Klaus Leuschel, angesehener Designkritiker und Kurator, mit einer persönlichen Ehrung der in Bagdad geborenen Architektin, die trotz ihrer Ferne zum Establishment zu einer der einflussreichsten Granden der Architektur aufstieg.

Zaha Hadid (1950–2016); Foto Brigitte Lacombe

Zaha Hadid (1950–2016) | Aktuelles

Zaha Hadid (1950–2016); Foto Brigitte Lacombe

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Der International Style, als den Alfred Barr und Philip Johnson die unterschiedlichen Ausformungen der Gegenwartsarchitektur – in den Niederlanden, Deutschland, Tschechien und Italien bis Frankreich – 1933 im New Yorker Museum of Modern Art zusammenfassend präsentierten, war eine weitgehend eurozentristische Idee.

Vielleicht musste erst jemand wie Zaha Hadid die Bühne betreten, um die Architektur aus dem engen Korsett euklidischer Denkstrukturen zu befreien: 50 Jahre später erstmals mit dem Wettbewerbsentwurf für einen Freizeitclub oberhalb von Hong Kong (The Peak Leisure Club), um seither mit ihrer „planetarischen Architektur“ den „Internationalen Stil“ weiter zu entwickeln?

Kennengelernt hatte ich sie 1978 in Frankfurt. Als Student war ich in den grauen Vorzeiten des „Trans Europe Express“ von Hamburg angereist, weil Günter Bock zu einer Veranstaltung namens ARTE TEKTA eingeladen hatte. Mit allem, was Rang und Namen hatte: von Peter Cook (vormals Archigram) bis zu Adolfo Natalini (vormals Superstudio). Ebenfalls eingeladen: Rem Koolhaas (Office for Metropolitan Architecture).

MAXXI, das Nationale Museum der Künste des XXI. Jahrhunderts in Rom, 2009. Fotos: Iwan Baan (oben) and Hélène Binet (unten)

Zaha Hadid (1950–2016) | Aktuelles

MAXXI, das Nationale Museum der Künste des XXI. Jahrhunderts in Rom, 2009. Fotos: Iwan Baan (oben) and Hélène Binet (unten)

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Heute würde man früh einen ICE nehmen und sässe bei Veranstaltungsbeginn in der Schule. Damals reiste ich am Vortag an und inspizierte spätnachmittags die Städelschule. Ein langer Schlacks bereitete dort eine kleine Ausstellung vor. Eine junge Frau half ihm dabei. Es war unschwer zu erkennen, dass es um die Arbeit der Gruppe OMA ging. Und es sah so aus, wie Architekten es von Wettbewerben nur zu gut kennen. Ein Ende schien nicht absehbar.

Als der Schlacks namens Rem Koolhaas von Günter Bock beiseite gezogen wurde, offenbar um etwas zu besprechen, bot ich der Dame an, ihr zu assistieren. Erst im Nachhinein wurde mir klar, wem ich da hatte helfen dürfen: Zaha.

Dongdaemun Design Plaza, Seoul, 2014. Fotos: Virgile Simon Bertrand

Zaha Hadid (1950–2016) | Aktuelles

Dongdaemun Design Plaza, Seoul, 2014. Fotos: Virgile Simon Bertrand

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Mit ihrem Erfolg in Hong Kong kamen die abschätzigen Kommentare; spöttisch „unbaubar“ oder verständnislos „wieso nur diese explosionsartigen Zeichnungen?“. Für ihren Bruder entwarf sie einen Umbau („Eaton Place“ 1981/82). Damals wusste ich nicht, dass er Zahas Bilanz alljährlich „retten“ durfte. Nach The Peak soll er ihr angeblich nahegelegt haben, doch als Künstlerin weiter zu machen, denn dann dürfe sie immer zeichnen, könne damit aber wenigstens Geld verdienen. Er spielte damit auch an auf ihre Ausstellungen epochaler „Architekturgemälde“ in der Galerie von Max Protetch in New York.

Architekten, erst recht jene, die sich nicht im Mainstream der Kistelhuber bewegen, haben es schwer. Umso trauriger, wie sich die Kritik seither auf die einzige Frau im Haifischbecken der Weltarchitektur eingeschossen hat. Schnell und mit grosser Mehrheit. Oliver Wainwright (the Guardian) gehört zu den rühmlichen Ausnahmen, der Zahas legendäre Wutausbrüche einmal relativierte, indem er sie mit einem bekanntermassen (oft) mürrischen Rem Koolhaas und ähnlich prominenten Branchengrössen verglich.

Brücken-Pavillon in Saragossa, Spanien, 2010. Fotos: Fernando Guerra

Zaha Hadid (1950–2016) | Aktuelles

Brücken-Pavillon in Saragossa, Spanien, 2010. Fotos: Fernando Guerra

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Zaha hat nicht nur Weltklassearchitekturen realisiert. Und das gilt auch dann noch, wenn sie in Patrick Schumacher den Partner gefunden hatte, der entscheidend dazu beitrug, die zunehmend komplexeren Formen überhaupt möglich zu machen. Aber selbst wenn von 950 (Eigenangabe; realisierte und unrealisierte) Projekten nur 10 Weltklasse wären, sollten wir sie für diese in Erinnerung behalten. Ihr Kollege Jan Kaplicky (Future Systems) hat einmal gesagt: „Die Leute waren gegen St. Pauls. Sie waren gegen das Opernhaus in Sydney und gegen das „Centre Beaubourg“. Heute versenden sie Millionen MMS und „Selfies“ mit diesen Gebäuden.

Und wer im Übrigen Zaha Hadid eine Nähe zu Potentaten zuschreibt, möge sich doch bitte fragen, warum ihr? Einmal mehr war es Oliver Wainwright, der die Frage aufgeworfen hat, warum weder zum Hauptgebäude des CCTV (ironisch auch als Closed Circuit Television bekannt) in Bejing, zum Nationalstadion am gleichen Ort oder zu Prestigebauten am persischen Golf derartige Vorwürfe in vergleichbarer Lautstärke vernehmbar sind?

© Klaus Leuschel für Architonic

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