Das Ausloten der Grenzen zwischen Kunst und Architektur geschieht meist über Kunst als „hard ware“. Die sinnliche Erfahrung von Kunst beschränkt sich aber nicht auf einen physisch präsenten Ausdruck eines künstlerischen Arbeitsprozesses.

Camille Norment: "Rapture", Installationsansicht Biennale Venedig 2015. Foto: OCA / Matteo de Fina

Sound und Architektur im Dialog | Architecture

Camille Norment: "Rapture", Installationsansicht Biennale Venedig 2015. Foto: OCA / Matteo de Fina

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Interessanterweise befassen sich die Architekten selber selten mit Sound. Es sei denn, die Architektur muss bestimmten akustischen Vorstellungen entsprechen. Oder es müssen Geräusche aus Gebäuden gebannt werden. Künstler hingegen tasten sich mit Sound gerne in Dimensionen vor, die für unsere Augen nicht mehr sichtbar sind.

Wenn Architektur klingt...
Wie zum Beispiel der amerikanische Künstler Mark Bain, der Architektur hörbar macht. Wenn er Gebäude mittels kleiner Motoren in Schwingungen versetzt entstehen dabei Klänge, die im Bereich des Infrasound liegen und für menschliche Ohren zwar unhörbar, dafür körperlich über Vibrationen wahrnehmbar sind. Er kann diesen Infrasound beschleunigen und ausdehnen und die Schwingungen dadurch hörbar machen. Der Künstler enthüllt mit seiner Arbeit eine Dimension von Architektur, die uns im Alltag verborgen bleibt und verleiht ihr ein Eigenleben - von innen heraus.

Für "StartEndTime" hat der Künstler die seismologischen Daten vom Einsturz der World Trade Center Türme in New York mit einem Signalumwandlungsprozess hörbar gemacht.

...Klänge auf Architektur treffen...
Anders geht die britische Künstlerin Susan Philipsz vor. Sie arbeitet sich über den hörbaren Klang an die Architektur heran, indem sie mit ihrer Stimme Lautskulpturen schafft, die mit der bestehenden Architektur in ein Wechselspiel treten. Diese Klänge vermögen zwar den Raum in dem sie erklingen nicht zu verändern – aber das Raumerlebnis verändern sie vollkommen.

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Video Dokumentation von Susan Philipsz' 'Lowlands'. Gefilmt und produziert von 47 Film für das Glasgow International Arts Festival und Susan Philpsz. www.47film.com. Courtesy the artist, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin

... und Sound durch Körper hindurch geht
Gleichzeitig physisch und via Sound hat die in Oslo lebende Künstlerin Camille Norment mit ihrem letztjährigen Beitrag für die Biennale di Venezia in die Architektur des nordischen Pavillons eingegriffen. Ihre skulpturale und akustische Arbeit mit dem verheissungsvollen Titel „Rapture“ (Entrückung, Verzückung) funktioniert mehrschichtig. „Sound has many unique qualities compared to an image. It goes around corners, through walls, is sent simultaneuosly 360° around the observer and even penetrates the body.“ (Bill Viola). Sound ist für die Künstlerin wie Wind, eine Kraft, die den Körper durchströmt. Nicht nur den Körper des Zuschauers – auch den Körper des Pavillons: Fenster, wie aus ihren Fugen gehoben, lagen zerborsten im und um den Pavillon verstreut. Aus Lautsprechern, die wie überdimensionierte, von der Decke runter wachsende Mikrofone aussahen, war vibrierender Sound hörbar. Zuweilen performte die Künstlerin live und erzeugte auf ihrer Glasharmonika kristalline Klänge. Es war, als hätten die Vibrationen der hohen Töne die Scheiben zerbersten lassen.

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Camille Norment: "Rapture", Installation Biennale Venedig 2015, in Auftrag des Office for Contemporary Art Norway (OCA), Film von Rachel Seddoh, Luc Riolon

Aber nicht nur Glas zeigt in ihren Arbeiten die (potentiell) gewaltige Wirkung von Klängen: Unser Körper steht im Zentrum der Erfahrung mit Sound. Und dieser kann Stimmungen beeinflussen. So sehr, dass in unserer Vergangenheit gewisse Instrumente zeitweise verboten wurden, weil man ihnen die Macht zusprach, Sinnlichkeit bis zum Sinnesrausch („Rapture“) zu steigern oder Trance zu ermöglichen. Die elektrische Gitarre ist ein Beispiel dafür, die Hardangerfiedel, sowie die im 18. Jahrhundert von Benjamin Franklin erfundene Glasharmonika sind weitere. Alles Instrumente, die von Camille Norment in ihren Arbeiten eingesetzt werden, um ihre Kraft zu entfalten und die Sinne zu entfesseln.

Camille Norment: "Rapture", Installationsansicht Biennale Venedig 2015. Foto: OCA / Matteo de Fina

Sound und Architektur im Dialog | Architecture

Camille Norment: "Rapture", Installationsansicht Biennale Venedig 2015. Foto: OCA / Matteo de Fina

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Camille Norment: "Rapture", Installationsansicht Biennale Venedig 2015. Foto: OCA / Matteo de Fina

Sound und Architektur im Dialog | Architecture

Camille Norment: "Rapture", Installationsansicht Biennale Venedig 2015. Foto: OCA / Matteo de Fina

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Wenn die Klänge der Glasharmonika in einem vergangenen Jahrhundert hysterische Frauen hypnotisieren und dadurch kurieren konnten, so geschah dies, wie man heute weiss, durch die sinusähnlichen Töne. Die Trance-Wirkung solcher Töne ist auch der Grund, warum sie in den 90er Jahren Eingang in die elektronische Musik fanden, insbesondere in die Trance-Musik.

Die Glassplitter in "Rapture" waren nicht Ausdruck von Zerstörung, sondern vielmehr sichtbares Zeichen einer für uns unsichtbaren Kraft. Einer Kraft, die eng verbunden ist mit gesteigerter Sensibilität und Selbstverlust durch Trance. Spürbar als hochpoetische Erfahrung von Umwelt und Körper, die wiederum Raum schafft für das Erleben von akustischer und psychologischer Spannung. Für den Widerspruch zwischen Zeit als Fluss und in statische Architektur geronnene Zeit. "Rapture" suggeriert innerhalb eines limitierten, in seiner Anlage aber doch offenen Gebäudes die Suche nach Überschreitung und Selbstverlust und lotet mit Dissonanzen das Verhältnis von Hingabe und Kontrolle, Poesie und Katastrophe aus. Sound funktioniert hier wie eine „soft ware“, die das Potential eines Computers – in unserem Fall des architektonischen Kontexts – erst so richtig herausfordert.

Camille Norment: Rhythm wars - interval, Løren, Foto: Damian Heinisch für Camille Norment Studio

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Camille Norment: Rhythm wars - interval, Løren, Foto: Damian Heinisch für Camille Norment Studio

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Camille Norment: Rhythm wars - interval, Løren, Foto: Damian Heinisch für Camille Norment Studio

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Camille Norment: Rhythm wars - interval, Løren, Foto: Damian Heinisch für Camille Norment Studio

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Im städtebaulichen Kontext sind künstlerische Soundarbeiten jedoch eher selten. Die Omnipräsenz von Strassen-, Bau- und Industrielärm erschweren die Arbeit mit Klängen und verweisen sie an ruhige, abgelegene Orte, wie das Beispiel von Susan Philipsz zeigt.

Norment hat sich der Herausforderung des öffentlichen Raums anders gestellt. Im Osloer Stadtteil Løren hat sie für die Fassade des neu renovierten Bahnhofs kürzlich eine Trommel an die Aussenwand gehängt. Versehen mit drei „Zeigern“ und somit an eine Bahnhofsuhr erinnernd, hält sie sich mittels einer Gerüstkonstruktion am Dach fest. Oder möchte sich „Rhythm Wars – Interval“ vielmehr mithilfe von Roboterarmen über die Dachkante hinweg davonmachen? Wie dem auch sei: die Trommel ist unbeweglich – und verstummt. Kein Rhythmus wird je siegen. Vielmehr erweckt sie ganze Soundwelten zum Leben: Wir nehmen die existierenden Stadtgeräusche bewusster wahr; wir realisieren plötzlich, was Stille im öffentlichen Raum für uns bedeutet. Und vielleicht können wir plötzlich auch umkreisen, was wir an diesem Ort zum Zeitpunkt unserer Betrachtung gerne hören würden.
... und jedes Mal wenn wir an der Trommel vorbeikommen wird sie uns an all dies erinnern. Unentrinnbar. Wie ein Hüter der Zeit – wie ein Hüter unserer Gedanken, Träume, Erinnerungen.

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