Das Haus Central in Einsiedeln irritiert zunächst. Man meint, vor einem aufgeschnittenen Baukörper zu stehen, aus dessen Innern sich ein grünlicher Vorhang im Wind bauscht. Tatsächlich aber hat das Gebäude zwei Gesichter: Zum Strassenraum hin zeigt es eine Betonfassade, auf der Rückseite eine fliessende, ondulierende Bekleidung.
Rahel Hartmann Schweizer 

Der Neubau des Hauses Central steht prominent am Dorfplatz im Herzen von Einsiedeln, in unmittelbarer Nachbarschaft des Kultur- und Kongresszentrums «Zwei Raben». Das ehemalige Waisen-, Armen- und Krankenhaus von 1859 wurde 1977 zum Veranstaltungszentrum umgebaut. Das «Central» fügt sich zudem in die neue Konzeption des Dorfplatzes ein, die die Gemeinde 2015 angestossen hat: Einsiedeln will damit – dem Leitbild des Bezirks entsprechend – den Dorfkern aufwerten und attraktiver werden. Das Architekturbüro Unger und Treina verstand seine Aufgabe für das «Central» denn auch darin, qualitätsvolle Wohnräume und attraktive Verkaufsflächen zu schaffen und gleichzeitig der städtebaulichen Exponiertheit Rechnung zu tragen. So definierten sie den Bau als Drehpunkt des Dorfplatzes: Die repräsentative Fassade umklammert eine Rückseite von ondulierendem Zuschnitt. Die Architekten betonten die Figur mit Erkern, womit sie die Ecke zwischen Dorfplatz und Hauptstrasse akzentuieren. Als Pendant dazu fungieren auf der Rückseite Terrassen, die in die geschwungene Geometrie eingeschnitten sind.

Mondäner versus dörflicher Charakter
Mit je einer unterschiedlichen Gliederung betonen die Architekten überdies die zwei Gesichter des Hauses. An den Fassaden zum Platz liegen über einem Sockel mit als Schaukästen ausgebildeten Fenstern drei Obergeschosse mit regelmässig angeordneten Fenstern. Darauf aufgesetzt ist eine zurückversetzte, vollverglaste Attika. Um den wie zufällig erscheinenden Verlauf der konkaven und konvexen Schwünge der Rückseite zu unterstreichen, verwischten die Architekten die Geschossgliederung, indem sie die Fenster versetzt platzierten. Analog verfuhren sie mit der Materialisierung. Die Schauseiten sind in Beton ausgeführt, die Rückseite ist mit Swisspearl-Fassadenschiefer bekleidet. Und da offenbart sich auch der Sinn der zwei Gesichter. Das eine – veredelt durch die Malereien der Erkerverglasungen und die schmucken Balkongeländer – repräsentiert den mondänen und sakralen Charakter des Orts. Das andere besinnt sich der ländlichen Dörflichkeit von einst.

Verschiedene Lesarten
Ursprünglich versuchten die Architekten diesen Spagat zwischen Dorf und Stadt mittels Holzschindeln zu meistern, die mit der städtisch-repräsentativ gestalteten Front kontrastiert hätten. Doch damit wäre die Referenz an die bäuerliche Tradition etwas arg didaktisch ausgefallen und dem heutigen Ort kaum angemessen gewesen. Die Idee, die Schindeln in einem modernen Material ausbilden zu lassen, regt zu vielfachen Lesarten an: von der Ausstülpung des Innenraums über die Grünfassade und die Gartenterrassierung bis zum weich fliessenden Kleid. Die Naturanalogie entsteht durch die Wahl der Farben – ein helles Graublau, ein zartes Mintgrün und ein stark abgetöntes Graugrün. Die Assoziation eines wogenden Stickereigewebes ruft der wie zufällig erscheinende, aber doch nach bestimmten Mustern sich wiederholende Rhythmus hervor, in dem die verschiedenen Farbtöne verteilt sind.

Architects:
Unger & Treina AG, Zürich

GENERALUNTERNEHMUNG: Josef Diethelm, Freienbach
FASSADENBAU: Beda Holzbau AG, Egg