Wie gut arbeiten wir mit Kopfhörern auf den Ohren? Und warum ist völlige Stille nicht unbedingt immer optimal? Im zweiten von drei Teilen der PALMBERG Intelligence Series – einer vom Büromöbelhersteller PALMBERG präsentierten Reihe – beantwortet der Neuropsychologe Lutz Jäncke diese und weitere Fragen aus wissenschaftlicher Perspektive. Spoiler: Die Lieblingsmusik ist eher nicht das Richtige fürs Büro!

Ein nicht unerheblicher Faktor im Büro ist das Thema Akustik. Bei der Planung von Arbeitsumgebungen sollte man sich der Auswirkungen von Gesprächs- und Geräuschkulissen, Musik, aber auch Stille auf die Konzentration bewusst sein

Sound of Silence: die PALMBERG Intelligence Series | Aktuelles

Ein nicht unerheblicher Faktor im Büro ist das Thema Akustik. Bei der Planung von Arbeitsumgebungen sollte man sich der Auswirkungen von Gesprächs- und Geräuschkulissen, Musik, aber auch Stille auf die Konzentration bewusst sein

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Musik hören ist eine Aktivität. Wussten Sie nicht? Dann dürfte es Sie interessieren, was Prof. Dr. Lutz Jäncke über Musik und Stille bei der Arbeit zu sagen weiss. Umfangreich hat der emeritierte Professor für Neuropsychologie an der Universität Zürich über den Einfluss von Musik auf die Plastizität des Gehirns, also dessen Formbarkeit durch Erfahrung, geforscht und über 150 Arbeiten zum Thema Musik publiziert. „Ich habe Musiker:innen untersucht, mich sehr viel mit auditorischer Wahrnehmung beschäftigt. Damit, wie der Mensch Geräusche, Musik, Melodien wahrnimmt, wie er sie im Gehirn verarbeitet“, erzählt Jäncke. „Und ich habe Studien gemacht zu Musik im Hintergrund, zu der Frage, ob diese die kognitive Leistung, das Gedächtnis usw. beeinflusst.“ Genau darauf soll es hinausgehen, in einem Gespräch über Geräuschkulisse und Stille am Arbeitsplatz, über den Unterschied zwischen akustischen Ablenkreizen und subtilen musikalischen Klängen.

Prof. Dr. Lutz Jäncke hat als Neurowissenschaftler an der Universität Zürich vielfältig zur Plastizität des menschlichen Gehirns geforscht und veröffentlicht, u.a. über den Einfluss von Musik, die Lernfähigkeit und die Unvernunft

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Prof. Dr. Lutz Jäncke hat als Neurowissenschaftler an der Universität Zürich vielfältig zur Plastizität des menschlichen Gehirns geforscht und veröffentlicht, u.a. über den Einfluss von Musik, die Lernfähigkeit und die Unvernunft

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Wann haben Sie das letzte Mal Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ gehört? Was löst diese Musik in Ihnen aus?

Das letzte Mal habe ich sie vor drei Tagen bei einem Vortrag gehört. Sie spielen auf eine Geschichte an, die ich immer wieder gerne erzähle. Und es ist bei mir wirklich so, ich habe es neurophysiologisch gemessen: Diese Musik erinnert mich sehr stark an meine Zeit an der Harvard Medical School in Boston Mitte der 1990er. An den Wochenenden, vor allem im Herbst, haben meine Kolleg:innen mich immer auf Wandertouren rausgeschleppt.


Jedes Mal also, wenn ich diese Musik von Vivaldi höre, insbesondere den „Herbst“, dann ist bei mir alles präsent


Diese bunten Blätterwälder werde ich mein Leben nicht vergessen. Das ist ein sehr wichtiges Element, verbunden mit einer sehr wichtigen Zeit für mich in Boston. Jedes Mal also, wenn ich diese Musik von Vivaldi höre, insbesondere den „Herbst“, dann ist bei mir alles präsent. Die bunten Wälder, der Geruch, die Landmarken, all das ist parat. Es ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie Musik in uns Erinnerungen hervorrufen kann. Diese Fähigkeit, solch multimodale Eindrücke anhand von Klängen in unserem Kopf wie im Kino abspielen zu können, ist bemerkenswert.

Funktioniert Vivaldi nur bei Menschen, die ähnliche Erinnerungen mit genau dieser Musik verknüpft haben? Oder ist es die Komposition, die hier universal wirkt?

Es ist ein Phänomen, das auch mit anderen Musikstücken verbunden ist. Wichtig ist aber auch: Die Wahrnehmung der Musik ist kultur- und erfahrungsbedingt. Manche Musikhistoriker:innen und Musikwissenschaftler:innen behaupten, bestimmte Musik hätte ganz besondere Einflüsse auf uns, und zwar kulturunabhängig. Das halte ich für falsch. Denn es hängt davon ab, welchen Zugang wir zur Musik haben. Wir wissen aus der Forschung, dass wir das mögen, was wir häufig hören.


Wenn Sie beispielsweise etwas sehr Kompliziertes zu bearbeiten haben, ist das gleichzeitige Hören von Musik und das Lösen dieser Aufgabe sehr schwierig


Es gibt Untersuchungen darüber, wie Kinder Musikpräferenzen entwickeln. Und sie entwickeln ihre Vorlieben genau für die Musik, die sie häufig hören. So entstehen Kulturpräferenzen für Musik. Wenn Sie in einem Musikhaushalt aufwachsen, wo Mozart gespielt wird, ist die Wahrscheinlichkeit relativ gross, dass Sie auch Mozart-Musik gut finden. Hören Sie immer Popmusik, Mariah Carrey rauf und runter, dann werden Sie mit Mozart nicht viel zu tun haben wollen.

Inwiefern ist dieses Wissen auch für das Thema Büro wichtig? Welchen Hirnzustand möchten wir denn bei der Arbeit bestenfalls erreichen, welchen Film spielen wir da ab?

Die Büroarbeit, die wir den ganzen Tag so durchzuführen haben, hat ja unterschiedliche Schwierigkeitsgrade. Dabei muss man verschiedenes bedenken: Arbeite ich in einem Grossraumbüro, arbeite ich alleine, welche Aufgaben führe ich durch? Wenn Sie beispielsweise etwas sehr Kompliziertes zu bearbeiten haben, ist das gleichzeitige Hören von Musik und das Lösen dieser Aufgabe sehr schwierig. Denn das ist eine Doppeltätigkeit – unser Gehirn mag so etwas nicht. Um etwas Kompliziertes zu bearbeiten, benötigt unser Gehirn Aufmerksamkeit und Konzentration.

Kopfhörer können helfen am Arbeitsplatz – für kurze Pausen, in denen das Gehirn komplexe Gedanken oder Gelerntes verarbeitet, oder zur besseren Konzentration. Aber: Es kommt auf die „richtigen“ Klänge an

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Kopfhörer können helfen am Arbeitsplatz – für kurze Pausen, in denen das Gehirn komplexe Gedanken oder Gelerntes verarbeitet, oder zur besseren Konzentration. Aber: Es kommt auf die „richtigen“ Klänge an

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Das gelingt nur bedingt in einem Umfeld, in dem telefoniert wird, Tastaturen klappern und womöglich Strassenlärm von draussen herein dröhnt ...

Wenn Sie in einem Büro arbeiten, in dem überall um Sie herum Geräusche sind, die Sie nicht vorhersagen können, dann ist Ihr Gehirn ständig gezwungen, Orientierungsreaktionen durchzuführen – das ist das entscheidende Problem. Es sind automatische Reaktionen, die kann man kaum unterdrücken. Wenn Sie jetzt arbeiten und es klickt etwas, dann versucht Ihr Gehirn, sich sofort da hin zu orientieren und Sie werden losgerissen von Ihrer Arbeit. Sie benötigen dann zehn, fünfzehn, zwanzig Sekunden, um wieder zurück zur Sache zu finden. Für die Arbeit im Büro ist das hinderlich.

Wie erklären Sie, weshalb es uns so schwerfällt, die Dinge, um uns herum auszublenden?

Sie müssen sich das so vorstellen: Der Frontalkortex ist das Hirngebiet, das eine Top-down-Beeinflussung auf das limbische System ausübt. Das sind die Hirnstrukturen, mit denen wir unseren Impulsen nachgehen: Ich habe Hunger, Durst, das ist interessant und so weiter. Der Frontalkortex inhibiert uns und das kostet Kraft.


Noise Cancellation funktioniert einwandfrei, um sich von den störenden, unvorhersehbaren Reizen abzulenken


Beispielsweise wenn Sie sich konzentrieren müssen, weil Sie am nächsten Morgen eine wichtige Abgabe haben, dann konzentrieren Sie sich auf Ihre Aufgabe, Ihr Frontalkortex ist aktiv – und zwar bollert der richtig! Zunächst können Sie sich noch gut konzentrieren, obwohl es um Sie herum an allen Ecken knallt, super interessante Sachen passieren. Wenn diese Kraft jedoch nachlässt, wandert die Aufmerksamkeit dahin, wo andere interessante Ablenkreize sind.

In einem Grossraumbüro zusammenarbeiten bringt Spass, fordert aber die Konzentration heraus. Sinnvoll sind Rückzugsbereiche und Telefon- oder Meetingboxen

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In einem Grossraumbüro zusammenarbeiten bringt Spass, fordert aber die Konzentration heraus. Sinnvoll sind Rückzugsbereiche und Telefon- oder Meetingboxen

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Nun kann man sich in den seltensten Fällen völlig abschotten. Kann Musik über Noise-Cancelling-Kopfhörer dennoch das kleinere Übel sein?

Ich empfehle, dass man sich einen Kopfhörer aufsetzt. Noise Cancellation funktioniert einwandfrei, um sich von den störenden, unvorhersehbaren Reizen abzulenken. Nur muss man dabei aber Musik wählen, die einen jetzt nicht irgendwie emotional vollkommen erregt, oder wo verbales Material präsentiert wird, das einen unbewusst auf die Sprache fokussieren lässt. Es sollte etwas sein, das vorhersehbar ist, das ist wichtig. Gut sind Klänge, die unser Gehirn locker und lässig verarbeiten kann: Philip Glass beispielsweise, Piano-Musik oder Lounge-Musik, die so dahin wabert. In diesem Kontext ist Musikhören interessant.

Würden Sie für Büros eine Grundgeräuschkulisse über Lautsprecher empfehlen?

Es hängt immer davon ab, was die Leute zu erledigen haben. Zu welcher Tageszeit und auch von den individuellen Geschmäckern. Wenn es abends spät ist und die Leute müde werden, dann können solche Hintergrundgeräusche gut sein. Das kann uns emotionalisieren, uns aktivieren und der Müdigkeit entgegenwirken. Vergessen darf man dabei allerdings nicht, dass wir Menschen sehr reaktant sind.


Wir können ja nicht über acht oder zehn Stunden am Tag immer perfekt fokussiert sein. Man muss auch ab und zu mal raus aus dieser kognitiven Fokussierung und den Gedanken mal freien Lauf lassen


Nehmen wir mal an, jemand spielt irgendwelche Schlagermusik ab, aber Sie hassen Schlager, dann sind Sie so sauer und beschäftigen Ihr Gehirn mit Musik, die Sie nicht mögen. Das löst eine Reaktanz aus, einen Widerstand. Besser wäre auch hier Musik, die so im Hintergrund läuft, dass Sie sie kaum identifizieren und einem Genre zuordnen können. Helfen kann Musik auf diese Weise morgens, nach dem Mittagessen, gegen Abend – um eine Stimmung zu erzeugen.

Warum nach dem Mittagessen?

Nach dem Mittagessen hängen wir oft ein wenig durch. Das ist das sogenannte postprandiale Mittagskoma, wie ich es immer nenne. Das ganze Blut geht in das Pfortadersystem und es ist etwas weniger Sauerstoff im Kortex, dadurch sind viele Leute so ein bisschen müde. Und wenn da so ein wenig Aktivierung im Hintergrund ist, hilft einem das, wieder hochzufahren. Manchmal kann Musik auch ein Dosenöffner sein, wenn man eine Blockade hat. Aber vergessen Sie dabei nicht, dass man in schweren Situationen, wenn man ein Problem zu lösen hat, aufpassen muss, dass man nicht abgelenkt wird. Wenn Sie eine Musik haben, die Sie fängt, dann kann das Ihre Aufmerksamkeit beeinträchtigen. Dann haben Sie zwar Erinnerungen und fühlen sich toll, doch solche Situationen sind ungünstig für Problemlöseprozesse.

Noise-Cancelling-Kopfhörer können ein Segen sein. Wichtig: Sowohl völlig unbekannte als auch die Lieblingsmusik können ablenken, besser ist eine vorhersehbare Hintergrundmusik

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Noise-Cancelling-Kopfhörer können ein Segen sein. Wichtig: Sowohl völlig unbekannte als auch die Lieblingsmusik können ablenken, besser ist eine vorhersehbare Hintergrundmusik

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Wie sieht es mit Ruheräumen für das Büro aus?

Ruheräume halte ich für angebracht. Man darf aber auch diese Ablenkung nicht unterschätzen. Das heisst, wir müssen sehen, dass wir gelegentlich mal Stimmungsaufhellung haben – gerade im Arbeitsalltag. Wir können ja nicht über acht oder zehn Stunden am Tag immer perfekt fokussiert sein. Man muss auch ab und zu mal raus aus dieser kognitiven Fokussierung und den Gedanken mal freien Lauf lassen. Und da ist Musik übrigens sehr günstig. Wie man das in einem Büro genau regelt, ist eine andere Geschichte: mit einem Musikraum beispielsweise, einem Entspannungsraum, wie Google es etwa macht, oder mit Recreation-Rooms, wie sie bei Apple heissen. Dort können die Mitarbeitenden dann alles Mögliche machen: musizieren, sphärische Klänge hören, visuelle Eindrücke erleben. Das sind natürlich Ideen, für die ein Unternehmen überhaupt erst einmal Kapazitäten haben muss. Dabei können aber auch Kopfhörer helfen – auf dem Smartphone lässt sich heute ja alles Mögliche zusammenstellen.

Gut für Lernprozesse oder Momente mit anspruchsvollen Problemstellungen können Pausen mit aktivierender musikalischer Untermalung sein

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Gut für Lernprozesse oder Momente mit anspruchsvollen Problemstellungen können Pausen mit aktivierender musikalischer Untermalung sein

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Kann völlige Stille umgekehrt auch ein Hindernis für die Konzentration sein?

Generell ist Stille gut für die Bearbeitung schwieriger, kognitiver Aufgaben. Wir mögen die Stille aber nicht grundsätzlich, sondern präferieren immer Geräusche. Der Hintergrund ist ganz einfach: Unser Gehirn ist ein Organ, das keine Uniformität mag. Es interpretiert in Uniformität immer irgendetwas hinein. Es braucht Abwechslung. Ein interessantes Beispiel: Nehmen wir an, Sie würden jetzt dreissig Minuten hoch konzentriert in Stille etwas lernen oder an etwas arbeiten. Um das zu verarbeiten, bräuchten Sie anschliessend zehn, fünfzehn Minuten Pause, in denen Sie nichts tun. Wenn Sie dabei erregende Musik hören, die Sie aktiviert, dann werden Sie das, was Sie vorher gemacht haben, besser behalten und weiterverarbeiten können. Das heisst, dieses Wechselspiel von Stille, Ruhe und Aktivierung, das ist ein günstiger Effekt für das Lösen komplexer Tätigkeiten und für das Lernen. Dahinter steckt ein einfacher biochemischer Prozess: Durch die Aktivierung Ihres Gehirns mithilfe von Musik werden bestimmte Transmitter ausgeschüttet. Das wiederum fördert die Synapsenbildung. Bei Gedächtnisexperimenten hat sich gezeigt, dass die Behaltensleistung auf diese Weise ungefähr um dreissig Prozent steigt. Komplette Stille ist dagegen ab einem gewissen Punkt unangenehm.

Auch zu viel Stille kann irgendwann unangenehm werden: „Unser Gehirn ist ein Organ, das keine Uniformität mag. Es braucht Abwechslung“, so Lutz Jäncke

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Auch zu viel Stille kann irgendwann unangenehm werden: „Unser Gehirn ist ein Organ, das keine Uniformität mag. Es braucht Abwechslung“, so Lutz Jäncke

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In vielen Unternehmen sind derzeit abwechslungsreiche Büroflächen gefragt, mit Sofalounges, Rückzugsorten, Telefonboxen, u.ä. Wie schätzen Sie diese sogenannten Multi-Spaces gegenüber Einzelbüros oder klassischen Grossraumbüros ein?

Generell halte ich solche Multi-Landschaften für sehr gut. Sie werden dann einen grossen Sinn entfalten, wenn Arbeitnehmer:innen Selbstdisziplin haben. Wenn sie wissen, wann es sinnvoll für sie ist, da und dort hinzugehen. Dann werden sie sich nämlich die Umgebung aussuchen, die für den momentanen Zustand und die jeweilige Aufgabe am besten ist. Abwechslung ist wichtig – solange man dabei im Stoff bleibt.

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