Der Grafikdesigner und Placemaking-Spezialist Richard Wolfströme beschäftigt sich damit, was passiert, wenn 2-D dreidimensionalen architektonischen Räumen eine weitere Dimension hinzufügt.

Die Cooper Union in New York: In der Lobby im Atrium werden die Spender an der Unterseite der Treppe ausgewiesen

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Die Cooper Union in New York: In der Lobby im Atrium werden die Spender an der Unterseite der Treppe ausgewiesen

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Ich interessiere mich für die Geschichten von Orten. Wie bringen wir Menschen mit Orten in Verbindung und geben ihnen ein Gefühl von Eigentümerschaft? Wie legen wir die Bedeutungsvielfalt und das Potenzial eines Ortes offen und wie machen wir einen Ort lesbar und aufschlussreich?

Meine Reise begann 2007 mit einem Kunstprojekt mit dem renommierten britischen Schriftsteller William Shaws. Seine Idee war es, Geschichten an Orten zu erzählen, an denen sie passiert waren. Während es Projekts „41 Places“ setzten wir tatsächlich geschehene Geschichten in der britischen Küstenstadt Brighton im Rahmen des Brighton Festivals, dem zweitgrössten Kunstfestival in Europa, in Szene.

Als Infografikdesigner beschäftigte mich die Frage, wie narratives Placemaking und Signaletik miteinander verbunden werden könnten. Über die Jahre habe ich diese Idee weiterentwickelt. Auch wenn kein Ort derselbe ist und nicht auf andere übertragen werden kann, bleibt die Erkundung und Entwicklung von ortsgebundenen Narrativen an jedem Ort einzigartig.

41 Places: Über die Stadt verteilte Installation, die 41 wahre Geschichten umfasst; Foto: Kenny Laurenson

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41 Places: Über die Stadt verteilte Installation, die 41 wahre Geschichten umfasst; Foto: Kenny Laurenson

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Wenn ein neues Gebäude oder ein Projekt entwickelt oder saniert wird, besteht die Möglichkeit mit Architekten und anderen Beteiligten zusammenzuarbeiten, um ein Gefühl für den Ort zu generieren, mittels der Nomenklatur, Kultur und Engagement, sowie narrative Kunstwerke und natürlich Beschilderung.

Da es keine Universallösung gibt, sind ein intensiver Rechercheprozess und der Einbezug möglichst vieler Stimmen und Meinungen essenziell, um ein Gefühl von Eigentümerschaft zu erzeugen bzw. um Geschichten der jeweiligen Community verwenden zu können. Entscheidungen bezüglich Design, Material, Schrift etc. sind natürlich weitere wichtige Faktoren.

Ein kürzlich abgeschlossenes Projekt in London für The Foudry, die sich Wandel auf die Fahnen geschrieben haben, resultierte aus einer Zusammenarbeit zwischen führenden Trusts und Stiftungen und der Ethical Property Company. The Foudry bietet einigen der innovativsten und progressivsten Social Justice- und Human-Rights-Organisationen des Landes Raum und stellt bezahlbare Arbeitsplätze, Tagungsräume sowie Event- und Ausstellungsräume zur Verfügung. Das wird sich positiv auf die lokale Community, die grössere Öffentlichkeit und den Social-Change-Sektor auswirken.

The Foundry: Von der RIBA ausgezeichnetes Zentrum für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte in Vauxhall, London mit identitätsstiftender Beschilderung der viktorianischen Fabrik und narrativer Kunst im Haupteingang; Foto: Jim Stephenson

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The Foundry: Von der RIBA ausgezeichnetes Zentrum für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte in Vauxhall, London mit identitätsstiftender Beschilderung der viktorianischen Fabrik und narrativer Kunst im Haupteingang; Foto: Jim Stephenson

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Das von Architecture 00 entworfene Gebäude besteht zur einen Hälfte aus einer sanierten viktorianischen Schuhcremefabrik , zur anderen aus einer zeitgenössisch modernistischen Struktur aus Beton, Glas und Holz. Es wurde kürzlich mit einem 2015 RIBA London Regional Award ausgezeichnet.

Während des Projekts liess sich nachvollziehen, wie das Gebäude langsam Identität annahm und das Leitsystem und Kunst, deren Materialien dem Design des Gebäudes schmeicheln und einem ganzheitlichen Ansatz folgen, Gestalt annahmen.

The Foudry: Öffentlicher Raum mit Leitsystem, Laserbeschriftung von Sperrholz und eine narrative künstlerische Arbeit mit einem „super grafischen“ Portrait von Nelson Mandela; Foto: Jim Stephenson

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The Foudry: Öffentlicher Raum mit Leitsystem, Laserbeschriftung von Sperrholz und eine narrative künstlerische Arbeit mit einem „super grafischen“ Portrait von Nelson Mandela; Foto: Jim Stephenson

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Ein Orientierungssystem, das die Verwendung von Holz im ganzen Gebäude reflektiert, und eine Serie von narrativen künstlerischen Arbeiten, die auf tiefgreifende Aussagen von grossen Denkern und Menschenrechtsvertretern basieren , wurden von der lokalen Community aus einer Vielzahl von recherchierten Zitaten als die relevantesten ausgewählt. Sie wurden Teil des Gebäudegewebes, gerade so, als ob sie durch die Wände einsickern würden, um einen Raum zu kreieren, in dem Menschen wichtige Themen bearbeiten, die dem Spirit und Ethos des Ortes vorauseilen.

Eine Reihe von grafischen Portraits von Martin Luther King, Aung San Suu Kyi , Nelson Mandela und Abraham Lincoln schmücken die Fenster eines Konferenzzimmers im Erdgeschoss. Jedes Portrait besteht typografisch aus den Zitaten der einzelnen Personen.

Die Cooper Union in New York: Optisch extrudierte Buchstaben an der Fassade und ein Detail der in der Lobby situierten Treppe

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Bewährtes Placemaking und Signaletik bestehen aus Systemen und künstlerischen Arbeiten, die alles andere als nebensächlich sind. Ganz im Gegenteil, sie sind wohlüberlegt und von Anfang an integraler Teil des Entwicklungs- und Gestaltungsplans.

Das Cooper Union Building in New York und das Casa do Conto in Porto stehen exemplarisch für narrative und Leitsystem-Projekte, die erfolgreiche Gestaltungslösungen bieten und die Nutzer und Besucher in hohem Masse einbeziehen.

Die Cooper Union in New York: Die Spender werden auf den vertikalen Stossschutzecken vor den Klassenräumen ausgewiesen und auf der Dachterrasse in Form von Gravuren in Granit; Fotos: Chuck Choi

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Die Cooper Union in New York: Die Spender werden auf den vertikalen Stossschutzecken vor den Klassenräumen ausgewiesen und auf der Dachterrasse in Form von Gravuren in Granit; Fotos: Chuck Choi

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Beim von Morphosis gestalteten Cooper Union Building wurde ein zeitgenössischer typografischer Ansatz gewählt, der der Gestaltung des Gebäudes entspricht. Die von Pentagram gestalteten Umgebungsgrafiken verwenden die Font Foundry Gridnik, die auf der von Wim Crouwel in den 1960er Jahren entworfenen Schriftart basiert, die wiederum die Schrift des ursprünglichen Gebäudes von 1859 aufgreift. Pentagram konstatiert: „Gridnik hat einen starken und futuristischen Charakter, der im Einklang mit den Formen und Materialien des neuen Gebäudes steht.“

Das Design im gesamten Innenraum ist elegant und informativ und wurde in enger Zusammenarbeit mit Architekten entwickelt. Im Einklang der verwendeten Materialien wurden die verschiedenen Botschaften in Glas, Stein und Edelstahl geritzt und bilden effektive Leitsysteme.

Casa do Conto, Porto: Beschriftung im Gussbeton erzählen die Geschichte des Ortes; Fotos: Fernando Guerra & Sérgio Guerra (oben), André Cepeda (unten)

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Casa do Conto, Porto: Beschriftung im Gussbeton erzählen die Geschichte des Ortes; Fotos: Fernando Guerra & Sérgio Guerra (oben), André Cepeda (unten)

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Casa do Conto (Haus der Geschichten) von Pedra Líquida Architects ist ein Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, das in ein Pension umfunktioniert wurde. Im Jahre 2009 fielen der dekorative Stuck und die Holzdecken einem Feuer zum Opfer – ein grosser kultureller Verlust.

R2 wurden deshalb beauftragt, die einstigen Motive zu reinterpretieren. Sie entschieden sich bei der Restaurierung für einen zeitgemässes Konzept und baten Menschen, die in den Restaurationsprozess involviert und deshalb mit dem Gebäude vertraut waren, Geschichten über die einzelnen Räume zu schreiben.

Casa do Conto, Porto: Narratives Design in einem der Gästezimmer und ein Detail des Gussbetons; Fotos: Fernando Guerra & Sérgio Guerra (oben), André Cepeda (unten)

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Casa do Conto, Porto: Narratives Design in einem der Gästezimmer und ein Detail des Gussbetons; Fotos: Fernando Guerra & Sérgio Guerra (oben), André Cepeda (unten)

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Das Resultat: eine in die Betonwände des Gebäudes eingravierte Reihe von berührenden, fast spirituellen Texten, die die individuelle Begebenheit eines jeden Raumes unterstreichen und das Interesse des Besuchers wecken.

Die verschiedenen Texte wurden in unterschiedlichen Schriftarten ausgeführt und interpretiert, sodass ein vielschichtiger typografischer Gesamteindruck entsteht – eine aussergewöhnliche Arbeit.

Nicht nur modernen Gebäuden und Restaurierungen sollte diese Aufmerksamkeit zuteilwerden. Die Londoner St Paul’s Cathedral, die Barockkirche, die im 17. Jahrhundert von Christopher Wren gebaut wurde, hat kürzlich ein Leitsystem in Auftrag gegeben.

Leitsystem, das behutsam mit dem als UNESCO Welterbe ausgezeichneten Ort umgeht und modern anmutet, dies aber nicht auf Kosten der historischen Bedeutung des Gebäudes; Fotos: Richard Wolfströme

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Leitsystem, das behutsam mit dem als UNESCO Welterbe ausgezeichneten Ort umgeht und modern anmutet, dies aber nicht auf Kosten der historischen Bedeutung des Gebäudes; Fotos: Richard Wolfströme

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Ein anderes erwähnenswertes Projekt ist Schloss Eggenberg in Graz, das von der UNESCO als Weltkulturerbe ausgezeichnet wurde. Es ist lebendiges Zeugnis europäischer Kultur und verdeutlicht, wie zweidimensionales Informationsdesign mit dreidimensionalen architektonischen Räumen in einen Dialog tritt.

Besonders beeindruckend ist das für den Ort entworfene unkomplizierte Leitsystem. Die von den Decken hängenden Textilbanner sind strategisch gut platziert. Sie erinnern an Fahnen und passen sich somit ihrer Umgebung an und werden Teil des Ortes. Sie dienen als Beispiel für einen eleganten Gestaltungsansatz für ein komplexes und historisch wichtiges Gebäude, der nicht deplatziert wirkt. Selbst in den architektonisch eher neueren Teilen des Gebäudes, wie zum Beispiel dem archäologischen Museum, respektiert das Leitsystem den historischen Charakter.

Es ist nicht mehr länger hinnehmbar, wenn die Identität eines Ortes und Leitsysteme nachträglich hinzugefügt werden. Indem man im letzten Moment Wegführungen mit einer beliebigen Schrift des Betriebssystems, wie zum Beispiel Arial, durchführt, stösst man die Nutzer zwangsläufig vor den Kopf. Sorgfältige Recherche hingegen und eine Relevanz für den Ort, werden gebraucht und das idealerweise am Anfang einer Renovierung. Wenn man eine tiefere Auseinandersetzung scheut, läuft man Gefahr, dass Orte inhaltsleer und ausdruckslos sind. Versteht man hingegen das Potenzial eines Ortes, wird man sicher den richtigen Weg finden, das auch zu kommunizieren.

Orte sollten ein Gefühl von Zusammengehörigkeit vermitteln. Bei der Identität eines Ortes geht es darum, eine bleibendes Gefühl von Verbundenheit bei den Menschen, die ihn nutzen, zu erzeugen, sodass sie sich nicht fehl am Platz fühlen.

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