(German only) Viele Künstler, die im öffentlichen Raum oder im architektonischen Kontext arbeiten, kommen aus der Architektur – und umgekehrt nehmen Künstler gerne Einfluss auf Architektur oder bauen sie gleich selbst. Ein Blick auf die Schnittstellen.

Francis Alÿs: Paradox of Praxis (Sometimes Making Something leads to nothing), Mexico-Stadt, 1997

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Francis Alÿs: Paradox of Praxis (Sometimes Making Something leads to nothing), Mexico-Stadt, 1997

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Auffallend viele Künstler haben ihre beruflichen Anfänge in der Architektur genommen. Den meisten von ihnen hat sich das Tor zur Kunst durch die Praxis in der Architektur geöffnet. Denn viele Wünsche und Sehnsüchte konnten sie in der Architektur nicht realisieren. Aber auch umgekehrt wird gerne, wenn auch weniger oft, das Feld gewechselt und Künstler erschaffen Architektur. Was ermöglicht Kunst, was der Architektur verwehrt bleibt? Was verspricht Architektur, was Kunst nicht einzulösen vermag?

Nehmen wir Francis Alÿs: Bevor er zum gefeierten Künstler wurde, arbeitete er als Architekt, unter anderem in Mexiko an einem Hilfsprojekt der belgischen Regierung für die von einem Erdbeben zerstörte Hauptstadt. Die Erfahrungen, die er dabei gesammelt hat, mögen einen wichtigen Grundstein für seine Arbeit als Künstler gelegt haben. Seine Performance „Paradox of Praxis (Sometimes Making Something Leads to Nothing)“ aus dem Jahr 1997 zeigt dies exemplarisch. Die Aktion – ein Eisblock, der vom Künstler durch die Strassen von Mexiko City geschoben wurde, bis er geschmolzen war –, wird zur Metapher für die bestehenden Strukturen und Mechanismen in Mexiko: Wenn alle Bemühungen eines Volkes, die sozialen und politischen Umstände zu verbessern auf „mañana“ verschoben werden, bleibt am Schluss nichts mehr übrig.

Tomas Saraceno: Sunny Day, Airport City, 2006; Foto und Collage: Tomás Saraceno, 2006

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Tomas Saraceno: Sunny Day, Airport City, 2006; Foto und Collage: Tomás Saraceno, 2006

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Mit Architekten teilt Alÿs noch immer sein Interesse für den Raum. Doch sein Werk verrät immer auch eine politische Haltung, ein soziales Engagement. Seine Herangehensweise an gesellschaftliche Themen ist oft performativ, also flüchtig, für die Nachwelt nicht erlebbar – und damit weit von derjenigen eines Architekten entfernt. Er versteht Raum als etwas, was nicht durch gebaute Strukturen definiert ist, sondern durch Handlungen und Interaktionen. Alltagshandlungen zu imitieren, sie jedoch ad absurdum zu führen ist seine Strategie, bestehende Strukturen zu spiegeln und eine Tür zu öffnen zu einer Reflexion über Raum als soziales Gefüge und über den Menschen, der darauf einwirkt.

Einen ganz anderen Ansatz verfolgt der argentinische Künstler Tomas Saraceno, auch er ursprünglich Architekt. Seine Utopie für ein globales, ökologisches und die Schwerkraft überwindendes Zusammenleben, losgelöst von unserem Planeten, setzt er in gebaute und betretbare Strukturen einer „Airport City“ um.

Tomás Saraceno: Observatory/Airport City, 2008. Ansicht der Installation, Hayward Gallery, London, 2008. Im Auftrag von Hayward Gallery, London. Kollektion Hamburger Bahnhof, Berlin; Foto: Tomás Saraceno, 2008

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Tomás Saraceno: Observatory/Airport City, 2008. Ansicht der Installation, Hayward Gallery, London, 2008. Im Auftrag von Hayward Gallery, London. Kollektion Hamburger Bahnhof, Berlin; Foto: Tomás Saraceno, 2008

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„Airport City“ ruft Erinnerungen an Zukunftsutopien wach, wie sie im Japan der 1960er Jahre von den Metabolisten erdacht wurden: Architektur als Lösung für die dringenden Probleme der Welt, respektive Japans. Sie sollte beweglich sein, auf hohe See gehen, sich vom Erdboden loslösen. Hehre Ziele, die meist auf Papier blieben. Saraceno zieht es jedoch vor, seine Utopie der „Airport City“ innerhalb der Kunstarena weiterzuentwickeln und Teile davon im Hier und Jetzt zu realisieren, anstatt sie in Schubladen eines Architekturbüros verschwinden zu lassen. Das Kunstfeld ermöglicht ihm nicht nur, grenzüberschreitend mit Partnern aus Raumwissenschaft, Politik und Ökologie zu forschen, sondern auch seine Ausstellungen als Labor zu nutzen. Die Besucher liefern ihm dazu wertvolle Informationen über die Nutzung dieser realisierten Utopie-Teilstrukturen.

Es gibt aber auch Künstler, die ihr Werk lieber permanent in den realen Alltag integrieren und damit den Raum sowie das soziale Miteinander mit architektonischen Mitteln nachhaltig gestalten wollen. Der amerikanische Künstler Dan Graham, in den 1960er Jahren Pionier im Einbezug von architektonischen, städteplanerischen und gesellschaftlichen Themen in die Kunst, ist ein Beispiel dafür.

Dan Graham: Guard House for the Hague, 2008. Zweiwegspiegelglas, rostfreier Stahl und Holz. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Stroom Den Haag; Foto: Gerrit Schreurs © Dan Graham

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Dan Graham: Guard House for the Hague, 2008. Zweiwegspiegelglas, rostfreier Stahl und Holz. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Stroom Den Haag; Foto: Gerrit Schreurs © Dan Graham

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Seine Pavillons aus zweifach verspiegeltem Glas sind begehbare Skulpturen, wirken aber wie Modelle von viel grösseren Architekturen, die mit ihren Durchsichten und zuweilen verzerrten Spiegelungen auf das soziale Zusammenleben Einfluss nehmen, indem sie Interaktionen fördern. Niederschlag finden die sinnlichen und wahrnehmungstechnischen Erfahrungen, die durch die Begehung von Grahams Arbeiten möglich werden, auch in den Arbeiten zahlreicher Architekten, Stadtplaner oder Historiker, die ihn für sein grenzüberschreitendes Denken und Arbeiten hoch achten.

Dan Graham: Two-Way Mirror Cylinder Inside Cube and Video Lounge, 1981–1991, Zweiwegspiegelglas, rostfreier Stahl und Holz. 274 x 1097 x 1097 cm, Dia Center for the Arts, New York. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Greene Naftali, New York

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Dan Graham: Two-Way Mirror Cylinder Inside Cube and Video Lounge, 1981–1991, Zweiwegspiegelglas, rostfreier Stahl und Holz. 274 x 1097 x 1097 cm, Dia Center for the Arts, New York. Mit freundlicher Genehmigung des Künstlers und Greene Naftali, New York

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Vito Acconci, ebenfalls Amerikaner und derselben Generation wie Graham zugehörig, ist einer der wenigen Künstler, die einen Schritt weiter gehen und sich heute ausschliesslich der Architektur widmen. Zur Beschäftigung mit Raum kam er unüblicherweise über die Literatur und die Performance, die ihm mit der Zeit zu selbstbezogen wurde. Ihn interessierte die breite Masse mit ihren Bedürfnissen. Darauf wollte er mit einer Architektur reagieren, die er als etwas sich Veränderndes, Organisches versteht, das an die wechselnden Bedürfnisse der Nutzer angepasst werden kann.

Acconci Studio (V.A., Dario Nunez, Stephen Roe, Peter Dorsey, Thomas Siegl, Gia Wolff, Sergio Prego): Mur island, Graz, 2003. Mit freundlicher Genehmigung von Acconci Studio. Eine Insel, die sich von einem Theater in ein Café und zurück verwandeln kann

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Acconci Studio (V.A., Dario Nunez, Stephen Roe, Peter Dorsey, Thomas Siegl, Gia Wolff, Sergio Prego): Mur island, Graz, 2003. Mit freundlicher Genehmigung von Acconci Studio. Eine Insel, die sich von einem Theater in ein Café und zurück verwandeln kann

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Um dieses Ziel zu verfolgen arbeitet er seit 1988 im Acconci Studio mit einem transdisziplinären Team zusammen. Viele Projekte des Studios blieben unrealisiert, was zeigt, wie sehr er Normen zu überwinden sucht, dabei aber immer wieder an Grenzen stösst. Acconcis Arbeit gibt wichtige Impulse, die ihrer Zeit manchmal voraus sind. Lange bevor „Nachhaltigkeit“ Teil des alltäglichen Vokabulars wurde, entwickelte er mit seinem Team 1999 „Garbage City“, ein Projekt für eine selbstversorgende Stadt, die ihre Energie aus dem eigenen Abfall bezieht, auf dem sie gebaut ist.

Acconci Studio (V.A., Luis Vera) und Steven Holl Architects: Storefront for Art and Architecture. Renovation (Wall Machine), New York, 1993. Mit freundlicher Genehmigung von Acconci Studio; Foto: Paul Warchol

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Acconci Studio (V.A., Luis Vera) und Steven Holl Architects: Storefront for Art and Architecture. Renovation (Wall Machine), New York, 1993. Mit freundlicher Genehmigung von Acconci Studio; Foto: Paul Warchol

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Derartige Projekte zeigen, wie wertvoll die Auseinandersetzung von Künstlern und Architekten über die Gattungsgrenzen hinweg ist - in beide Richtungen. Es geht dabei um weit mehr als um die Addition von Kunst und Architektur. Die gegenseitige Befruchtung und ein „outside the box“-Denken steigert das Potential, festgefahrene Meinungen und Strukturen in Bewegung zu bringen, an Definitionen zu rütteln, neue Horizonte zu stecken, Utopisches in die Realität zu schleusen oder ganz einfach Bedürfnisse des Menschen ernst zu nehmen.

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