Ist es an der Zeit, das öffentliche Bad für das 21. Jahrhundert zu überdenken und neu zu gestalten?

Vauxhall Bridge, Old Street, Silvertown, 1995. Foto: Sophy Rickett

Von stillen Örtchen und lautem Protest: LAUFEN BATHROOMS | Architektur

Vauxhall Bridge, Old Street, Silvertown, 1995. Foto: Sophy Rickett

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"Cacator cave malum! Aut si contempseris, habeas Jovem iratum." Hüte Dich auf die Strasse zu scheissen! Sonst wird Dich Jupiters Zorn treffen. Diese Inschrift fand man auf einer Häuserwand in Pompeji und stammt wohl aus der Hand eines werbebewussten Latrinen Pächters. Das Geschäft mit den Ausscheidungen war im römischen Reich ein recht einträgliches. Während sich die Landbevölkerung im Freien erleichtern konnte, musste man in den Städten eben das vermeiden. Um 400 nach Christus boten allein in Rom 144 von einem Wassergraben unterspülte Latrinen für weit über fünfzig Personen gleichzeitig Erleichterung, manche im Style deluxe, ausgestattet mit Säulen, Mosaiken und Fussbodenheizung. Dort traf man sich, tratschte, networkte und "machte sein Geschäft", im wahrsten Sinne des Wortes. Alters- und geschlechterneutral waren die Aborte angeblich auch: Mann, Frau, Kind sassen in Eintracht beim Koten und Abwassern nebeneinander. Wer weniger Geld besass, besuchte die einfacheren Necessarias – 254 gab es zu dieser Zeit in der römischen Metropole – oder nutzte die Pissoirs mit Pinkel-Vasen. Waren jene voll, wurden sie von Urinsammlern abgeholt. Urin war das "Persil des alten Roms", denn das Ammoniak löste den Schmutz aus der Kleidung. Kreislaufwirtschaft vom Feinsten!

Toilet to-go

"Public and toilet do not sit well together ... The toilet is a foundational start point where each of us deals directly with our bodies and confronts whatever it provides, on a schedule not of our own making."
Harvey Molotch in "Toilet -Public Restrooms and the Politics of Sharing Edited", 2010


In den Städten wurde das Angebot öffentlicher Toiletten in den vergangenen drei Jahrzehnten immer kleiner, ihr schlechten Ruf dafür immer grösser


Wie man weiss, ist die zivilisatorische Entwicklung nicht zwingend eine sich optimierende. Dreimal "Gardez l'eau!" sollte man nach einer staatlichen Verordnung rufen, wenn man seinen Nachttopf in mittelalterlichen Frankreich aus dem Fenster kippte. Jahrhundertelang verrichteten und entsorgten die Menschen ihre Notdurft einfach in den Strassen der europäischen Städte. Der Begriff der "öffentliche Toilette" wurde damit um eine olfaktorische und hygienische Dimension mit fatalen Folgen für die Volksgesundheit bereichert.

Wenn das Lokus nicht da lokalisiert ist, wo man ist, nimmt man es eben mit. Mit einem Nachthäferl to-go, dem "Bourdalous", einer Sauciere nicht unähnlich, behalfen sich die Frauen im 18. und 19. Jahrhundert. Eine ähnlich mobile Toilette inklusiv "persönlichem Service" boten die Buttenweiber- und männer Mitte des 19. Jahrhunderts in Wien an: "Wer will, wer mag um einen Kreuzer in mein Butten scheissen?" riefen sie auf belebten Plätzen und Parks der bedürftigen Kundschaft zu. Hinter den Mänteln der Kot-Professionalsten mehr schlecht als recht verborgen, konnten Frauen und Männer sich erleichtern. Die Nachfrage überstieg jedoch das Angebot. Es setzte sich nicht durch.

François Boucher - "La Toilette intime", ca. 1760

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François Boucher - "La Toilette intime", ca. 1760

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Klosetts gab es für das weibliche Geschlecht im öffentlichen Raum lange Zeit so gut wie keine, weder in Bildungseinrichtungen, Erholungsräumen, noch anfänglich in den Fabriken. Orte, die für Frauen ohnehin nicht vorgesehen waren, das Fehlen von Aborts für sie war die logische Folge oder war es eher andersrum? "Stille Diskrimination" nennt das die Genderforschung. Die Frauenrechtlerinnen der Suffragetten-Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts setzten dem ein Ende, indem sie sich ­– erfolgreich – für Pissoirs für Frauen einsetzten. Die Toiletten-Frage hat gesellschaftspolitische Dimension.

Das Geschäft mit dem Geschäft

"Die öffentliche Bedürfnisanstalt ist ein Ort der Grenzüberschreitung zwischen Individuum und Allgemeinheit, zwischen Privat und Öffentlich. Sie ist funktional und steril. Und ist man mal drinnen, will man so schnell wie möglich wieder raus."
Christa Hager, österreichische Historikerin und Journalistin

In den Städten wurde das Angebot öffentlicher Toiletten in den vergangenen drei Jahrzehnten immer kleiner, ihr schlechten Ruf dafür immer grösser: dreckig, unhygienisch, Treffpunkt für Obdachlose, Drogensüchtige und Prostituierte. Private BetreiberInnen, die zwischen 50 Cent und ein Euro für ihren Service verlangen, oft übrigens nur für die Benutzung des Damen-WCs, während die Männer nichts bezahlen, verbesserten die Lage, die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern nicht. Ob Starbucks und McDonalds unfreiwillig ins Toiletten-Geschäft einstiegen, ist umstritten. Wenn jede, die wirklich dringend "aufs Häusel muss", einen Tee Latte und einen Burger bestellt, damit sie den Code bekommt, dann zahlt es sich am Ende für das Unternehmen aus. Inkontinenz ist ein Tabuthema. Die genaue Zahl derer, darunter vor allem ältere Menschen, die Angst davor hat, nicht früh genug eine Toilette zu erreichen, wenn es drängt und deswegen lieber zuhause bleibt oder regelmässig zu wenig trinkt, ist schwer festzumachen, aber gross.


Die Berlinerin Laila Olvedi hat das Missoir, ein Frauenurinal, entworfen – ein Hockurinal für Frauen ohne Wasserverbrauch


2002 hatte man im deutschen Aalen in Baden-Württemberg eine einfache wie geniale Idee: "Die nette Toilette". GastwirtInnen und LadenbesitzerInnen stellen ihre Toiletten kostenlos zur Verfügung und erhalten dafür von der öffentlichen Hand eine Aufwandsentschädigung. Ein roter Aufkleber weist auf die Teilnahme hin und gibt auch Auskunft darüber, ob ein Wickeltisch oder ein Behinderten-WC zur Verfügung steht. Hunderte deutsche Gemeinde haben sich dem Projekt bereits angeschlossen. Inzwischen gibt es auch eine App, die anzeigt, wo die nächste "nette Toilette" in dem jeweiligen Ort zu finden ist.

Die "nette Toilette"

Dass das Design öffentlicher Toiletten eine anspruchsvolle Bauaufgabe sein kann, beweist das "Tokyo Toilet Project", für das das Who-is-Who der japanischen Architektur im Vorfeld der Olympischen Spielen 2020 engagiert wurde, darunter keine Geringeren als Pritzer-Preis-Gewinner Toyo Ito, Shigeru Ban, Tadao Ando und Fumihiko Maki.

Das öffentliche Toilettenhäuschen des japanischen Architekten Ban Shigeru sorgten dabei für weltweite Schlagzeilen und Aufmerksamkeit in den Social Media. Die scheinbar exhibitionistische, farbig beleuchtete, transparente Anlage, die jedem den voyeuristischen Blick in den –gewöhnlich verborgenen– Intimraum erlaubt, birgt einen "Zaubertrick": Das Spezialglas wird undurchsichtig, sobald man die Tür verschliesst und bietet den BenutzerInnen die Privatsphäre und Sicherheit einer gewöhnlichen Toilette, während das Licht weiterhin hereinflutet.

Das Missoir, ein Urinal für Frauen, entwickelt von Laila Olvedi aus Berlin

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Das Missoir, ein Urinal für Frauen, entwickelt von Laila Olvedi aus Berlin

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Das langläufige Design der öffentlichen Toiletten, so die deutsche Industriedesignerin Bettina Möllring, die sich seit längerem mit Urinalen für Frauen beschäftigt, sei aber im Grunde uralt. "Da ist nichts passiert in der Zwischenzeit. Das sind wichtige Orte, wo wir uns entkleiden, wo wir schutzlos werden. Umso mehr brauchen wir das Gefühl von Sicherheit."

Warteschlangen ade!

"Kerle müssen nur von vorne abgedeckt werden, die Frau aber von vorne und hinten", so die junge, in Kopenhagen ansässige Architektin Gina Périer, die mit ihrem Kollegen Alexander Egebjerg das rosfarbene Lapee, ein Kunststoff-Urinal für Frauen, designt hat, sozusagen ein "Dixie-Klo 2.0" für Festivals und Outdoor-Events; industriell herstellbar, robust, leicht zu transportieren und einfach zu reinigen. Ein WC ohne Türen, das es Frauen ermöglicht, schnell und sicher, leicht erhöht, im Hocken zu pinkeln und dabei die Umgebung im Blickfeld zu behalten, ohne das andere hineinschauen können. Während des Pinkelns befindet sich die Frau auf gleicher Höhe wie eine stehende Person. Intim, aber nicht zu intim. Im herkömmlichen mobilen Häuschen dauere das Geschäft im Schnitt drei Minuten, so die ArchitektInnen, auf Lapee angeblich nur 30 Sekunden. Warteschlangen ade!


"Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern beim Zugang zu Toiletten in Städten ist weitgehend unsichtbar und so normalisiert, dass sie einfach nicht hinterfragt und meist ignoriert wird" Social Designerin Elisa Otañez


Nicht mehr vor dem Damen-WCs warten zu müssen, obwohl die Blase drückt, war auch das Ziel der Berlinern Laila Olvedi, die das Missoir, ein Frauenurinal, entworfen hat. Missoir ist ein Hockurinal für Frauen ohne Wasserverbrauch; auf dem Boden sind dabei drei Gitter eingelassen, frau pinkelt in der Hocke und kann sich bei Bedarf an den seitlichen Haltestangen stützen. Ähnlich wie beim Pissoir für Stehpinkler, gibt es keine Kabinentüren und eine direkte Nutzung ist möglich. "Wie pullern hinterm Busch - nur besser!"

Damen, Herren, behindert? Bitte wählen!

"Butch-Frauen werden oft aus Damentoiletten gejagt, geschlechtsneutrale Menschen haben keinen sicheren Platz zum Pinkeln, Trans-Frauen, die nicht das Privileg eines routinierten Passings geniessen, werden diskriminiert."
Justin Adkins, Trans-Aktivist(in)

Antje Mayer-Salvi, Gründerin, Geschäftsführerin und Chefredakteurin des C/O Vienna Magazine

Von stillen Örtchen und lautem Protest: LAUFEN BATHROOMS | Architektur

Antje Mayer-Salvi, Gründerin, Geschäftsführerin und Chefredakteurin des C/O Vienna Magazine

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Die Aufteilung öffentlicher Toiletten basiert zum Grossteil auf einem überkommenen Geschlechterkonzept, die Trans-Identitäten ausschliesst, was für jene zu Stresssituationen führt, nicht selten zu Beschimpfungen und Androhung von Gewalt, wenn jene die vermeintlich "falsche" Tür wählen. Dass Winkeltische vorwiegend immer noch in Damen-WCs vorzufinden sind, es für Frauen so gut wie in keiner Toilette möglich ist, sich vor und nach dem Wechsel der Monatshygiene Produkte innerhalb der Kabine die Hände zu waschen, ohne die Türklinke zu berühren – und damit etwas das Ausspülen einer Menstruationstasse unmöglich gemacht wird –, zeigen, dass das Konzept für öffentliche Toiletten überdacht werden muss.

Die deutsche AG trans*emanzipatorische Hochschulpolitik hat ein einfaches wie spannendes Experiment vorgeschlagen: Die Toiletten nach ihrer Funktion zu bezeichnen. Die Schilder benennen einfach, ob sich in dem Raum Urinale, Sitztoiletten oder nur Sitztoiletten befinden: "All genders are welcome."

Text: Antje Mayer-Salvi

In Erinnerung an Sabina Durdik

© Architonic

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