(German only) Kunst im öffentlichen Raum mag die Wahrnehmung eines Orts verändern. Idealerweise bei jeder Begegnung mit dem Werk. Was passiert aber wenn die Kunst nicht mehr da ist?

Armutsarchitektur trifft auf Kunstmesse. Tadashi Kawamata: FavelaCafé, Basel, 2013. © Andreas Pluskota

Der Genius Loci und die temporäre Kunst | News

Armutsarchitektur trifft auf Kunstmesse. Tadashi Kawamata: FavelaCafé, Basel, 2013. © Andreas Pluskota

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Ist die Wirkung von Kunst vorbei wenn zum Beispiel das „Favela Café“ des japanischen Künstlers Tadashi Kawamata, das für die Dauer der Art Basel für den Messeplatz konzipiert wurde, nach der Messe abgebaut ist?

Das Basler Favela Cafe war eine Gruppe kleiner, aus Brettern und Wellblech gezimmerter Hütten, wie man sie aus brasilianischen Favelas kennt. Situiert vor den Toren der Messehallen – und inmitten von Stararchitektur - hat es die Kluft sichtbar gemacht zwischen denjenigen, die sich den Luxus leisten können, dem globalen Kunstkonsum zu frönen und den „Anderen“. Nicht ohne eine Welle der Empörung darüber auszulösen, dass aus improvisierter Armutsarchitektur ein Event für die Reichen gezimmert wurde.

Tadashi Kawamata: Favela Cafe, 2013. © Andreas Pluskota

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Tadashi Kawamata: Favela Cafe, 2013. © Andreas Pluskota

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Ein anderes Beispiel: Olafur Eliassons allseits bekannte und breit mediatisierte „The New York City Waterfalls“ sind künstliche Wasserfälle, die 2008 an vier verschiedenen Standorten am East River in New York installiert wurden. Für diese Wasserfälle wurden Baugerüste aufgestellt, Wasserleitungen verlegt, Pumpen installiert, ja sogar Becken in den East River gebaut, damit das herunterstürzende Wasser Flora und Fauna im East River nicht stören würde.

Eliassons Wasserfälle waren ästhetisch, ja majestätisch, laut und nicht zu übersehen - und dennoch poetisch. Der Künstler beabsichtigte, den Grossstadt-Menschen einen spielerischen, ästhetischen Anlass zu geben, ihre Beziehung zur Natur und ihre Umweltverantwortung zu reflektieren. Denn was wäre New York ohne direkten Wasseranstoss? Ohne diese Anbindung an die Welt? Da gilt es Sorge zu tragen zum ökologischen Gleichgewicht des Wassers. Eine grossangelegte Vermittlungskampagne für Jung und Alt machte es sich denn auch zum Ziel, auf umweltpolitische und ökologische Anliegen aufmerksam zu machen. Warum sonst hätten sich nebst dem Public Art Fund und der Stadt auch Umweltorganisationen für dieses gigantische Projekt eingesetzt? Und dennoch muss man sich fragen: so viel Aufwand für nur ein paar Monate?

Wenn künstlerische Anliegen sich mit denjenigen von Stadtmarketing und Umweltorganisation decken. Olafur Eliasson: The New York City Waterfalls, Brooklyn Bridge, 2008. Photo: Julienne Schaer. Courtesy Public Art Fund. © Olafur Eliasson

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Wenn künstlerische Anliegen sich mit denjenigen von Stadtmarketing und Umweltorganisation decken. Olafur Eliasson: The New York City Waterfalls, Brooklyn Bridge, 2008. Photo: Julienne Schaer. Courtesy Public Art Fund. © Olafur Eliasson

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Wenn künstlerische Anliegen sich mit denjenigen von Stadtmarketing und Umweltorganisation decken. Olafur Eliasson: The New York City Waterfalls, Brooklyn Bridge, 2008. Photo: Julienne Schaer. Courtesy Public Art Fund. © Olafur Eliasson

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Wenn künstlerische Anliegen sich mit denjenigen von Stadtmarketing und Umweltorganisation decken. Olafur Eliasson: The New York City Waterfalls, Brooklyn Bridge, 2008. Photo: Julienne Schaer. Courtesy Public Art Fund. © Olafur Eliasson

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Es gibt weitaus vergänglichere künstlerische Projekte im öffentlichen Raum. Lichtprojektionen an Hausfassaden oder Stadtmauern zum Beispiel. Die nur ein paar Minuten oder Stunden währen. Sie sind etwa das Gegensätzlichste zur Architektur, das man sich denken kann. Das Eine fluid, momentan, gehaucht, spielerisch, das andere statisch, erratisch, gesetzt. Unzählige solcher Spektakel beleuchten unsere Städte – und nur die wenigsten prallen inhaltlich nicht an der Oberfläche ab, sondern dringen tiefer in den urbanen / architektonischen Kontext ein. Zu diesen gehören die Arbeiten der amerikanischen Konzeptkünstlerin Jenny Holzer, die sich seit Jahrzehnten mit ihren „Truisms“ – Aphorismen und Binsenwahrheiten - in den öffentlichen Raum einschreibt.

Die Träger und Strategien der Werbung und Massenmedien nutzend, arbeitet sie seit 1982 mit LED, mit der Absicht, Menschen zu verwirren, zu irritieren und in ihren Bann zu schlagen. In den öffentlichen Raum projiziert sollen ihre Arbeiten uns die Augen öffnen für die Schönheit und den architektonischen, historischen, sozialen, zuweilen auch politischen Kontext eines Orts. In der Grenzstadt Basel hat die Künstlerin den Hauptbahnhof und das Rathaus für ihre Lichtprojektionen gewählt. Worte und Satzfragmente in Bezug auf Liebe, Terrorismus, oder etwa Flucht wurden an die Fassade projiziert, überfluteten gleichsam die Architektur und den davor liegenden Platz und rückten Basel für ein paar Stunden buchstäblich in ein anderes Licht.

Kunst im öffentlichen Raum wirkt jedoch auch mit minimalen Gesten oder subtilen Aktionen. Für ihr „New York Beautification Project“ hat die Künstlerin Ellen Harvey ohne Bewilligung und mit langsam trocknender Ölfarbe ovale Landschaftsmalereien im Stil des 19. Jahrhunderts in den öffentlichen Raum Manhattans und Brooklyns gepinselt. Diese anachronistisch anmutenden Bilder waren nicht breiter als 15cm. Neben oder über bereits existierende Tags und Graffities platziert, verschwanden sie oft kurz nach ihrer Entstehung wieder unter den nächsten Tags. Mit ihrer Präsenz, interessanterweise aber vor allem mit ihrem Verschwinden eröffneten sie denjenigen, die sie gesehen hatten nicht nur ein Fenster auf romantische Landschaften innerhalb eines urbanen Gebiets, sondern offenbarten gleichzeitig einen Einblick in die Besitzverhältnisse von öffentlichem Raum.

Ellen Harvey: The New York Beautification Project, 1998-2001, Malerei No. 33, Gesso und Öl, Photos: Ellen Harvey Studio

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Ellen Harvey: The New York Beautification Project, 1998-2001, Malerei No. 33, Gesso und Öl, Photos: Ellen Harvey Studio

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Ellen Harvey: The New York Beautification Project, 1998-2001, Malerei No. 33, Gesso und Öl, Photos: Ellen Harvey Studio

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Ellen Harvey: The New York Beautification Project, 1998-2001, Malerei No. 33, Gesso und Öl, Photos: Ellen Harvey Studio

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Ellen Harvey: The New York Beautification Project, 1998-2001, Malerei No. 34, Gesso und Öl, Photos: Ellen Harvey Studio

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Ellen Harvey: The New York Beautification Project, 1998-2001, Malerei No. 34, Gesso und Öl, Photos: Ellen Harvey Studio

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Ellen Harvey: The New York Beautification Project, 1998-2001, Malerei No. 34, Gesso und Öl, Photos: Ellen Harvey Studio

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Ellen Harvey: The New York Beautification Project, 1998-2001, Malerei No. 34, Gesso und Öl, Photos: Ellen Harvey Studio

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Wie klein oder gross temporäre Arbeiten im öffentlichen Raum auch immer sein mögen – da wo sie einst waren entsteht für diejenigen, die sie gesehen oder erlebt hatten, eine Lücke. Eine Lücke, aufgefüllt mit Gedanken und Erinnerungen an das nicht mehr vorhandene Werk, an Erlebnisse und Wahrnehmungen an eben diesem Ort. Es sind diese persönlichen Gedanken und Emotionen, welche die Kunst hervorgerufen hat, die in Erinnerung bleiben. Je eindrücklicher das Erlebnis war, desto tiefer sind sie im Gedächtnis verankert. Sie sind mit dem Ort verbunden, an dem sie ausgelöst wurden. Aber nicht nur. Erinnerungen führen ein Eigenleben. Sie docken an alles an, was Ähnlichkeiten zum ursprünglichen Erlebnis aufweist und weiten den Wirkungskreis von Kunst immer weiter aus. So macht sich die Kraft von temporärer Kunst im öffentlichen Raum nicht nur im Moment ihrer Präsenz bemerkbar, sondern auch - und nachhaltig - im Aufflackern der Erinnerung an sie – am Ort selber, aber auch anderswo.

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