Furniture

FURNITURE DESIGN WEEK: "Das Zuhause wird auch in der post-pandemischen Zukunft ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt sein. WGSN-Prognoseexpertin Lisa White nimmt das Jahr 2030 ins Visier.

Que sera sera – was auch immer sein wird, wird sein. Nun, ja. Und nein. Trendprognosen, also die Idee, dass Unternehmen und Organisationen einen Blick in die Zukunft werfen und sie so mitgestalten, sind ein immer größeres Geschäft. Und es gibt keinen größeren Branchenakteur als WGSN.

Wie wird das Zuhause in zehn Jahren aussehen? Programmatisch, funktional, ästhetisch? Und welche Rolle werden Möbel dabei spielen? Architonic sprach mit der WGSN-Direktorin für Lifestyle & Interiors über ihre Sicht der Dinge.

Wie werden sich die eigenen vier Wände Ihrer Meinung nach in den nächsten zehn Jahren programmatisch weiterentwickeln? Welche Funktionen werden sie für ihre Bewohner/Nutzer übernehmen?

Das eigene Zuhause wird auch in der post-pandemischen Zukunft ein wichtiger Knotenpunkt sein. Da wir heute zu Hause wohnen, arbeiten, spielen, lernen und Sport treiben, sind Lifestyle und Inneneinrichtung zu einem regelrechten Ökosystem geworden. Dieses System verknüpft die verschiedenen Verhaltensweisen, die unsere Interaktionen mit Produkten und Dienstleistungen in Bereichen wie Technologie, Dekor, Mode, Essen und Beauty prägen.

Seit der Pandemie und den verschiedenen Lockdowns muss die eigene Wohnung einerseits flexibel sein, damit die Menschen all ihren Aktivitäten nachgehen können; sie muss aber andererseits auch behaglich sein, damit man sich in ihr sicher und geborgen fühlt. Künftige Entwicklungen sehen wir unter anderem in den folgenden Bereichen:

Das flexible Zuhause: Hierbei handelt es sich meist um ein Mehrgenerationenhaus mit einer kleineren Grundfläche als früher, daher muss es im Hinblick auf Räume und Produkte multifunktional sein. In Sachen Mobiliar sehen wir einen erhöhten Bedarf an modularen Möbeln wie Sofas, die je nach Bedarf leicht umgestaltet werden können. Wir sehen Schreibtische, die sich aus der Wand herausklappen lassen, Laptop-Halter, die auch als Couchtisch dienen können, Stühle, die das Arbeiten erleichtern, sich aber auch in die Inneneinrichtung einfügen, und vor allem Stauraum und Organisationssysteme, damit alle Geräte zum Lernen, Kochen, Arbeiten, Trainieren, Spielen usw. leicht zugänglich sind.

Das intelligente Zuhause: Das Smarthome ist intelligent mit der Aussenwelt sowie mit seinen Bewohnern und Ressourcen im Inneren vernetzt. Smarte Möbel werden hier von Bedeutung sein, z.B. immersive Gaming-Stühle oder Systeme, mit denen sich die Möbel im Raum per Knopfdruck von Schlaf- in Arbeitsmöbel oder Spielgeräte verwandeln lassen. Dabei sollte man beachten, dass smart und high-tech nicht kalt und glatt bedeutet – die “digital gemütliche” Ästhetik mit weichen Stoffen und haptischen Oberflächen ist auf dem Vormarsch.

Das nachhaltige Zuhause: Hier geht es darum, Ressourcen zu sparen und die Umwelt deutlich weniger zu belasten. Das funktioniert mit dem Smarthome, aber auch ohne Netz und Strom. Das Thema Nachhaltigkeit wird bald die breite Masse erreichen, und Verbraucher werden die Materialien ihrer Lebensweise kritisch unter die Lupe nehmen. Es wird eine Rückkehr zu natürlichen Materialien wie antibakteriellem Messing, erneuerbarem Kork oder wiederverwendbarem (und kohlenstoffnegativen) Holz geben sowie zu neuen recycelten Materialien wie hellen Terrazzos aus sichtbar recyceltem Material.

Das private Zuhause: Hier sehen wir das Ende des Lofts und den Aufstieg des Zimmers sowie spezieller Räume zum Arbeiten, Entspannen und um Kinder anderweitig zu beschäftigen. Wir sehen das “Cloffice”, bei dem Schränke zu Pop-Out-Büros umfunktioniert werden, sowie Schlafzimmer und Bäder mit fest verschliessbaren Türen – auch wenn das bedeutet, dass man sich in kleinen Räumen eine "Duchamp-artige-Tür" teilt. In offenen Räumen sorgen Raumteiler und Möbel wie Paravents, Bücherregale oder Pflanzenständer für einen Anschein von Privatsphäre.

Da die eigenen vier Wände gleichzeitig ein Refugium und ein geschützter Ort sind, an dem man sich ausdrücken kann (man denke ans Tiktoken aus dem Schlafzimmer), wird die Privatsphäre auch ein Aufruf zur Kreativität sein. Ein zukünftiger Luxus wird ein Hobbyraum sein, ob es nun ein Fitnessstudio, eine Bastel- bzw. Heimwerkerecke oder ein Gaming-Zimmer ist.

Verbraucher haben bereits grossen Einfallsreichtum bewiesen, als es um die Anpassung ihrer derzeitigen Innenräume an diese neuen Bedürfnisse ging. In Zukunft werden sie jedoch von Designern Räume und Orte erwarten, die diesen Lebensstilen entsprechen.

Welche Rolle werden Möbel bei dieser Entwicklung spielen? Wo werden Ihrer Meinung nach neue Möbeltypologien entstehen, alte verschwinden? Oder Hybride entstehen?

Verbraucher wünschen sich designorientierte Möbel, die sich harmonisch in die bestehende Einrichtung einfügen, sowie ergonomische Designs für maximalen Komfort. Stücke, die gut gestaltet und auf nachhaltigen Nutzen ausgelegt sind, werden als "künftige Erbstücke" gelten.

Verbraucher werden künftig in Produkte investieren, die das eigene Zuhause in einen wohligen, meditativen Zufluchtsort verwandeln, nachdem es tagsüber seine Aufgaben als Arbeitsplatz, Klassenzimmer und Fitnessstudio erledigt hat. Möbel werden zunehmend die Aufgabe haben, luxuriöse Räume wie von Hotels inspirierte Annehmlichkeiten nachzuahmen, während Märkte, die sich auf kältere Temperaturen einstellen, in Lösungen investieren sollten, die das Leben im Freien bis in die Wintermonate hinein ermöglichen.

Verbraucher wollen nicht nur designorientierte Möbel, sondern sie sind sich auch immer mehr des verschwenderischen Umgangs mit Ressourcen bewusst und wünschen sich Möbel, die die Zeit überdauern oder vielseitig einsetzbar sind.

Werden Design-Profis (Architekten, Innenarchitekten, Planern) Möbel Ihrer Ansicht nach anders in Wohn- oder anderen Projekten einsetzen? Welche Faktoren könnten deren Spezifikationsentscheidungen in Zukunft stärker beeinflussen?

Marken sollten modulare, multifunktionale und anpassungsfähige Lösungen auf den Markt bringen – von Gerätesystemen über Wohnungen bis hin zu Möbeln –, um flexibel zu bleiben. Vom Standpunkt der Nachhaltigkeit aus werden Marken zunehmend einen regenerativen Ansatz verfolgen: Ihr Ziel wird es sein, Gesellschaft und Umwelt zu verbessern, anstatt nur deren Auswirkungen abzufedern. Einrichtungsgegenstände, die nur digital existieren, könnten bis 2030 eine ebenso wichtige Einnahmequelle sein wie physische Produkte. Haushaltsartikel, die gemietet oder im Abonnement erworben werden können, tragen ausserdem zu einer Mentalität des leichteren und nachhaltigeren Lebens bei. Wo grosse Marken wie Muji, John Lewis und West Elm heute bereits Mietmöbel anbieten, werden die Sharing Economy im Allgemeinen und der Markt für Möbel und Accessoires, die man nicht besitzt, in den kommenden Jahren weiter wachsen.

Und denken Sie, dass Nutzer zu Hause eine andere Beziehung zu Möbeln haben werden? Wird es zum Beispiel weniger Konsum und mehr Anpassung geben? Eine stärkere Integration von Technologie? Mehr Haptik?

Objekte, die wir kaufen, müssen länger halten, einen höheren Wert bieten und grundsätzlich umweltverträglich sein, da der Klimawandel um uns herum fortschreitet. Sie müssen auch Freude bereiten – und schön sein –, um sich einen Platz in unserem Zuhause zu sichern. Smart-Home-Produkte werden die Bedenken von Verbrauchern immer mehr zerstreuen und ihnen in ihren eigenen vier Wänden ein Gefühl von Sicherheit vermitteln – drinnen wie draussen, durch Echtzeit-Updates, die auf ihre Bedürfnisse und Emotionen abgestimmt sind.

© Architonic

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