert: „Die absolute Ruhelage im Bergtal, 1000 Meter über dem Meeresspiegel, garantiert unseren Gästen eine unvergessliche Auszeit weitab vom Trubel des Massentourismus.“

Komfort, Stille und Spitzendesign erwarten alle, die sich in die abgeschiedene Bergwelt des Kranzbach begeben. Hier zu sehen eine Junior Suite und ein Einzelzimmer

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Komfort, Stille und Spitzendesign erwarten alle, die sich in die abgeschiedene Bergwelt des Kranzbach begeben. Hier zu sehen eine Junior Suite und ein Einzelzimmer

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Wer sich heute im Kranzbach vom Alltagsstress erholt, ahnt nichts von der hektischen Betriebsamkeit, die nötig war, um den Ort in eine preisgekrönte Wellnessoase für Anspruchsvolle zu verwandeln. Das historische Hauptgebäude beherbergt heute 31 Privatzimmer, sechs Salons, zwei neue Treppenaufgänge und einen Aufzug. Doch das ist nur der Anfang. Zusätzlich dazu wurde ein komplett neuer Gartenflügel für weitere Zimmer und ein Badehaus mit Pools und Wellnessbereich errichtet. Keine geringe Leistung, wenn man die schwierigen Baubedingungen bedenkt.

Seherlebnisse für die Seele – typisch Kranzbach. Oben: Blick vom Hauptgebäude auf das Gipfelpanorama; unten: Aussicht vom Restaurant

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Seherlebnisse für die Seele – typisch Kranzbach. Oben: Blick vom Hauptgebäude auf das Gipfelpanorama; unten: Aussicht vom Restaurant

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Da Mary Portmans Traumresidenz unter Denkmalschutz steht, durfte keine der Erweiterungen die Hauptblickachsen auf das Haus beeinträchtigen – und das ist gut so, denn eine Ansicht, wie sie Das Kranzbach bietet, ist in der Tat unersetzlich. Zum anderen stellte sich die Frage, ob eine derart eigenständige Architektur überhaupt eine formal und materiell passende Ergänzung zulässt. Die Lösung? Kontrast und Diskretion. Sowohl der Gartenflügel als auch das Badehaus unterlassen alle historisierenden Gesten und geben sich zeitgemäss. Die grosszügige Verwendung von Lärchenholz, Glas und Naturstein sorgt für ein ansprechendes, entgegenkommendes Ambiente. Glücklich gewählt ist die Lage des Gartenflügels in einem bestehenden Hang, sodass das 3500 m2 grosse Badehaus anschliessen kann. Fünf Pools innen und aussen sowie acht Saunen und Dampfbäder bilden einen Jungbrunnen, der ebenso erfrischt wie das Quellwasser aus den umliegenden Bergen und der traumhafte Ausblick auf die Zugspitze, den Wetterstein und andere schneegekrönte Gipfel.

Der Gartenflügel aus Lärchenholz und Glas sowie das angeschlossene Badehaus unterlassen alle historisierenden Gesten und bilden stattdessen einen warmen architektonischen Kontrapunkt zum Haus Mary Portmans

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Der Gartenflügel aus Lärchenholz und Glas sowie das angeschlossene Badehaus unterlassen alle historisierenden Gesten und bilden stattdessen einen warmen architektonischen Kontrapunkt zum Haus Mary Portmans

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So perfekt wie draussen muss es auch drinnen sein. Als es um die Neugestaltung der Innenräume des Altbaus ging, lag es nahe, mit Ilse Crawford eine bekannte britische Designerin zu verpflichten – um, wie Edinger sich ausdrückt, „den originalen englischen Geist des Gebäudes stärker zur Geltung zu bringen“. Crawford hatte bereits bei ähnlichen Projekten, etwa beim Umbau des Babington House in Somerset, ihre glückliche Hand bewiesen und besass darüber hinaus als Gründerin des Department of Man and Well-Being an der renommierten Design Academy Eindhoven ein differenziertes Verständnis dafür, wie die Umwelt unser Gefühl beeinflusst. „Innenräume reflektieren ... unsere innere Befindlichkeit, wie wir als Menschen leben“, erklärt sie. „Wir sind körperliche Wesen und Gebäude sind am Ende nichts als Gehäuse für unser Leben. Alle Erfahrung verinnerlicht sich durch den Körper.“

Acht Dampf- und Saunaräume und das Quellwasser aus den Bergen machen den Jungbrunnen Marke Kranzbach komplett

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Acht Dampf- und Saunaräume und das Quellwasser aus den Bergen machen den Jungbrunnen Marke Kranzbach komplett

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Crawford bedient sich einer fein abgestimmten Materialsprache, die grösstes Augenmerk auf die Aspekte Farbe und Komfort legt. Dieser Ansatz gefiel den Kranzbach-Eignern, die solch rückhaltloses Vertrauen in die Fähigkeiten der Britin hatten, dass sie ihr völlig freie Hand liessen. Das Resultat: Gästezimmer und Salons, deren entspannte und eklektische Inszenierung gar nicht erst versucht, dem Naturschauspiel draussen vor den grossen Fenstern die Show zu stehlen. Das Formale und Historische der Möbel und Leuchten wird durch Farbe und Textur zu einer Einheit verwoben, die visuell spannend bleibt, sich gut anfühlt und nie forciert wirkt. Crawford spannt einen kunstgewerblichen Bogen von einhundert Jahren, der, wie sie selbst sagt, Anregungen des Ästhetizismus übernimmt. Wiener Stühle, Windsor-Stühle und breite Ohrensessel treffen auf modernistische Möbel von Designern wie Charlotte Perriand oder Eileen Gray und auf Nachkriegs-Reminiszenzen wie Hängeleuchten von George Nelson und Sitzmöbel von Pierre Paulin und Arne Jacobsen. Das gesamte Ensemble strahlt eine behagliche Atmosphäre aus, ohne in schrille Register abzugleiten.

Denn darum geht es dem Kranzbach. Nicht um Modeneuheiten, die morgen schon wieder vergessen sind, sondern um reale, bleibende Werte, um eine Art der Gastfreundschaft, die durch die Schönheit der natürlichen und der gestalteten Umgebung, durch Ruhe und Komfort den Menschen wieder in Einklang mit sich selbst bringt, bis er ganz vergisst, aufs Handy zu schauen. Seele statt Oberfläche. Wer einmal kommt, wird in seinem Herzen einen Winkel entdecken, der immer Kranzbach ist.

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