Martin Postler vom innovativen Industriedesign-Studio PostlerFerguson erinnert uns an die Herausforderungen und das Potenzial, das die Einführung einer echten Kreislaufwirtschaft in der Designbranche mit sich bringt.

PostlerFerguson ist ein in London ansässiges Designstudio, das an Produkten, Räumen und Strategien arbeitet

Design, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft: PostlerFerguson im Gespräch | Aktuelles

PostlerFerguson ist ein in London ansässiges Designstudio, das an Produkten, Räumen und Strategien arbeitet

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Architonic: Wie würden Sie die Kreislaufwirtschaft beschreiben? Was sind ihre Ziele?

Martin Postler: Kreislaufwirtschaft ist ein Produktions- und Konsumprozess, der – theoretisch – langlebige, reparable und wiederverwertbare Produkte hervorbringt. Diese können von respektvolleren Nutzer:innen konsumiert werden, die das Produkt mehr schätzen und es länger nutzen, sodass weniger Abfall entsteht.


Design spielt nicht nur eine Schlüsselrolle bei der Herstellung möglichst nachhaltiger Produkte, sondern auch bei dem Bemühen, die Menschen von ihrer Nutzung und Wertschätzung zu überzeugen


Die Kreislaufwirtschaft ist eher eine Idee als ein Leitfaden, und sie lässt Spielraum für Interpretationen, da sie auf so viele verschiedene Produkte angewandt werden muss, die von so vielen Menschen auf so viele verschiedene Arten genutzt werden. Ich glaube, der Begriff „Kreislaufwirtschaft“ entspringt der richtigen Denkweise, da er ein fortwährendes Moment eines Produktlebenszyklus suggeriert. Das kann ein Recycling-Moment der Rückführung von Materialien in ihren ursprünglichen Zustand sein, aber auch ein Zyklus von Nutzung, Reparatur und Aufwertung.

Martin Postler (oben) und Ian Ferguson (unten), Geschäftsführer und Gründer von PostlerFerguson

Design, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft: PostlerFerguson im Gespräch | Aktuelles

Martin Postler (oben) und Ian Ferguson (unten), Geschäftsführer und Gründer von PostlerFerguson

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Wie können wir den Kreislaufgedanken auf das Design übertragen?

Designer:innen müssen verstehen, dass Kreislaufwirtschaft eine ganze Reihe von Fähigkeiten und Fachkenntnissen erfordert. Wir müssen auf Augenhöhe mit Produktingenieur:innen, Produktmanager:innen und Materialbeschaffer:innen sprechen. Designer:innen befinden sich im Rahmen des Prozesses der Produktentwicklung in einer ziemlich einzigartigen und günstigen Ausgangsposition. Mithilfe von Design sind wir in der Lage, Hersteller zu begeistern und zu überzeugen, neue Wege zu gehen.


Designer:innen müssen energisch auftreten und sich an den Entscheidungen zur Produktplanung beteiligen


Designer:innen sind immer dabei, wenn etwas Neues entsteht, was eine grossartige Gelegenheit ist, viele Entscheidungsträger an einen Tisch zu bringen. Wir können Perspektiven eröffnen, an die noch niemand gedacht hat, und Bilder, Prototypen oder Materialien anbieten, um unsere Argumente überzeugend vorzubringen. Wir sind in der Lage, neue, nachhaltige und möglicherweise ungewöhnliche Materialien und Produktionstechniken einem breiteren Publikum vorzustellen und für die Akzeptanz einer neuen Ästhetik zu werben. Wir können Geschichten erzählen, indem wir neue Wege der Nutzung und des Konsums aufzeigen.

Wir können aber auch mit Unternehmen zusammenarbeiten, um einen Mehrwert für das Ökosystem eines Produkts zu schaffen, das über Produktion, Vertrieb und Service hinausgeht. Design spielt nicht nur eine Schlüsselrolle bei der Herstellung möglichst nachhaltiger Produkte, sondern auch bei dem Bemühen, die Menschen von ihrer Nutzung und Wertschätzung zu überzeugen.

Bohrwerkzeug für das Postler Ferguson Werkzeug Project (oben) und das Bat And Bone Conduction Headset (unten), konzipiert für den ganztägigen Gebrauch

Design, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft: PostlerFerguson im Gespräch | Aktuelles

Bohrwerkzeug für das Postler Ferguson Werkzeug Project (oben) und das Bat And Bone Conduction Headset (unten), konzipiert für den ganztägigen Gebrauch

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Was sind die wichtigsten Herausforderungen für Designer:innen?

Die grösste, zentrale Herausforderung für Designer:innen – und die Designbranche im Ganzen – besteht darin, sowohl Verbraucher:innen als auch Hersteller davon zu überzeugen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wir sind traditionell eine dienstleistungsorientierte Branche, die Lösungen auf der Grundlage der Vorgaben von Kund:innen liefert. Aber um wirklich von Wert zu sein, müssen wir an der Entwicklung dieser Design-Vorgaben beteiligt sein, d. h. wir müssen dies zu einem obligatorischen Bestandteil unseres Angebots machen. Designer:innen müssen energisch auftreten und sich an den Entscheidungen zur Produktplanung beteiligen. So sehr wir einen Expert:innen-Status in Sachen Ästhetik, Stil und Funktionalität für uns beanspruchen, so sehr müssen wir auch die Diskussion über Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit bestimmen.

Jedes Projekt wird in einem breiten Kontext recherchiert und betrachtet, um das Potenzial zu maximieren und zu Lösungen zu führen, die eine unmittelbare sensorische Anziehungskraft und eine zugrunde liegende konzeptionelle Nuance kombinieren

Design, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft: PostlerFerguson im Gespräch | Aktuelles

Jedes Projekt wird in einem breiten Kontext recherchiert und betrachtet, um das Potenzial zu maximieren und zu Lösungen zu führen, die eine unmittelbare sensorische Anziehungskraft und eine zugrunde liegende konzeptionelle Nuance kombinieren

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Was sind die wichtigsten Herausforderungen für Hersteller?

Die eigentliche Herausforderung liegt meiner Ansicht nach nicht bei den Marken und Herstellern im oberen Teil der Wertschöpfungskette – bei diesen Unternehmen handelt es sich oft um Marken, die ihre eigenen Produkte herstellen oder den Produktionsprozess kontrollieren.

Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen bezieht ihre Produkte aber extern und verfügt nicht über die Ressourcen, um sicherzustellen, dass Zulieferer gute Grundsätze befolgen. Der Schlüssel ist, das „untere Ende“ der Produktion dazu zu bringen, den Kreislaufgedanken zu übernehmen, zu definieren, was Kreislaufwirtschaft für diese Unternehmen tatsächlich bedeutet, und wie sie in eine rentable Strategie verwandelt werden kann – und sie nicht als lästige Pflicht zu betrachten.

Der Molekule-Luftreiniger (oben) verwendet unbehandelte Materialien, um sein effizientes aerodynamisches Design zu bilden

Design, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft: PostlerFerguson im Gespräch | Aktuelles

Der Molekule-Luftreiniger (oben) verwendet unbehandelte Materialien, um sein effizientes aerodynamisches Design zu bilden

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Was ist Platform Thinking und inwiefern kann es uns helfen?

Wir bei PostlerFerguson sind zwar der Meinung, dass die Idee der Kreislaufwirtschaft eine absolute Notwendigkeit ist, aber wir glauben auch, dass uns derzeit eine konkrete Strategie fehlt, um sie effektiv umzusetzen. Bei dieser Strategie kann es nicht nur um Nachhaltigkeit und Wirtschaft gehen, sondern sie muss auch in einer neuen, andersartigen Konsumkultur wurzeln. Um diese Prozesse nicht nur anzustossen, sondern auch umzusetzen, ist Industriedesign unserer Meinung nach perfekt an den Schnittstellen zwischen Produktion und Konsum, zwischen Handel und Kultur, Fertigung und Ressourcenplanung angesiedelt.


Platform Thinking baut auf der Idee auf, dass Verbraucher:innen eine langfristige Nutzung tatsächlich schätzen


Wir haben einen Ansatz entwickelt, der sich Platform Thinking nennt – eine designorientierte Strategie für die Entwicklung und Produktplanung, die unser Werkzeug ist, um Unternehmen beim Aufbau ihrer eigenen Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Sie stellt eigentlich nur eine Frage: „Wie können wir innerhalb der Lebensdauer eines Produkts ständige Momente der Wertschöpfung schaffen?“

PostlerFergusons wackelnde Buoy Lamps-Kollektion (oben) und einer der münzlosen Parkautomaten von Designa, die am JFK-Flughafen in New York installiert sind

Design, Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft: PostlerFerguson im Gespräch | Aktuelles

PostlerFergusons wackelnde Buoy Lamps-Kollektion (oben) und einer der münzlosen Parkautomaten von Designa, die am JFK-Flughafen in New York installiert sind

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Diese Momente der Wertschöpfung basieren auf einem Produkt, das als Plattform fungiert, die Veränderungen unterstützt, und nicht als geschlossenes System. Dieser Ansatz stellt sowohl Hersteller als auch Designer:innen vor eine ganze Reihe von neuen Herausforderungen und Möglichkeiten. Wenn wir ein Produkt-Nutzer-Szenario über einen bestimmten Zeitraum hinweg betrachten, zeigt sich ein interessanter Zusammenhang. Im Laufe der Zeit verliert ein Produkt durch Bruch, Verschleiss und veraltete Technik oft an Wert, während dessen Nutzer:innen durch Routine, Mehrwert im täglichen Leben oder einfach durch Freude und Identifikation zunehmende Wertschätzung und Verbundenheit mit dem Produkt entwickeln. Während also viele Produkte im Laufe der Zeit an Wert verlieren, können sie in den Augen der Besitzer:in sogar an Wert gewinnen. Platform Thinking baut auf der Idee auf, dass Verbraucher:innen eine langfristige Nutzung tatsächlich schätzen, und will Produkte entwerfen, die dies ermöglichen.

Das Entwerfen, Konstruieren und Implementieren einzigartiger Produktplattformen wird für uns in den kommenden Jahren eine der wichtigsten Aufgaben sein. Dies wird Herstellern und Marken enorme Möglichkeiten eröffnen, langfristige Beziehungen zu ihren Kund:innen aufzubauen, aus deren Erfahrungen zu lernen, neue Angebote zu schaffen und ein Ökosystem aufzubauen, das weit über die derzeitigen Geschäftsmodelle hinausgeht.

© Architonic

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