(Article available in German only) Im zweiten Teil des Berichtes über die junge Architekturszene in São Paulo lernen Sie zwei weitere kollaborative Architekturbüros kennen, die nicht nur ihr eigenes Stadtbild auf sehr spezifische Weise prägen.

Vertical Itaim. © Pedro Vannucchi

São Paulo: Entwerfen in einer Stadt der Gegensätze (Teil II) | Nouveautés

Vertical Itaim. © Pedro Vannucchi

×

Mitten im chaotischen Zentrum von São Paulo liegt das Studio mk27, das in den frühen 1980er-Jahren von Marcio Kogan gegründet wurde. Heute besteht es aus 21 bürointernen und mehreren internationalen Partnern. Nebst unzähligen Entwürfen und Tätigkeiten im Lehrbereich repräsentierte das Studio Brasilien 2012 an der Biennale in Venedig.

Das Prinzip der Kollaboration ist für das Büro ausschlaggebend - sie verkörpert eine demokratische Arbeitsform, bei der jeder verantwortliche Architekt eines Projekts zusammen mit Marco Kogan jeweils Co-Autor ist. Dies soll auch die Arbeitsteilung minimieren: Der verantwortliche Architekt begleitet das Projekt vom ersten Kontakt mit dem Klienten bis hin zur Ausführung der Details. Den Anfangspunkt eines Entwurfs bilden stets eine Mischung von sozialen, klimatischen und topografischen Eigenschaften des Ortes wie auch die Wünsche und Anforderungen der Bauherren. «Mit je-dem Projekt wird eine neue Geschichte erzählt, die niemals der vorherigen entsprechen wird», erklärt Marcio Kogan. Ihre architektonischen Inspirationen seien vor allem Bauten von Affonso Eduardo Reidy, Lina Bo Bardi, Vilanova Artigas, Oscar Niemeyer und Lúcio Costa. Nebst der Reverenz an die moderne Architektur gehört die Multidisziplinarität zu de Kerneigenschaften des Studios. Typisch für seine Architektur sind klare Formen und raue Materialien.

Vertical Itaim. © Pedro Vannucchi

São Paulo: Entwerfen in einer Stadt der Gegensätze (Teil II) | Nouveautés

Vertical Itaim. © Pedro Vannucchi

×

Mit Vertical Itaim schafften Co-Autorin Carolina Castroviejo und Marcio Kogan 2014 zehn Wohnungen zu 144 m² inmitten von São Paulo. Anhand dieses Entwurfs lässt sich die Architektur des Studios gut illustrieren: Eine strukturelle Einfachheit liegt dem Gebäude inne, welche sich bis in die klaren Details bemerkbar macht. Durch das flexible Öffnen und Schliessen der Holzpaneele können sich die Benutzer den Raum frei aneignen. In Anlehnung an die arabischen «muxarabis», die während der Kolonialzeit nach Brasilien gebracht wurden, lassen die Paneele Wind passieren und schützen gleichzeitig vor zu starker Sonneneinstrahlung. Die horizontale Gliederung der dynamischen Fassade ist in Sichtbeton gehalten, wobei die Reverenz an die brutalistisch anmutenden Gebäude der Megacity spürbar wird.

Das Ramp House aus dem Jahr 2015 befindet sich in einer stillen Gartennachbarschaft von São Paulo. Die Co-Autoren sind Renata Furlanetto und Diana Radomysler, wobei die Letztere für das Interieur zuständig war, welches eine Kol-lektion afrikanischer Kunst beher-bergt. Auf Wunsch der Inhaber soll das Wohngebäude in Zukunft zur kulturellen Stiftung umfunktioniert werden, weshalb die Architektur massgeblich von der Kunst geprägt ist. Markantestes Merkmal ist die 25,5 m lange Rampe, die dem Be-obachter verschiedene Perspektiven eröffnet. Radikal ist auch die räumliche Kontinuität zwischen Innen und Aussen. Das liegende Volumen mit seinen tiefen Räumen zeigt gekonnt die Vorliebe des Büros für horizontale Proportionen.

Ramp House. © Fernando Guerra

São Paulo: Entwerfen in einer Stadt der Gegensätze (Teil II) | Nouveautés

Ramp House. © Fernando Guerra

×

Triptyque feiern dieses Jahr bereits ihr 16-Jahr-Jubiläum. Von Grégory Bousquet, Carolina Bueno, Guillaume Sibaud, Olivier Rafaelli ins Leben gerufen, konnte die Firma nebst dem Hauptsitz in São Paulo bereits einen zweiten Sitz in Paris aufbauen. Ihre kol-laborativen Projekte sind heute in der ganzen Welt anzutreffen – von Süd- und Nordamerika über Europa und Asien bis Ozeanien.

Sao Paulo stimuliere die Kreativität der Architekten besonders, weil die urbane Landschaft ständig in Bewegung und Entstehung sei. Die Gebäude von Triptyque möchten einerseits von der starken Energie eines aufstrebenden, weltweit bekannten Brasiliens profitieren und andererseits die historische Tradition der südamerikanischen Kultur einbinden. Das Büro konzipiert Entwürfe, die ihre Umgebung kulturell und poetisch zu integrieren vermögen; folglich gleichsam mit Kunst, Soziologie und Semantik interagieren. Durch diesen Mix entstehen lebendige Gebäude, die sich über Zeit verändern, indem sie sich der Umgebung und den Menschen, die sie erleben, anpassen. Zudem verkörpert das Entwickeln von Tools, die zu einer nachhaltigen Welt beitragen, einen wichtigen Faktor im Entwurfsprozess.

Harmonia 57. © Ricardo Bassetti

São Paulo: Entwerfen in einer Stadt der Gegensätze (Teil II) | Nouveautés

Harmonia 57. © Ricardo Bassetti

×

Harmonia 57 wurde 2008 fertig-gestellt und war damals eines der ersten bewusst nachhaltig geplanten Projekte in São Paulo. Es ist im Herzen einer Künstlernachbarschaft, und die kreative Umgebung trägt stark zur dynamischen Erscheinung der Gebäude bei. Ein auffälliges Wassersystem und eine lebendige Vegetation prägen die Aussenfassade, wobei der Innenraum im Kontrast dazu minimalistisch gehalten ist. Eine Metallbrücke und grosse Terrassen verbinden die beiden blockartigen Volumina, wobei die Öffnungen den Dialog zur Strasse suchen. Harmonia 57 bringt eine heterogene Ästhetik mit sich, deren Formen und Farben sich mit der Zeit ändern.

Für das Projekt «Marquise Minhocão» verfolgten Triptyque und der Landschaftsarchitekt Guil Blanche die Ambition, die brasilianische Kultur der Freude und des regen Austauschs in die graue Stadt der Verschmutzung und des Verkehrs hineinzubringen. Um die Situation rund um den problematischen Highway Minhocão – ein Emblem der Moderne – zu verbessern, erforschten die Architekten erstmals den Raum unter der Fahrbahn. Den dort gefundenen Leerraum teilten sie in Module auf, die mit verschiedenen Programmpunkten versehen wurden: Kultur, Service, Shops und Food. Um einen sozialen und kulturellen Treffpunkt zu ermöglichen, führten sie natürliches Licht, Farben, Vegetation und Bewegungsfreundlichkeit für Fahrradfahrer und Fussgänger ein. Zusätzlich planten sie ein natürliches Wassernutzungssystem, welches durch Verdampfen einen reinigenden Effekt auf die verschmutzte Luft hat und gleichzeitig die Oberfläche der «Marquise» sauber hält.

«Marquise Minhocão»

São Paulo: Entwerfen in einer Stadt der Gegensätze (Teil II) | Nouveautés

«Marquise Minhocão»

×

Text: Caroline Tanner

Profils liés