Im ersten Teil der Busch-Jaeger Intelligence Series – einer Reihe von drei Artikeln, die von dem deutschen Spezialist für Elektroinstallationstechnik und Gebäudeautomation gesponsert werden – spricht Architektin Ursula Fuss über einen inklusiven Ansatz des barrierefreien Bauens, die Möglichkeiten der Technologie und darüber, wie automatisierte Prozesse dazu beitragen können, unsere Zukunft für alle zugänglicher zu machen.

Busch-Jaeger ist ein führender Experte, wenn es darum geht, Häuser mit den notwendigen Hilfsmitteln für Barrierefreiheit, Komfort und Sicherheit auszustatten

Barrieren abbauen: die Busch-Jaeger Intelligence Series | Aktuelles

Busch-Jaeger ist ein führender Experte, wenn es darum geht, Häuser mit den notwendigen Hilfsmitteln für Barrierefreiheit, Komfort und Sicherheit auszustatten

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Die Frankfurter Architektin Ursula Fuss ist sehr deutlich, wenn es um den grössten Fallstrick des barrierefreien Bauens geht. „Es gibt ein Vorurteil, das tief in unserer Gesellschaft verwurzelt ist: dass Menschen mit einer anderen Lebensweise – und ich spreche bewusst von Lebensweisen und nicht von Behinderungen – grundsätzlich hilfsbedürftig sind." Das gilt für unsere immer älter werdende Bevölkerung, aber auch für diejenigen unter uns, die tagtäglich verschiedene Lebensherausforderungen selbständig meistern. Die Lösung für Fuss: ein inklusiver Ansatz in Architektur und Design auf der Basis von echtem Interesse und gegenseitigem Dialog. Wo man am besten anfängt? Indem man sicherstellt, dass Planer:innen die Bedürfnisse ihrer Bewohner:innen von Anfang an berücksichtigen und in Forschung, intelligente Technologie und eine kreative Auslegung der bestehenden Richtlinien investieren.

Frau Fuss, Sie selbst nutzen einen Rollstuhl und erleben aus eigener Erfahrung und Sicht einer Architektin, wann Architektur mal mehr, mal weniger barrierefrei ist. Was sind die wichtigsten Faktoren, die es im Design und Bau zu berücksichtigen gilt?

In den 30 Jahren, in denen ich das jetzt mache, habe ich gewisse Veränderungen in der Gleichstellung miterlebt. Aber so richtig entwickelt sich das ganze Thema Barrierefreiheit erst, seit 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland ratifiziert wurde. Das Schwierige an der barrierefreien Architektur ist es, den Leuten klarzumachen, worum es hier eigentlich geht – nicht nur auf die Behinderung zu schauen. Bei meinen Lehraufträgen sage ich immer: Ihr müsst davon wegkommen zu denken, dass Menschen mit einer anderen Lebensweise – ich spreche hier bewusst nicht von Behinderungen – grundsätzlich hilfsbedürftig sind. Diese Perspektive gilt es zu verlieren.

Wie zum Beispiel?

Nur wenn man auch mal bereit ist, Fragen über den Alltag mit körperlicher Beeinträchtigung zu stellen, erfährt man funktionale Zusammenhänge. Diese sind wiederum wichtig für eine Konzeption, die zu einer tatsächlich hilfreichen barrierefreien Architektur führen kann. Barrierefreiheit gibt es nur über eine gute Entwurfskonzeption. An den Hochschulen müsste das noch viel mehr gelehrt werden. Nur gibt es einfach zu wenige, die es können.

Ursula Fuss hat Architektur an der FH Wiesbaden und an Hochschule der bildenden Künste Städelschule bei Peter Cook studiert. Qualifiziert hat sie sich neben der selbstständigen Arbeit durch Lehre und Fachvorträge zu Themen des barrierefreien Bauens

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Ursula Fuss hat Architektur an der FH Wiesbaden und an Hochschule der bildenden Künste Städelschule bei Peter Cook studiert. Qualifiziert hat sie sich neben der selbstständigen Arbeit durch Lehre und Fachvorträge zu Themen des barrierefreien Bauens

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Auch, weil nicht jede(r) Rollstuhlfahrer:in automatisch Botschafter der gewünschten Zielgruppe werden will – Sie sind da von Berufswegen die Ausnahme.

Viele, die einen Rollstuhl nutzen, wissen selbst gar nicht, was designtechnisch möglich ist und denken dann, es muss so aussehen, wie es aussieht. Wenn man ihnen aber erklärt, dass es andere Optionen gibt, sind sie verblüfft. Ein Stützklappgriff zum Beispiel ist wunderbar. Aber was gibt es für Alternativen? Im Bad ginge das Abstützen auch an einer Vorwand neben der Toilette, womöglich auch mit kleinem Griff. Mit einem Mal kann ich eine Fläche gestalten, auf der sich Dinge ablegen lassen, die ich brauche, wenn ich auf der Toilette sitze.


Viele, die einen Rollstuhl nutzen, wissen selbst gar nicht, was designtechnisch möglich


Solche Beispiele gibt es vielfach. Was auf dem Markt existiert, ist zwar schön brav nach Norm gemacht. Man sollte sich aber im Klaren darüber sein, dass die Norm vom Wochenendhaus bis zum Pflegeheim alles abdeckt – nur ist ja nicht jeder ein 24-Stunden-Pflegefall.

Bei barrierefreien Gebäuden sind Erschliessungspläne und -strukturen von zentraler Bedeutung. Sobald ein übergreifendes Konzept erstellt wurde, können die individuellen Bedürfnisse in einzelnen Räumen berücksichtigt werden

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Bei barrierefreien Gebäuden sind Erschliessungspläne und -strukturen von zentraler Bedeutung. Sobald ein übergreifendes Konzept erstellt wurde, können die individuellen Bedürfnisse in einzelnen Räumen berücksichtigt werden

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Ein Grossteil Ihrer Arbeit liegt darin, Planer:innen auf die richtigen Fragen zu stossen. Wie war das bei Ihnen selbst nach ihrem Sturz? Haben Sie plötzlich alles gesehen, was so gar keinen Sinn ergab, weil es alles andere als barrierefrei war?

Ich hatte gerade angefangen zu arbeiten, als das passiert ist. Dann lag ich in der Reha-Klinik mit raumhohen Schränken und dachte mir, wie sollen da Rollstuhlfahrer:innen hinkommen? Damals beschloss ich, das muss anders werden! Ich begann, die Dinge zu hinterfragen und zu verstehen, dass jede Norm oder Richtlinie nur eine Empfehlung und juristisch völlig irrelevant ist. Tatsächlich steht ein wichtiger Satz in der DIN: „Die mit den Anforderungen nach dieser Norm verfolgten Schutzziele können auch auf andere Weise als in der Norm festgelegt erfüllt werden.“


Ich lag in der Reha-Klinik mit raumhohen Schränken und dachte mir, wie sollen da Rollstuhlfahrer:innen hinkommen?


Ich habe grosse Architekturbüros beraten, die mich fragten: Heisst das, ich darf jetzt ein schönes Behindertenklo bauen? In genau dieser Unsicherheit stecken wir. Es kommen so viele Anforderungen im Wohnungsbau auf uns zu. In Hotels ist die Zahl ja praktisch explodiert. Die Orientierung in diesem Vorschriften-Wirrwarr wird dann noch komplettiert, indem in Landesbauordnungen ganz unterschiedliche Dinge gefordert werden, dann noch technische Baubestimmungen kommen – Architekt:innen sind verloren.

Lichtschalter wie der Future® Linear von Busch-Jaeger sind gross und gut sichtbar mit erhabenen Symbolen, was besonders bei Sehbehinderungen hilfreich ist. Ihre Positionierung kann individuellen Bedürfnissen entsprechend angepasst werden

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Lichtschalter wie der Future® Linear von Busch-Jaeger sind gross und gut sichtbar mit erhabenen Symbolen, was besonders bei Sehbehinderungen hilfreich ist. Ihre Positionierung kann individuellen Bedürfnissen entsprechend angepasst werden

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Welche Rolle spielt die Zugänglichkeit für Praktiker:innen der Architektur und des Designs?

Wichtig ist, dass die Erschliessung für alle gleichberechtigt möglich ist. Das ist natürlich eine Frage des Konzepts, wie man ein Gebäude strukturiert, Geschosshöhen zueinander setzt und so weiter. Am Anfang steht das Erschliessungskonzept und dann kann man in die individuellen Flächen gehen, um einen integrativen Lebensansatz für Menschen verschiedener Alters- und Fähigkeitsgruppen zu planen. Ich war einmal Preisrichterin bei einem Architekturwettbewerb, bei dem ich eines der teilnehmenden Büros darauf hinwies, dass es mit der Barrierefreiheit ihres Projektes noch nicht so ist, wie es sein sollte. Da gab es Treppen und Sitzstufen und wir Rollstuhlfahrer durften dann Aufzug fahren.


Das ist das, was in der Barrierefreiheit steckt: neue Erfahrungen machen mit Dingen, die uns allen bekannt sind


Für die nächste Etappe habe ich eine Empfehlung mitgegeben: Arbeitet mit einer Rampe mit 5 % Neigung, dafür ohne Zwischenpodest. Und dann versucht mal, dass wir bei den Sitzstufen zumindest in Teilbereichen einbezogen werden. Sie haben es nur ausprobiert, um mir zu beweisen, dass es nicht geht. Merkten aber plötzlich, dass wir nicht mehr im Erschliessungsmodus dachten, sondern im räumlichen Modus arbeiteten. Letztlich haben sie vier Geschosse plus Dachterrasse erschlossen. Das ist das, was in der Barrierefreiheit steckt: neue Erfahrungen machen mit Dingen, die uns allen bekannt sind.

Welche Rolle spielt Technik bei barrierefreien Massnahmen?

Es gibt zum Beispiel eine digitale Indoor-Navigation, mit deren Hilfe Gebäude für Menschen mit Sehbehinderung zugänglich gemacht werden können, ohne dass man Leitstreifen verlegt. Eine App sagt dir dann bis auf einen Meter genau, wo die gesuchte Tür liegt. Auch automatisierte Prozesse sind wichtig: Altersgerechte Assistenzsysteme, intelligente Gebäudetechnik und Smart-Home-Anwendungen sind äusserst hilfreich. Technische Lösungen können allerdings auch in weniger schöne Richtungen gehen. Was ich ganz schwierig finde, sind Hebebühnen und Treppenlifte für Rollstuhlfahrer:innen. Aus einem ganz einfachen Grund: sie sind zum einen oft extrem langsam, zum anderen werden Sie im öffentlichen Bereich auf ein Tablett gehoben.

Vor allem für die älter werdende Bevölkerung kann Technologie ein hilfreiches Mittel sein, um Wohnbereiche an die sich ändernden Bedürfnisse anzupassen

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Vor allem für die älter werdende Bevölkerung kann Technologie ein hilfreiches Mittel sein, um Wohnbereiche an die sich ändernden Bedürfnisse anzupassen

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Mit zunehmendem Alter erleben Menschen etwa durch Seh-, Hör- und Gleichgewichtseinschränkungen Hürden, die das selbstbestimmte Leben erschweren können. Wie lassen sich diese verschiedenen Bedürfnisse in die Gebäudeplanung einbeziehen?

Ältere Menschen lernen Fähigkeiten, wie sich anhand von Akustik zu orientieren, wahrscheinlich nicht mehr so gut wie jüngere sehbehinderte und blinde Menschen. Dennoch gewöhnen sie sich schrittweise an die schwindenden Sinne wie das Sehen, Hören oder das Gleichgewicht. Das Sinnvollste ist also, zu fragen, was tatsächlich gebraucht wird und gemeinsam zu überlegen, welche Lösungen sich finden lassen. Wenn ich explizit altersgerechtes Wohnen plane, plane ich es natürlich von vornherein so, dass man sich beispielsweise am Waschtisch im Bad auch mal setzen kann.


Das Sinnvollste ist, zu fragen, was tatsächlich gebraucht wird und gemeinsam zu überlegen, welche Lösungen sich finden lassen


Ein Thema ist die Diskussion um die Höhe der Lichtschalter. Die meisten älteren Menschen landen ja nicht zwingend im Rollstuhl, sondern laufen erstmal am Gehstock oder Rollator. Entscheidend ist hierbei der sichere Stand. Sobald man sich bücken muss, verliert man die Stabilität. Wenn die Lichtschalter nun auf 85 und nicht auf 105 cm Höhe positioniert sind, ist das ein Fallrisiko – nur weil der Lichtschalter zu tief ist. Wenn Rollstuhlfahrer:innen den Arm nicht mehr heben können, dann ist die niedrigere Höhe natürlich wieder sinnvoll – allerdings nur im eigenen Raum. Darüber hinaus gibt es allerlei smarte Funktionen, die komfortable und angenehme Alltagssituationen schaffen und so ein Höchstmass an Unterstützung bieten.

Gibt es dennoch geeignete Tools, die die Planung für Neueinsteiger:innen im Gebiet erleichtern?

Es gibt eine sinnvolle Übersicht, von der ich denke, dass sie die beste ist: Das ist der Leitfaden für barrierefreies Bauen vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, den man sich kostenlos herunterladen kann. Er ist nicht so stringent, sondern betont, dass Anforderungen eben auch gestalterisch erfüllt werden können.

© Architonic

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