Letztes Jahr war der 100. Geburtstag von zwei Giganten des dänischen Möbeldesigns – Børge Mogensen und Hans J. Wegner. Während Ausstellungen und Buchvernissagen, die die zwei Gestalter im Besonderen und die grosse Bedeutung des dänischen Designs im Allgemeinen feierten, stellte sich immer wieder die Frage, ob der Zenit dänischen Designs bereits überschritten ist.

About a Chair von Hee Welling für Hay

Aktuelle Entwicklungen im skandinavischen Design | Design

About a Chair von Hee Welling für Hay

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Allzu oft wird in dieser Diskussion das sogenannte Goldene Zeitalter der Fünfziger- und Sechzigerjahre als Massstab herangezogen, um die gegenwärtigen Leistungen im Möbel- und Produktdesign zu beurteilen – mit der vorhersehbaren Schlussfolgerung, dass die jüngere Generation, trotz ihrer Anstrengungen, niemals die Höhe der alten Meister erreichen wird. Diese Meinung lässt sich zwar leicht vertreten (Sturheit bringt einen ja oft recht weit), ist aber nicht besonders fruchtbar, um gegenwärtige Entwicklungen im dänischen Design zu diskutieren.

Legt man den Fokus hingegen auf andere Faktoren, stellen sich sowohl historische als auch gegenwärtige Ereignisse anders dar. Der Kontext ist ausschlaggebend: Anstatt die künstlerischen Äusserungen als solche zu untersuchen, wirft eine Betrachtung der Designentwicklungen im Kontext des Wandels der skandinavischen Sozialsysteme und der zunehmenden Bedeutung des modernen Konsumenten womöglich neues Licht auf die Vergangenheit – und kann so gleichzeitig zu einem neuen Verständnis der Gegenwart beitragen. Schaut man von Kopenhagen in Richtung Stockholm oder über die Alpen nach Mailand, so versteht man den Einfluss kommerzieller Aspekte auf Designentwicklungen in einer stark globalisierten und vom Markt geprägten Welt besser.

Cover von Thomas Bentzen für Muuto. Der Prototyp wurde auf der Mindcraft12 ausgestellt

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Cover von Thomas Bentzen für Muuto. Der Prototyp wurde auf der Mindcraft12 ausgestellt

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Wohlfahrtsstaat und Konsum

Von einem externen Blickwinkel aus wird dänisches und schwedisches (abhängig vom Kontext manchmal auch norwegisches, isländisches oder finnisches) häufig unter dem gemeinsamen Nenner „skandinavisches Design“ zusammengefasst. Diese Bezeichnung weckt Assoziationen zu Werten, die mit dem Wohlfahrtsstaat in Verbindung gebracht werden, wie etwa Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Obwohl diese Werte zwar oft für Entwürfe aus Skandinavien gelten (man denke beispielsweise an John F. Kennedy in Hans Wegners PP503, oft als „The Chair“ betitelt), führt diese Auffassung doch in die Irre.

Der Wohlfahrtsstaat selbst hat nie Design in Auftrag gegeben; vielmehr ging das skandinavische Design, das wir kennen, aus einem Wissen um die Macht der Alltagskultur, die zur Emanzipation des einfachen Mannes beitrug, und aus den Bestrebungen des keynesianischen Wohlfahrtstaates, nach dem Zweiten Weltkrieg den privaten Konsum anzukurbeln, hervor. In einer gemeinsamen Anstrengung machten sich Fabrikanten und Architekten die neuen Marktbedingungen zum Vorteil. Aus dänischer Perspektive ist es wichtig, sowohl die Rolle der Möbelschreiner als Auftragnehmer und Hersteller zu verstehen als auch die künstlerischen Ambitionen der Architekten, um ein vollständiges Bild vom Aufstieg des modernen dänischen Designs zu erhalten.

Haiku von GamFratesi für Fredericia Furniture

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Haiku von GamFratesi für Fredericia Furniture

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Vertrieb

In Dänemark und Schweden bemühte man sich, der breiten Masse das moderne Möbelideal mittels Kooperativen nahezubringen. Die Firma FDB aus Dänemark wird oft als Geburtsstätte zahlreicher Klassiker von Børge Mogensen gefeiert, war aber nur relativ kurz erfolgreich und schaffte es nicht, ihre formschönen Entwürfe in den Durchschnittshaushalt zu bringen. Die Möbel trafen jedoch bei der kulturell bewanderten Mittelschicht einen Nerv und wurden so zum Statussymbol.

Der Massenkonsum forderte die qualitative Fertigung von Möbeln heraus. So wurden Tischlerarbeiten im Zuge neuer Produktionsweisen, die den Markt zunehmend dominierten, teuer und exklusiv. In Dänemark verfolgten Designer weiterhin die künstlerischen Ideale der Ära der Handwerkskunst, während die Hersteller an den Klassikern festhielten und sich zunehmend auf den lukrativeren Lizenzmarkt konzentrierten. Das Resultat war eine unzweckmässige Teilung zwischen Entwurf und Fertigung.

In Schweden bot IKEA nun ein neues Verständnis von „gutem“ Möbeldesign: Einfach, billig und flach verpackt, zielte es auf andere Marktsegmente ab. Da das schwedische nie ein dem dänischen Möbeldesign vergleichbares Goldenes Zeitalter durchlebte, konnte ihm nicht vorgehalten werden, Idealvorstellungen nicht zu erfüllen. In den Achtziger- und Neunzigerjahren war die neue Generation dänischer Designer hingegen beständig dem Vorwurf ausgesetzt, es nicht mit den vorangegangenen Generationen aufnehmen zu können. Die Grundbedingungen für Möbelproduktion und -konsum hatten sich verändert, aber die Ideale, mit denen man sich messen musste, nicht.

Clouds von Ronan und Erwan Bouroullec für Kvadrat

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Clouds von Ronan und Erwan Bouroullec für Kvadrat

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Kopenhagen – Stockholm – Mailand

Von Anfang an spielten Ausstellungen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des skandinavischen Designideals. Eine Wanderausstellung, die in den Fünfzigerjahren in die USA ging, war für den Export besonders bedeutsam und förderte das wachsende Schreinergewerbe. Sie basierte auf dem speziellen Bild eines modernen und demokratischen Skandinaviens.

Gleichzeitig wurden Ausstellungen, die von der dänischen Schreiner- und Tischlerinnung in Kopenhagen organisiert wurden, zum Hauptschauplatz der Entwicklung und Diskussion neuer Ideen und Designs. Während diese Ausstellungen noch recht klein und speziell ausgerichtet waren, entwickelte sich die Möbelmesse Kopenhagen in den Achtziger- und Neunzigerjahren zu einem jährlichen Rundum-Event, das von der robusten Sofalandschaft in gepolstertem Lederimitat über „Einrichtungsgegenstände für das ideale Zuhause“ bis hin zu avantgardistischen Möbel- und Designexperimenten reichte und vom Grossteil der Möbelproduzenten im Land organisiert und unterstützt wurde.

Viele andere Messen gewannen jedoch ebenfalls an Bedeutung und wurden zu kommerziellen Veranstaltungen – sie konkurrierten hart um die zahlungskräftigsten Aussteller und Kunden. Der Salone in Mailand wurde das, was Hella Jongerius als „Monster“ beschrieben hat; er überliess es anderen Messen, innerhalb ihrer Region zu konkurrieren oder sich auf bestimmte Fachbereiche zu spezialisieren. Schliesslich müssen Firmen wie Vitra ihre neuen Designs nur einmal vorstellen.

Während es Stockholm gelang, Kräfte für die Weiterentwicklung der stadteigenen Möbelmesse zu bündeln, legten dänische Möbel- und Designhersteller immer weniger Wert auf die Möbelmesse Kopenhagen und besannen sich auf eigene Showrooms und internationale Messen. Teil eines spezifisch dänischen Umfelds zu sein war weniger wichtig als der Wettbewerb mit nationalen und internationalen Firmen. Die besten Möbel und das beste Design zeichnete sich nicht mehr dadurch aus, in Dänemark entworfen oder hergestellt worden zu sein, sondern dadurch, international mithalten zu können. Entsprechend agierten die Firmen.

Die Ausstellung Mindcraft11 in Ventura Lambarate, Mailand zeigte dänische Handwerkskunst und wurde von Cecilie Manz kuratiert

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Die Ausstellung Mindcraft11 in Ventura Lambarate, Mailand zeigte dänische Handwerkskunst und wurde von Cecilie Manz kuratiert

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Neue Bündnisse
Die beschriebenen Entwicklungen sind zwar typisch für das Möbel- und Designumfeld, können aber auch im Licht allgemeinerer Diskussionen zu Zentrum und Peripherie gesehen werden, die im Zug der Globalisierung aufgekommen sind. Nachdem Kopenhagen seine Bedeutung als skandinavische Designhauptstadt verloren hatte, markierten einige neue Entwicklungen zu Beginn des neuen Jahrhunderts eine Wiederauferstehung des dänischen Designs.

Es wurden zwar einige Versuche unternommen, die Möbelmesse von Kopenhagen als Grossveranstaltung neu aufzulegen; Innovationen gehen jedoch von kleineren Sonderveranstaltungen aus – und mit jedem Jahr gibt es neue Ausstellungen, Events oder Plattformen, um gegenwärtige Entwicklungen zu fördern und einer Öffentlichkeit zu präsentieren. Einige davon sind unabhängig, einige Unikate, andere erfahren massive wirtschaftliche und planungstechnische Unterstützung und sind von längerer Lebensdauer.

Die staatliche Organisation Danish Crafts arbeitet im Rahmen ihrer Crafts Collection und der jährlichen Ausstellung Mindcraft in Mailand seit zehn Jahren erfolgreich an einer neuen Plattform für Kunst, Handwerk und Design aus Dänemark. Kuratiert von den grössten Talenten einer neuen Generation, die dort auch ausstellen, hat Mindcraft aufgezeigt, wie künstlerischer Ausdruck und kommerzielle Möglichkeiten sich gegenseitig befruchten können.

Die diesjährigen Kuratoren GamFratesi sind nur ein Beispiel vieler junger Designer, die sowohl eine zeitgemässe Avantgarde repräsentieren als auch eine Hommage an die skandinavische Tradition darstellen und ihre Entwürfe erfolgreich produzieren, verkmarkten und von Fachleuten vertreiben lassen. Einige von ihnen – wie Kvadrat – sind seit Jahrzehnten im Markt, während andere – wie Normann Copenhagen, Hay und Muuto – Anfang des neuen Jahrhunderts das Licht der Welt erblickten. Sie alle kommen aus Dänemark und haben neue Wege gefunden, mit neuen Bündnissen auf dem internationalen Designmarkt zu agieren und besitzen ein neues Verständnis für die künstlerischen und kommerziellen Aspekte des Geschäfts. Sie profitieren von der langen Traditionslinie des skandinavischen Designs – statt sich dadurch einengen zu lassen.

Flagship-Store von Normann Copenhagen in Østerbro, Kopenhagen

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Flagship-Store von Normann Copenhagen in Østerbro, Kopenhagen

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Quellen:

Lucy Creagh, Helena Kåberg und Barbara Miller Lane (Hrsg.), Modern Swedish Design: Three Founding Texts

Thomas Dickson, Dansk Design

Per H. Hansen, Da danske møbler blev moderne

Helena Mattsson und Sven-Olov Wallenstein (Hrsg.), Swedish Modernism: Architecture, Consumption and the Welfare State