Die neue Grenzübergangsstation in Calais, Maine, vom Architekturbüro Robert Siegel

Erstmals erscheint auf Architonic ein Text der Reihe «The Unsung» von unserem Autoren David Sokol in New York. David Sokol war kürzlich Managing Director bei I.D. Magazine und unterrichtete an der Rhode Island School of Design. Er schreibt regelmässig für Publikationen wie Azure, Interior Design und Mark.

Wenn Sie sich auf die Suche nach amerikanischer Architektur begeben, dann können Sie gleich am äussersten Ende beginnen. Dort, wo die Sonne aufgeht: Über Calais im US-Staat Maine, der östlichsten Stadt der Vereinigten Staaten. Aber sie ist dort auch schon untergegangen. Und mit ihr die Holzindustrie. Zwar bedecken immer noch Wälder diesen Teil des Staates, aber diese Industrie hat an Bedeutung verloren – und mit ihr auch Calais. Wenn man sich die teilweise vernachlässigte Hauptstraße ansieht, dann ist allein schon der Begriff “City” eine Übertreibung.

Und dennoch schmiegen sich die ein wenig altmodisch anmutenden Hotels und die verblassten idyllischen Häuser eng an eine mit Vinyl verkleidete Grundschule und an eine kleine Reihe von neueren “Fast-Food”-Restaurants an. Damit vermittelt Calais ein Bild des einen Amerikas – zwischen einer älteren, auf Rohstoffen basierenden Wirtschaft und einer postindustriellen Gegenwart, in der grösser zwar nicht mehr angemessen ist, aber normalerweise noch immer als besser empfunden wird.

Calais wird auch zu einem neuen Einreiseziel - d.h. zur Grenzstation für Kanadier und andere Reisende, die in die USA einreisen möchten. Die Stadt hat bereits zwei derartiger Übergänge, aber diese wie eine Pastille aussehenden Anlagen kommen aus den Zeiten der Prohibition, als die Regierung versuchte, Holzfäller vor kanadischem Alkohol zu bewahren. Die Zentralverwaltung (General Services Administration – GSA) beauftragte das in New York City ansässige Architekturbüro von Robert Siegel achtzehn Monate nach dem 11. September mit dem Design dieses Gebäudes. Diese Grenzübergangsstation ist das Produkt des renommierten Design Excellence Programms der GSA. Aber es ist auch ein Wahrzeichen der Angst, die sich in der gesamten Nation ausgebreitet hat: Nach dem Angriff wurden die Sorgen über zu gering bewachte Grenzen und das Eindringen von Terroristen zu Lieblingsthemen der Medien. Das Projekt sollte im nächsten Jahr zu dieser Jahreszeit fertig gestellt werden.

Die Gestaltung dieses spezifischen Geländes in Calais ist auf liebenswerte Weise das Gegenteil von willkürlich. Da der St. Croix River sich zum Atlantik dahinschlängelt, teilen sich hier die Landmassen so, dass Autos und LKW in östlicher Richtung fahren müssen, um in die USA einzureisen. Siegels Entwurf basiert auf einem ähnlichen Muster. Obwohl dieses Gebäude geradezu als die Personifizierung jener Festungsmentalität seit dem 11. September angesehen werden könnte, die für lange Warteschlangen an Flughäfen und für das Abhören von Telefonen sorgt, hat sich der Architekt dazu entschlossen, es mit anderen symbolischen Bedeutungen aufzuladen. Allein schon ein bemerkenswertes Defizit.

Angst zu zerstreuen erfordert eher mit einem Gelände zu arbeiten, als dieses zu dominieren. Siegel (gemeinsam mit den Landschaftsarchitekten Sasaki Associates und dem Ingenieurbüro Arup) teilte das Gebäude in zwei L-förmige Bereiche, die seltsam wirken. An einem Gebäude werden gewerbliche Fahrzeuge abgefertigt, an dem anderen Personenwagen. Zwischen den beiden liegt ein Streifen Land, der mit den wilden Heidelbeeren bepflanzt wird, die hier die Sommerfeste im August beleben und zur Identität dieser Stadt gehören. Dieses Heidelbeerfeld erhebt sich eher zu einer Böschung als zu einer Mauer und vermittelt den Ankommenden den Eindruck, die Landschaft sei hier eher offen als verbarrikadiert. Die Gebäude ihrerseits können selbstverständlich jene Zonen nicht verbergen, durch die Fahrzeuge zur ersten Inspektion durchgeschleust werden. Aber sie versuchen, diese so gut wie möglich zu tarnen: Indem beide Gebäude von einem Netzwerk aus Metall ummantelt werden, dessen geprägte Facetten jene Eisklumpen andeuten, die Maines Erdoberfläche tiefgreifend erfrieren und immer wieder auftauen lassen.

Und das Design hat auch die Menschen, die hier arbeiten werden, nicht vergessen! Sehen Sie sich nur die Böschung an! Unmittelbar dahinter befindet sich ein Hof, der mit beheizbarer Oberfläche die Geschäftsgebäude und die Passagierhallen miteinander verbindet. So wird er zu einem Zufluchtsort für all diejenigen werden, die vor dem Lärm und den Abgasen des Verkehrs und den aufgeregten Stimmen aufgebrachter Reisender fliehen möchten. Diese Anordnung garantiert gleichzeitig, dass Tageslicht in beide Innenbereiche der Gebäude einströmen kann. Der halb geschlossene Parkplatz, der sich unterhalb der Docks befindet, wo LKWs ihre Fracht zur Kontrolle abladen, ist ein Gelände, das die Kosten für das Schneeschaufeln und das Entfernen von Eis ersparen wird und dabei noch Unfälle zu vermeiden hilft.

Trotz der Funktion solch eines Gebäudes, das ja unweigerlich einschüchtert, und trotz der unvermeidlichen Kosten-Nutzen-Analyse, gelingt es Siegels Gestaltung – auf ein Wort verkürzt – menschenfreundlich zu erscheinen. Zwar kommt diese Anlage nicht so extravagant daher wie ein von von einer Berühmtheit entworfenes Bundesgerichtsgebäude, aber sie wirbt geschickt für all die Qualitäten des Design Excellence Programms. Vielleicht ist hier sogar Bescheidenheit der Kernpunkt, wo doch Spektakuläres – gerade bei einer ersten Begenung mit der Regierung der USA – schnell in einem schiefen Licht erscheinen könnte.

Willkommen im »Unbekannten Amerika«. Diese Rubrik wurde von Alice Rawsthorns Kritik inspiriert, dass es in den USA an wirkungsvollen Möbel-Designern fehle. Diese Kolumne beobachtet die Bedingungen in Städten und Gemeinden, auf denen vielfältige Bereiche des Designs und der Architektur aufbauen. Die Beiträge des «Maine Journal» sind die ersten in einer Recherche, die Staat für Staat umfassen soll. Nächstes Mal: Eine Schule am Ende der Welt.

Alle weiteren Kolumnen erscheinen nur noch im amerikanischen Original, weil sie nicht zuletzt von jenem Sprachwitz leben, der sich (fast) nur durch die Lektüre der Muttersprache erschliessen kann [Der Übersetzer.]