Keramikmosaike gibt es seit Tausenden von Jahren. Seit die internationale Baubranche ihre funktionalen und ästhetischen Vorteile wiederentdeckt hat, ist die alte Technik wieder gefragt.

Ein Mosaik aus Weissglas und Carrara-Marmor bedeckt die Rahmenfelder um die Eingänge und Fenster des Lakewood Garden Mausoleum von HGA; Foto: Paul Crosby

Mosaik: kleine Steinchen, viele Möglichkeiten |

Ein Mosaik aus Weissglas und Carrara-Marmor bedeckt die Rahmenfelder um die Eingänge und Fenster des Lakewood Garden Mausoleum von HGA; Foto: Paul Crosby

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Über Jahrtausende wurden Denkmäler und Gebäude durch Mosaike verschönert – von den antiken Tempeln Griechenlands und Roms bis zur farbenfrohen Bruchkeramik von Antoni Gaudís Park Güell in Barcelona. Das Erscheinungsbild von Prestigebauten sollte durch Szenen oder Muster, die aus einer Vielzahl kleiner Steinchen zusammengefügt sind, aufgewertet werden.

Aber auch unter zeitgenössischen Architekten wächst das Interesse an den funktionalen und dekorativen Möglichkeiten dieser Technik, entweder für komplette Fassadengestaltungen oder für Details, die an die Meisterwerke vergangener Zeiten anknüpfen. In einer Zeit, in der im Baugeschäft alles schnell und billig gehen muss und fast ausschliesslich vorgefertigte Elemente zum Einsatz kommen, bietet das Mosaik eine „humane“ Alternative, der man ansieht, wie viel handwerkliches Können in ihr steckt.

Der Kontrast zwischen detailliertem Handwerk und rohem Naturstein soll eine Schwelle zwischen Leben und Jenseits andeuten; Foto: Paul Crosby

Mosaik: kleine Steinchen, viele Möglichkeiten |

Der Kontrast zwischen detailliertem Handwerk und rohem Naturstein soll eine Schwelle zwischen Leben und Jenseits andeuten; Foto: Paul Crosby

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Aufgrund ihres emotionalen Gehalts ist diese Form der Ornamentik besonders für die religiöse Architektur geeignet, die seit jeher Wert darauf legt, die Bedeutung eines Baus durch reiche künstlerische Ausgestaltung hervorzuheben. Hierfür ist das Lakewood Garden Mausoleum in Minneapolis, dessen Eingangs- und Fensterbereich von der amerikanischen Firma HGA mit einem monochromen Mosaik verkleidet wurden, ein aktuelles Beispiel. Dieser handwerkliche Akzent setzt eine menschliche Note im Übergangsbereich zwischen Vorplatz und Innenraum.

Das Mosaik besteht aus kleinen Stücken Carrara-Marmor und Weissglas, die zu einem abstrakten Muster gefügt sind, das sowohl geometrische als auch organische Formen evoziert und die kunstvolle Verzierung der benachbarten Kapelle aus dem Jahr 1910 aufnimmt. Das filigrane Schleifenmotiv auf den abgerundeten Rahmenfeldern kontrastiert mit der sperrigen Bruchflächen der grauen Granitfassaden. Die Architektin Joan Soranno beschreibt diesen Gegensatz als „Analogie von Geist und Erdverbundenheit, die einen metaphorischen Austausch andeutet“. Die Wiederholung des Musters bringt Ordnung in das Fassadenbild und seine detailreiche Ausführung bezeugt den Kunstsinn, der einem Ort der religiösen Andacht zukommt.

Die Wandflächen des renovierten Delfter Bahnhofs sind mit Mosaiken aus weissen und blauen Kacheln verziert, die auf die berühmte Keramiktradition der Stadt verweisen; Foto: Koninklijke Mosa

Mosaik: kleine Steinchen, viele Möglichkeiten |

Die Wandflächen des renovierten Delfter Bahnhofs sind mit Mosaiken aus weissen und blauen Kacheln verziert, die auf die berühmte Keramiktradition der Stadt verweisen; Foto: Koninklijke Mosa

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Das Mosaik erinnert an die Entwürfe des spanischen Architekten Antoni Gaudí und ist Ausdruck einer zeitgemässen Ästhetik; Foto: Koninklijke Mosa

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Das Mosaik erinnert an die Entwürfe des spanischen Architekten Antoni Gaudí und ist Ausdruck einer zeitgemässen Ästhetik; Foto: Koninklijke Mosa

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Werke der traditionellen Mosaikkunst sind von zeitloser Schönheit. Aber auch heute suchen Architekten nach Wegen, das Mosaik in neue Zusammenhänge einzubinden, ohne dass sein kunstgewerblicher Charakter verloren geht. Der Name der niederländischen Stadt Delft ist untrennbar mit der nach ihr benannten blau-weissen Keramik verbunden. Das lokale Architekturbüro Mecanoo liess sich beim Umbau des Delfter Hauptbahnhofs von dieser Assoziation inspirieren. Über die Stadskantoor en NS Station sind mehrere visuelle Interpretationen der weltberühmten Delfter Fayence verstreut. Manche Flächen sind sogar mit Mosaiken aus Kachelsplittern à la Gaudí bedeckt.

Wände und Pfeiler sind mit Mosaiken aus blauen und weissen Keramiksteinen des Fliesenherstellers Mosa besetzt. Es gab keine praktischere Lösung für die geschwungenen Flächen, denn die einzige Alternative wären kostspielige dreidimensionale Formfliesen gewesen. Der Anteil der weissen und blauen Steine im Gesamtkonzept wurde durch eingehende Analysen der Delfter Tonwaren ermittelt. Drei verschiedene Blautöne wurden produziert. „Das Endresultat ist lebhaft und dennoch harmonisch“, erklärt ein Statement von Mosa. „Eine moderne Interpretation der Delfter Keramik auf nüchterne niederländische Art.“

Die Fliesen bedecken die gesamte Innenfläche des Schachts, der bis auf Strassenniveau führt und Tageslicht in die unterirdischen Räume einlässt; Foto: Andrea Resmini

Mosaik: kleine Steinchen, viele Möglichkeiten |

Die Fliesen bedecken die gesamte Innenfläche des Schachts, der bis auf Strassenniveau führt und Tageslicht in die unterirdischen Räume einlässt; Foto: Andrea Resmini

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Der Architekt Oscar Tusquets Blanca wollte in den Bereichen der Station, die unter dem Meeresspiegel liegen, den Eindruck einer Unterwasserwelt erwecken; Foto: Andrea Resmini

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Der Architekt Oscar Tusquets Blanca wollte in den Bereichen der Station, die unter dem Meeresspiegel liegen, den Eindruck einer Unterwasserwelt erwecken; Foto: Andrea Resmini

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Ein weiteres öffentliches Gebäude mit zeitgemässem Mosaikdekor ist die vom spanischen Architekten Oscar Tusquets Blanca entworfene U-Bahn-Station Toledo in Neapel. Im Rahmen eines stadtweiten Programms zur künstlerischen Gestaltung der Metrostationen überzog Blanca die Innenflächen eines riesigen Lichtschachts, der vom Strassenniveau bis in die 38 Meter tief gelegene Bahnsteighalle hinunterreicht, mit einem blauen Kachelmosaik. In die Piazza eingelassene Oberlichter bringen natürliches Licht in die unterirdischen Gänge und Hallen.

Ausser dem Lichtschacht sind nur jene Flächen der Station mit Mosaiken verziert, die unter dem Meeresspiegel liegen. Die Fliesen des italienischen Herstellers Bisazza sollen den Eindruck erwecken, als befände man sich unter Wasser. Ihre Glasur reflektiert tagsüber das eindringende Sonnenlicht und zu späterer Stunde das Licht der LED-Leuchten, die um die Schachtöffnung verteilt sind. Insgesamt erzeugt das Mosaik eine regellose, organische Raumwirkung, die gut zur Unterwasser-Thematik passt.

Die Fassaden des North Bondi Surf Life Saving Club von Durbach Block Jaggers sind zur Gänze in ein unregelmässig gemustertes Mosaik gehüllt, das die abgerundeten Ecken des Gebäudes überzieht; Foto: John Gollings

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Die Fassaden des North Bondi Surf Life Saving Club von Durbach Block Jaggers sind zur Gänze in ein unregelmässig gemustertes Mosaik gehüllt, das die abgerundeten Ecken des Gebäudes überzieht; Foto: John Gollings

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Keramikfliesen eignen sich dank ihrer verglasten Oberfläche besonders für Anwendungen, in denen Widerstandsfähigkeit gefragt ist. Das Architekturbüro Durbach Block Jaggers aus Sydney hüllte die gesamte Fassade seines skulpturalen Designs für den North Bondi Surf Life Saving Club in ein Mosaik aus unregelmässigen weissen, cremeweissen und grauen Kacheln, die eine robuste Schale gegen den aggressiven Salzwasserdunst bildet, der viele Strandbauten angreift. Das Mosaik erstreckt sich über die abgerundeten Ecken des Gebäudes ebenso wie über das Profil einer Aussparung, die von der Dachterrasse an der Strandseite einen dramatischen Meeresblick freigibt. Der Anteil von matten und glänzenden Fliesen variiert: An den Süd- und Ostfassaden, wo der Einfluss der Witterung am stärksten ist, überwiegen glänzende Oberflächen.

Die Kacheln von unterschiedlicher Grösse und asymmetrischer Form fügen sich zu einer dynamischen, reich strukturierten Aussenhaut. Das Glitzern, das entsteht, wenn die Fassade nachts von den Scheinwerfern eines vorüberfahrenden Autos angestrahlt wird, bezeichnet der Architekt Neil Durbach als „nicht eingeplantes Extra“. Die Innenflächen der Dachterrasse tragen ein Mosaik aus kleineren quadratischen Steinchen in sechs verschiedenen Blautönen, die den atmosphärischen Wechsel von Himmel und Meer widerspiegeln sollen. Der changierende Glanz der Kacheln und die mit der Tageszeit wechselnden Lichtreflexionen bringen Abwechslung in das Wandprofil, sodass die geschwungene Form des Innenhofs – die Durbach als „fliessend und sanft, sinnlich und glatt“ charakterisiert – stärker hervortritt.

Beim eher traditionellen Mosaik für die Terrasse des North Bondi Surf Life Saving Club kommen verschiedene Blautöne zum Einsatz, die den atmosphärischen Wechsel von Himmel und Meer widerspiegeln; Foto: John Gollings

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Beim eher traditionellen Mosaik für die Terrasse des North Bondi Surf Life Saving Club kommen verschiedene Blautöne zum Einsatz, die den atmosphärischen Wechsel von Himmel und Meer widerspiegeln; Foto: John Gollings

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Mosaike eignen sich ebenso gut als Aussenverkleidung wie als abstraktes Innendekor für grosse Infrastrukturprojekte. Dementsprechend gross ist das Potenzial neuer Anwendungsmöglichkeiten. Die Fachausstellung für Keramikfliesen und Badezimmerausstattung Cersaie Bologna (28. September bis 2. Oktober) wird mit Sicherheit weitere Einblicke in die Welt des Mosaiks gewähren. Man kann davon ausgehen, dass die Messe den Anstoss zur nächsten Generation innovativer Mosaikprojekte geben wird.

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