Bei Abu Dhabi wird 2015 die erste karbonneutrale Stadt der Welt bezugsfertig sein. In der Hauptrolle: die Fussgänger.

Fotos: Foster + Partners

Zukunftslabor in der Wüste | Aktuelles

Fotos: Foster + Partners

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Der Begriff der Idealstadt wird oft mit dem der Utopie in Verbindung gebracht. Eine von Grund auf geplante Stadt ist ein Versuch, einer gesellschaftlichen Wunschvorstellung ein Gefäss zu geben. Solche Wünsche sind so alt wie die Stadt selbst, bereits in der Antike und vor allem auch in der Renaissance wurden etliche Idealstädte geplant oder zumindest in literarischer Form umrissen. Umgesetzt wurden aber nur wenige. Es gab aber auch in der jüngeren Architekturgeschichte Versuche, der idealen Stadt ein Gesicht zu geben: Beispiele hierfür sind Howards Gartenstadt, Costas Brasilia oder Corbusiers Chandigarh in Indien. Projekte, die aus heutiger Sicht immer auch gemischte Gefühle hinterlassen.

In den Vereinigten Arabischen Emiraten, die ja schon seit Jahren für ihre technokratischen Grossprojekte bekannt sind, erlebt der Begriff der Idealstadt allerdings gerade eine Renaissance. Ungefähr 30 Kilometer von Abu Dhabi entfernt, entsteht bis 2016 ein von Foster & Partners geplantes Zukunftslabor in der Wüste, bewohnt von 50'000 Menschen. Dazu gesellen sich täglich 40'000 Pendler. Ziel dieser einzigartigen Planung ist die Nachhaltigkeit, es soll die erste Stadt sein, die ihren Energiehaushalt selber aufbringt. So sorgen unter anderem Windenergie- und Photovoltaikanlagen für die Energiegewinnung, und bis zu 60 % des Abwassers werden wieder aufbereitet.

Doch auch in der Planung der Bausubstanz werden neue Wege beschritten, ganz im Sinne des wieder populären dichten Bauens. Die Stadt wird basierend auf einem geometrischen Grundriss gebaut. In der Gestaltung der Strassenzüge wird allerdings kein europäischer Architekturkolonialismus betrieben, sondern frühe arabische Siedlungsformen dienen als Inspiration. Es wird niedrig und dicht gebaut, die Maximalbauhöhe liegt bei 40 Metern und die durchschnittliche Strassenbreite beträgt nur vier bis sieben Meter. Schatten spenden unter anderem Vorsprünge in den Fassaden der Häuser, sowie grosse Fächer, welche versetzt über den Strassen platziert werden. Der geometrische Grundriss der Stadt wird durchbrochen von zwei grünen Gürteln, die als „Lungen“ der Stadt fungieren und den Wind in die engen Gassen weiterleiten. Zusätzlich zu den Gürteln gibt es eine zentrale Achse, an welche die wichtigen Institutionen angegliedert sind und durch welche die Hauptverkehrsachse verläuft. Dahinter befindet sich eine Handelszone mit Geschäften und Wohnungen. Die dritte Zone bildet den Abschluss der Stadt gegen aussen und beherbergt Parkhäuser, Depots und die Müllaufbereitungsanlagen. Es handelt sich hier also um eine moderne Form der ummauerten Stadt, Zersiedelung nach aussen gibt es hier nicht. Zudem ist die Bevölkerungsdichte mit 29'000 Menschen pro Quadratkilometer erstaunlich hoch und die Balance zwischen Wohn- und Arbeitsraum ist ausgeglichen.

Für den Transport innerhalb der Stadt sorgen Personal Rapid Transport Pods, Elektromobile ohne Fahrer, die den Gast per Knopfdruck an den gewünschten Ort bringen. Kein Punkt innerhalb der Stadt befindet sich mehr als 150 Meter entfernt von einer Station des öffentlichen Verkehrs entfernt und Orientierungslose können sich in an interaktiven, in der Stadt verteilten Panels mittels Touchscreen informieren und ihre Route planen. Nach Jahrzehnten der Autodominanz in der Stadtplanung entsteht hier nun die erste Fussgängerstadt seit der Verdrängung und Disziplinierung der Fussgänger: Er und seine subjektive Wahrnehmung werden wieder ins Zentrum gesetzt, was entsprechend qualitativ hochstehende öffentliche Räume voraussetzen wird. Schon der berühmte Raumtheoretiker Henri Lefebvre meinte hierzu: „Um das Leben zu ändern muss der Raum geändert werden.“

Masdar soll die Stadt heissen, arabisch für „Quelle“. Und als Quelle für Forschung und Innovation versteht sich auch das ganze Vorhaben. Private Investoren aus aller Welt, auch aus der Schweiz, finanzieren Bau und Planung dieses Projektes. Es soll ein weltweites Zentrum und Ideenlabor für erneuerbare Energien werden. In Masdar kommen Unternehmen und Institute zusammen, welche sich besonders stark in Forschung und Entwicklung engagieren und welche die neuesten Innovationen hervorbringen, so zum Beispiel die Columbia University, das Tokyo Institute of Technology und Siemens.

Die erste karbonneutrale Stadt versteht sich somit als Blaupause, als Idee einer Zukunft für die Zeit nach dem Ölzeitalter. Dass solche Mammutprojekte nicht eins zu eins zurück übertragen werden können in das „richtige“ Leben ist klar, doch setzen sie wichtige Zeichen und liefern Denkanstösse. Das ganze Business der Zukunftsforschung funktioniert so. Masdar ist somit im wahrsten Sinne des Wortes eine Idealstadt und Verkörperung einer Wunschvorstellung, wie drängende Probleme gelöst werden könnten.

Etwas jedoch darf nicht vergessen werden. Auch Fritz Langs Metropolis war eine Zukunftsvision, eine Vision, die auf dem Rücken von Armen und Benachteiligten aufgebaut wurde. Hier stellt sich die Frage, wie in Zukunft damit umgegangen wird, dass in den Vereinigten Arabischen Emiraten solche Grossprojekte von Wanderarbeitern unter schlechten Bedingungen und für wenig Lohn gebaut werden. Hier kriegt Masdar’s Anspruch auf Nachhaltigkeit Schräglage, und das Projekt wirkt plötzlich wie ein überdimensionierter Schnellschuss, der wenig zu tun hat mit den Orten, wo die tatsächlichen zukünftigen und ganz alltäglichen Herausforderungen bezüglich Nachhaltigkeit liegen: In den armen Ländern, die sich solche Efforts und britische Stararchitekten nicht leisten können. Zudem steht und fällt ein solches Experiment auch mit dem Alltagsverhalten der Bewohner und ihrem Nutzungsverhalten. Wie hoch wird die Strafe für falsch entsorgten Müll in Masdar wohl sein?