Im Zeitalter omnipräsenter Multiplexkinos schreiben einige neuere Kinoprojekte ihr eigenes architektonisches Drehbuch. Gegen den Mainstream, für die Kreativität.

Scott Whitby Studios Caution Cinema ist in einem unscheinbaren Schiffscontainer untergebracht, der es in sich hat: 1.000 Schaum-Pyramiden in kobaltblau, pink und schwarz kleiden den Raum aus. Foto: Osman Marfo-Gyasi

Film ab: Die neue Kinoarchitektur | Aktuelles

Scott Whitby Studios Caution Cinema ist in einem unscheinbaren Schiffscontainer untergebracht, der es in sich hat: 1.000 Schaum-Pyramiden in kobaltblau, pink und schwarz kleiden den Raum aus. Foto: Osman Marfo-Gyasi

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Verglichen mit den glamourösen Palästen früherer Zeiten, die die Aufregung, einen Film zu sehen noch steigerten (man denke an die Beaux-Arts-Architektur der Edwardianischen Ära oder an die Art-Deco-Pracht der Odeons der Dreissigerjahre), waren die Multiplex-Kinos, die seit den 1960ern wie Pilze aus dem Boden schossen seelenlose Strukturen. Aber die Sanierung unzähliger independent Filmhäuser seit den 90ern – ein Klassiker ist das Londoner Electric – hat die zeitgenössische Kinoarchitektur zu einer neuen Blüte getrieben.

Während sich die früheren Kinos stark an der Mode ihrer jeweiligen Zeit orientierten verfolgen die heutigen Architekten mit ihren Entwürfen zunehmend experimentelle Ansätze. Ein besonders spannendes Beispiel ist Snøhettas Erweiterung des norwegischen Lillehammer Art Museum und Lillehammer Cinema, das ursprünglich 1964 von Erling Viksjø entworfen wurde. Der Komplex verfügt jetzt über eine neue, auskragende Edelstahlfassade und wirkt damit ein bisschen wie ein Gebäude, das von Verpackungskünstler Christo eingewickelt wurde. Die von dem verstorbenen Künstler Bård Breivik entworfene Fassade krönt eine Glasfront im Erdgeschoss.

Snøhettas Erweiterung des Lillehammer Art Museum und Kino mit poliertem Edelstahlkubus, den der verstorbene norwegische Künstler Bård Breivik entworfen hat. Das Projekt umfasst zwei Kinos sowie eine Galerie. Fotos: Mark Syke

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Snøhettas Erweiterung des Lillehammer Art Museum und Kino mit poliertem Edelstahlkubus, den der verstorbene norwegische Künstler Bård Breivik entworfen hat. Das Projekt umfasst zwei Kinos sowie eine Galerie. Fotos: Mark Syke

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Bereits im Jahr 1994 hatte Snøhetta eine Erweiterung für das Gebäude geschaffen. Die neue, vor kurzem fertiggestellte Erweiterung grenzt daran an und beherbergt zwei neue Kinos und zusätzlichen Galerieraum. Die Herausforderung für Snøhetta war, diese disparaten Elemente und einen Garten zwischen den Gebäuden (auch von Breivik geschaffen) zu verbinden. Erreicht wurde das unter anderem durch die Renovierung der Zirkulationsbereiche.

Der Picture Palace in Galway kontrastiert alte und neue Architektur. Besucher gehen durch ein altes georgianisches Geschäftshaus zum dahinterliegenden Kino in einem neuen Betongebäude. Fotos: Anna Hofheinz (1,3), Peter Maybury (2)

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Der Picture Palace in Galway kontrastiert alte und neue Architektur. Besucher gehen durch ein altes georgianisches Geschäftshaus zum dahinterliegenden Kino in einem neuen Betongebäude. Fotos: Anna Hofheinz (1,3), Peter Maybury (2)

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Eine faszinierende neue Fassade ist auch die Hauptattraktion des Picture Palace Galway in Irland, auch wenn sie vergleichsweise streng, fast schon bunkerähnlich anmutet. Das von dePaor Architects entworfene Projekt vermischt alte und neue Elemente: Der Eingang zum Kino führt durch ein altes georgianisches Kaufmannshaus, das jetzt das Foyer und den Kartenverkauf beherbergt. Letzterer führt zu einem Teeraum, dann zu einer Bar im ersten Stock und zwei Kinos in der zweiten und dritten Etage. Das mit 276 Sitzen grösste Kino befindet sich im Keller.

Die brutalistische Ästhetik der Betonfassade wird durch scheinbar planlos verteilte Fenster gemildert und der Name des Projekts in Englisch und Gälisch ("Palace" und "Palas") aus der Fassade herausgestanzt. Im Inneren herrschen wärmere Materialien vor wie Plüsch und rote Stoffe im Kino und Holz an der Bar.

Das Caution Cinema zeigt Filme, die den britischen Hafenarbeitern potenziell lebensrettende Sicherheitsmassnahmen näherbringen sollen. Die schaumverkleideten Wände dienen als Schallisolierung. Fotos: Osman Marfo-Gyasi

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Das Caution Cinema zeigt Filme, die den britischen Hafenarbeitern potenziell lebensrettende Sicherheitsmassnahmen näherbringen sollen. Die schaumverkleideten Wände dienen als Schallisolierung. Fotos: Osman Marfo-Gyasi

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Scott Whitby Studios Caution Cinema wirkt von aussen gesehen sehr viel utilitaristischer. Im Inneren des in einem Schiffscontainer untergebrachten mobilen Kinoraumes erlernen britische Hafenarbeiter lebensrettende Gesundheits- und Sicherheitsmassnahmen. Er ist komplett gefüttert mit insgesamt 1.000 Schaumpyramiden in blau und fuchsia, was an die futuristischen Interieurs des dänischen Designers Verner Panton erinnert. Die stacheligen Schaumwände erzeugen eine überraschend angenehme Umgebung und schallisolieren den Raum.

In Jonathan Dunn Architects The Kino werden die kontrastierenden Stile des alten viktorianischen Gebäudeteils und seiner modernen Erweiterung durch die Verwendung traditioneller Materialien harmonisiert. Fotos: Oliver Perrot

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In Jonathan Dunn Architects The Kino werden die kontrastierenden Stile des alten viktorianischen Gebäudeteils und seiner modernen Erweiterung durch die Verwendung traditioneller Materialien harmonisiert. Fotos: Oliver Perrot

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Noch dezenter hinsichtlich seiner äusseren Erscheinung ist Jonathan Dunn Architects Umwandlung einer viktorianischen Schule in Rye, Grossbritannien, in ein Zweisaal-Kino und Kunstzentrum mit dem Namen The Kino. Die Architekten haben in rotes Zedernholz verkleidete Erweiterungen hinzugefügt, die die beiden Säle verbinden und perfekt mit dem bestehenden Gebäude harmonieren. Ein Giebeldach erinnert an die ehemalige Schule und der warme Ton des Zedernholzes ist den roten Ziegeln des viktiorianischen Gebäudes nicht unähnlich.

Das recht feine architektonische Eingreifen von Jonathan Dunn Architects erweitert das Repertoire der Kinoarchitektur und zeigt eindrücklich, dass Understatement ebenso anziehend sein kann, wie die protzigen Stile der alten Filmhäuser.

© Architonic

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