Fliesen sind als Aussenverkleidung aktuell im Trend. Kein Wunder also, dass sie nun auch die Innenarchitektur erobern. Macht ja schliesslich auch Sinn, denn die sinnlichen Qualitäten glasierter Keramikfliesen sprechen an – ihr klarer Glanz ebenso wie die dekorative Wirkung ihrer Muster.

Das raffinierte 3-D-Wandrelief von Giles Miller für das Restaurant Sukhothai stellt riesige Lotusblumen dar

Kühler Glanz für coole Räume | Aktuelles

Das raffinierte 3-D-Wandrelief von Giles Miller für das Restaurant Sukhothai stellt riesige Lotusblumen dar

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Miller kombinierte Keramikfliesen mit Nussholz-Elementen, um eine glänzend und matt schimmernde Oberfläche zu erzeugen

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Miller kombinierte Keramikfliesen mit Nussholz-Elementen, um eine glänzend und matt schimmernde Oberfläche zu erzeugen

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„Sie kommen in vielen schönen Farben und Texturen und sind praktisch und unverwüstlich. Einmal drüberwischen und fertig, alles ist sauber“, resümiert der Londoner Designer Giles Miller, der Fliesen in innovativen Raumkonzepten einsetzt. „Keramikfiesen sind ausserordentlich attraktiv, sowohl für den Innenarchitekten als auch für den Kunden.“ Da sie aus Wasser und biologisch abbaubarem Ton bestehen, sind Keramikfliesen relativ nachhaltig. Früher wurden sie meist doppelt gebrannt, heute überwiegen umweltfreundliche einfach gebrannte Produkte.

Keramikfliesen erleben zurzeit eine Renaissance. Immer mehr Designer schätzen sie wegen ihrer chromatischen und dekorativen Eigenschaften. Dazu zählen Millers britische Kollegen Afroditi Krassa, Ptolemy Mann und David David. Die beiden Letzteren arbeiten mit der englischen Firma Johnson Tiles. Mann entwarf ein Fliesenwandbild, das er im vergangenen Mai im Rahmen des Clerkenwell Design Festival in London präsentierte. David liess sich für zwei Wandgestaltungen, die während des jüngsten London Design Festival im Victoria and Albert Museum zu sehen waren, von den geometrischen Mustern islamischer Fliesen inspirieren. Krassa startete unlängst ihre eigene vom Art déco angeregte Kollektion Piano Tiles mit schwarzen und weissen Streifen unterschiedlicher Breite. Diese Stücke sind nicht aus Keramik, sondern aus Zement gefertigt, liefern aber trotzdem ein Beispiel mehr für die steigende Beliebtheit von Fliesen im Innendekor.

Gundry & Ducker wählten für die Fassade und die Innenräume der Londoner Pizza-Bar Voodoo Ray’s markante bonbonfarbene Fliesen, die sich sich an Stilmustern der 1950er- und 1980er-Jahre orientieren

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Gundry & Ducker wählten für die Fassade und die Innenräume der Londoner Pizza-Bar Voodoo Ray’s markante bonbonfarbene Fliesen, die sich sich an Stilmustern der 1950er- und 1980er-Jahre orientieren

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Oben: Geometrische Farbblöcke zitieren die 1950er-Ästhetik der 1980er-Designergruppe Memphis. Unten: Sogar eine Sitzbank ist verfliest

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Oben: Geometrische Farbblöcke zitieren die 1950er-Ästhetik der 1980er-Designergruppe Memphis. Unten: Sogar eine Sitzbank ist verfliest

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Während der 100% Design im Rahmen des London Design Festival stellte Philippe Starck die Kollektion Flexible Architecture vor. Die für Capitol Designer Studio entworfenen und von Ceramica Sant’Agostino hergestellten Keramikfliesen können homogen alle Wand- und Bodenflächen bedecken und eignen sich dank ihrer kräftigen Töne wie Hellgelb oder Orangerot hervorragend für Farbakzente. Ein originelles Detail sind die rauen Ränder in passenden Farben, die aussehen wie Fugenkitt.

Ein weiteres Kriterium, das für Keramikfliesen spricht, ist ihre Assoziation mit alten Handwerkstraditionen, die ihnen ein romantisches Flair verleiht und sie als Gegenpol zu unserer übertechnologisierten Umwelt prädestiniert. Die ältesten Funde von Glasursteinen stammen aus der Zeit um 575 v. Chr. Eine besondere Blüte erlebten sie im Persien des 10. Jahrhunderts unter anderem deshalb, weil sie als Mosaiksteine für Rundformen wie den Dom von Moscheen verwendet werden konnten. Im Barock ab dem 16. Jahrhundert fanden Keramikfliesen unter der Bezeichnung Azulejos weite Verbreitung in Spanien und Portugal. Niederländische Manufakturen begannen zur selben Zeit mit der Herstellung von Delfter Fayencen. Auf vielen dieser Kacheln waren groteske Fabelwesen abgebildet. Ähnlich skurril waren einzelne Entwürfe des Arts and Crafts Movement im 19. Jahrhundert, das gleichfalls islamische Muster aufgriff.

Die Aussen- und Innenflächen des japanischen Schönheitssalons Granny.F sind mit Fliesen in bunt gemischten Ziegelmustern belebt

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Die Aussen- und Innenflächen des japanischen Schönheitssalons Granny.F sind mit Fliesen in bunt gemischten Ziegelmustern belebt

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Ein Architekt, der Fliesen aufgrund ihrer historischen Aura nutzt, ist Rem Koolhaas, dessen Office for Metropolitan Architecture (OMA) die Konzerthalle Casa da Musica in Porto (2005) mit handbemalten blauen Fayencen ausstattete. Diese Verneigung vor der Handwerkstradition Portugals bindet den Bau zudem fester in sein Umfeld ein.

Neueren Datums ist die Pizza-Bar Voodoo Ray’s im schicken Londoner Viertel Dalston, entworfen von Gundry & Ducker, die innen und aussen ein auffälliges Kleid aus quadratischen Fliesen in Grund- und Pastellfarben trägt. Ebenso verfliest sind die Esstheken und eine Bank. „Wir orientierten uns an New Yorker und East Londoner Modellen aus den 1950er- und 1980er-Jahren“, erläutern die Architekten. Die Ästhetik des Lokals knüpft an das derzeitige Revival der Mailänder Designergruppe Memphis an, die in den 1980er-Jahren Anleihen bei den klassischen amerikanischen Diners der 1950er-Jahre mit ihrer typisch kitschigen bonbonfarbenen Resopal-Ausstattung nahm. Wie Voodoo Ray’s beweist, evozieren Fliesen nicht nur die ferne Vergangenheit, sondern auch Stile des 20. Jahrhunderts wie Pop und Postmoderne.

Der japanische Architekt Hiroyuki Miyake wählte Keramikfliesen für die Innen- und Aussenflächen seines markanten Schönheitssalons Granny.F in Toyokawa. Weit entfernt vom Farbenzauber, den Voodoo Ray’s entfaltet, stimmen die Ziegelmuster von Granny.F eher dezente Töne an. Die neutrale Palette aus Schokoladebraun, Terrakotta und Beige erzeugt genau die Atmosphäre, in der sich Kunden gerne verwöhnen lassen.

Wie unter Wasser: Die Berliner Filiale der Kosmetikmarke Aesop, entworfen von Weiss-heiten, taucht Kunden in grünes Fliesendekor

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Wie unter Wasser: Die Berliner Filiale der Kosmetikmarke Aesop, entworfen von Weiss-heiten, taucht Kunden in grünes Fliesendekor

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Oben und unten: Nicht nur die Fliesen, auch die 1950er-Möblierung, ein restauriertes Spülbecken aus derselben Ära und Farntöpfe verbreiten Retro-Charme

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Oben und unten: Nicht nur die Fliesen, auch die 1950er-Möblierung, ein restauriertes Spülbecken aus derselben Ära und Farntöpfe verbreiten Retro-Charme

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Kacheln in einer anderen wohltuenden Farbe, Farngrün, prägen die beiden neu eröffneten Filialen der australischen Kosmetikmarke Aesop in Berlin und im Londoner Covent Garden, entworfen vom deutschen Büro Weiss-heiten beziehungsweise vom französischen Büro Ciguë. In Berlin schaffen die verfliesten Wände, Böden und Einbauten ein einheitliches Raumerlebnis, als würde man in eine grüne Lagune tauchen. Das Fliesenmaterial beider Standorte vermittelt einen ins vergangene Jahrhundert zurückblickenden Retro-Charme, verstärkt durch Kupferrohre aus den 1920er-Jahren und restaurierte Spülbecken aus den 1950er-Jahren – eine Anspielung auf die frühere Nutzung des Berliner Gebäudes als Molkerei.

Auch die drei verfliesten Wände des Sukhothai Restaurant in Leeds erzeugen Atmosphäre. Nur griff ihr Gestalter Giles Miller zu drastischeren Mitteln als die Innenarchitekten der Aesop-Läden: Sein plastischer 3-D-Entwurf kontrastiert sechseckige, goldene Hochglanzkacheln mit matten Elementen aus Walnuss, die in verschiedenen Winkeln angeordnet sind. Das entstehende Licht- und Schattenspiel fügt sich zum Relief riesiger Lotusblüten.

Die Fenster der Pariser Boutique sind mit weissen Fliesengittern verkleidet, die Licht einlassen und das Design der Verkaufsräume ankündigen

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Die Fenster der Pariser Boutique sind mit weissen Fliesengittern verkleidet, die Licht einlassen und das Design der Verkaufsräume ankündigen

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Oben: Fliesen sollen zumeist Farben und Muster in den Innenraum bringen, doch Kengo Kuma & Associates entschieden sich für minimalistisches Weiss. Unten: Die glänzenden Fliesen schaffen eine strahlende Raumwirkung

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Oben: Fliesen sollen zumeist Farben und Muster in den Innenraum bringen, doch Kengo Kuma & Associates entschieden sich für minimalistisches Weiss. Unten: Die glänzenden Fliesen schaffen eine strahlende Raumwirkung

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Einen anderen Ansatz verfolgten Kengo Kuma & Associates für die mondäne Pariser Boutique der chinesischen Luxusmarke Shang Xia. Die weiss-glänzende Keramik ist so hauchdünn gehalten, dass sie milchig schimmert. Ihre reliefartigen Ziegelmuster an den Wänden und Decken des Geschäfts reflektieren das Licht und schaffen ein ätherisches Ambiente. Der Verkaufsraum bleibt dank der halbtransparenten Gitterstrukturen in den Fenstern gut ausgeleuchtet.

Die Farbtöne der Fliesen, handglasiert von der Keramikerin Lubna Chowdhary, machen Appetit auf die Eissorten der Londoner Gelateria Olivogelo

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Die Farbtöne der Fliesen, handglasiert von der Keramikerin Lubna Chowdhary, machen Appetit auf die Eissorten der Londoner Gelateria Olivogelo

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Chowdharys Fliesen sind voll versteckter Hinweise: Ihre Form imitiert die Kontur der Löffel, die an den Deckeln der Eisbecher befestigt sind

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Chowdharys Fliesen sind voll versteckter Hinweise: Ihre Form imitiert die Kontur der Löffel, die an den Deckeln der Eisbecher befestigt sind

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Hand- und massgefertigte weisse Fliesen, umrandet von delikaten Pastelltönen, bringen eine luftige Frische in die Londoner Eisdiele Olivogelo. Das Konzept stammt von Andy Martin Architects, die Kacheln kommen aus der Werkstatt der Keramikkünstlerin Lubna Chowdhary. „Andy Martin Architects wollte, dass der Look der Fliesen den Eiscremesorten entspricht. Ich habe in enger Zusammenarbeit mit Olivogelo Glasuren entwickelt, die mit den Geschmacksrichtungen harmonieren: Heidelbeere, Limette, Zitrone“, erklärt Chowdhary. „Die Glasuren mussten aussehen wie schmelzendes Eis und die runden Ränder der Fliesen imitieren die Form der Löffel, die an den Deckeln der Becher befestigt sind.“

Wie man sieht, bieten Fliesen unerschöpflichen Raum für Innovationen und Experimente. Dies wird sicherlich auch die Cersaie Bologna, die internationale Fachausstellung für Keramikfliesen und Badezimmerausstattung (22. bis 26. September), bestätigen. Angesichts der steigenden Nachfrage nach Keramikfliesen könnte der Termin der Messe nicht besser gewählt sein.

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