Es mag paradox erscheinen, aber das heutige Corporate-Store-Design strebt danach, so individuell wie möglich zu sein. Genau wie viele Buchhändler reagieren auch exklusive Modemarken auf die Konkurrenz aus dem Internet und investieren in neue Ausstellungs-Konzepte, die ihre Markenidentität stärken und Kunden begeistern.

Das Erdgeschoss des von Tokujin Yoshioka entworfenen Flagshipstores des Labels Issey Miyake in London. Die nackten Betonoberflächen bezeugen, dass Yoshioka die herkömmliche Vorstellung von luxuriöser Ästhetik hinter sich lässt

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Das Erdgeschoss des von Tokujin Yoshioka entworfenen Flagshipstores des Labels Issey Miyake in London. Die nackten Betonoberflächen bezeugen, dass Yoshioka die herkömmliche Vorstellung von luxuriöser Ästhetik hinter sich lässt

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„Wenn das Internet den Kampf um die besten Preise gewinnt, dann müssen Mauern und Mörtel den Kampf um das beste Ambiente gewinnen“, findet Simon Mitchell, Mitbegründer des Londoner Büros Sybarite Architects, das bereits zahlreiche Showrooms für Marni gestaltet hat. „Weil die Zielkundschaft zunehmend im Internet einkauft, kommt der Einzelhandel nicht mehr darum herum, seine Verkaufsflächen zu einem besonderen Erlebnis zu machen.“ Zum gleichen Thema merkt Matthew Brown, Geschäftsführer der Handelskammer Echochamber, die auf kreativen und vor allem nachhaltigen, sprich „grünen“ Handel spezialisiert ist an: „Heutzutage geht es in realen Ladenräumen in erster Linie darum, Kunden durch Service und Storytelling stärker an eine bestimmte Marke zu binden.“

Der individuelle Charakter der Boutique wird durch die ebenfalls von Yoshioka entworfenen und von Desalto und Moroso ausgeführten Möbel noch verstärkt

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Der individuelle Charakter der Boutique wird durch die ebenfalls von Yoshioka entworfenen und von Desalto und Moroso ausgeführten Möbel noch verstärkt

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Darüber hinaus lässt sich ein „Push to posh“-Trend feststellen, denn auch Marken, die sich an grössere Massen richten, investieren in exklusives Interiordesign, um Luxusmarken das Feld streitig zu machen. So wurde beispielsweise der Flagship-Store von Uniqlo in New York vom Büro Wonderwall gestaltet, das sich auf Kunden aus dem Top-End-Einzelhandel spezialisiert hat.

Die mit blauem Kupfersulfat eloxierten Aluminiumpaneele im Erdgeschoss erzeugen durch ihre Wiederholung im Obergeschoss einen vereinheitlichenden Effekt

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Die mit blauem Kupfersulfat eloxierten Aluminiumpaneele im Erdgeschoss erzeugen durch ihre Wiederholung im Obergeschoss einen vereinheitlichenden Effekt

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Ein Retail-Designer, der grossen Wert auf Individualität legt, ist Tokujin Yoshioka, kreativer Kopf hinter dem neuen Flagship-Store von Issey Miyake in London. Zwar hat er mittlerweile mehr als hundertfünfzig Ladengeschäfte für Issey Miyake realisiert, dennoch geht es ihm bei jedem einzelnen um eine individuelle Interpretation und die Herausarbeitung kontextueller Bezüge zur unmittelbaren Umgebung.

„In der Hotelbranche setzt sich derzeit ein weltweiter Trend zum luxuriösen Einheitsdesign durch“, so Yoshioka. „Es ist an der Zeit umzudenken. Wir brauchen Räume mit direktem lokalen Bezug, in denen sich Menschen gerade deshalb gerne aufhalten.“ Bei der Gestaltung der neuen Filiale in London integrierte er Elemente des aus den 1950er Jahren stammenden Gebäudes im Brutalismus-Stil. Die entmantelten Säulen und Wände zeigen jetzt wieder ihre nackten, reich texturierten Betonoberflächen, kontrastiert mit Aluminiumpaneelen, die in einem intensiven Kupfersulfat-Blau strahlen.

Eine Wand des von Neri & Hu gestalteten Camper Shops in Shanghai, die Assoziationen zu den typischen engen Gassen der Stadt weckt

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Eine Wand des von Neri & Hu gestalteten Camper Shops in Shanghai, die Assoziationen zu den typischen engen Gassen der Stadt weckt

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Auch der spanische Schuhhersteller Camper setzt auf Singularität und engagiert für die Gestaltung seiner Läden so namhafte Designer und Architekten wie Nedo oder Shigeru Ban. Die chinesischen Architekten Neri & Hu haben in Shanghai einen faszinierenden Flaship-Store für Camper geschaffen, dessen Design unmittelbare Bezüge zur Umgebung widerspiegelt: ein neues Gebäude, das in eine alte Industrielagerhalle eingefügt wurde. Durch den Einsatz von recycelten Holzbalken aus dem Quartier und die mit grauen Backsteinen verfachte Ständerkonstruktion weckt der Shop Assoziationen zu den „Nongtang“ genannten engen Gässchen Shanghais.

Der neue Camper Shop folgt einem Haus-im-Haus-Konzept und ist in eine ehemalige Lagerhalle untergebracht. Die roten „Schnittränder“ sind im gleichen Rot gehalten wie das Camper-Logo

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Der neue Camper Shop folgt einem Haus-im-Haus-Konzept und ist in eine ehemalige Lagerhalle untergebracht. Die roten „Schnittränder“ sind im gleichen Rot gehalten wie das Camper-Logo

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Als augenzwinkerndes Zitat hängen einige Camper-Schuhpaare an mit Haken versehenen Metallstangen herab – ein Verweis auf die Shanghaier Sitte, nasse Wäsche auf zwischen den Häusern gespannten Leinen zu trocknen

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Als augenzwinkerndes Zitat hängen einige Camper-Schuhpaare an mit Haken versehenen Metallstangen herab – ein Verweis auf die Shanghaier Sitte, nasse Wäsche auf zwischen den Häusern gespannten Leinen zu trocknen

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Beispiele für Boutiquen, bei denen der Kontext keine Rolle spielt, sind von Zaha Hadid gestaltete Showrooms der Modemarke Neil Barrett, von denen vier in Seoul und eine in Hongkong zu finden sind. Allerdings ist auch hier Individualität einer der Trümpfe, um nicht zu sagen der wichtigste Trumpf, denn die einzigartige Ästhetik dieser Boutiquen ist Zaha Hadids höchst eigenwilliger Designsprache zu verdanken. Als Schlüsselelement fungieren fliessende, an Gletscherzungen erinnernde Ausstellungsdisplays.

Oben und unten: Neil Barrett-Boutiquen bieten eine Erlebniswelt, in der es ebenso darum geht, die Hadid-Einrichtung zu bewundern als auch die präsentierten Modestücke

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Oben und unten: Neil Barrett-Boutiquen bieten eine Erlebniswelt, in der es ebenso darum geht, die Hadid-Einrichtung zu bewundern als auch die präsentierten Modestücke

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Ein geschwungenes, fragmentiertes Ausstellungssystem ist der Blickfang in den von Zaha Hadid gestalteten, monochrom gehaltenen Boutiquen der Modemarke Neil Barrett in Seoul und Hongkong

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Ein geschwungenes, fragmentiertes Ausstellungssystem ist der Blickfang in den von Zaha Hadid gestalteten, monochrom gehaltenen Boutiquen der Modemarke Neil Barrett in Seoul und Hongkong

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Ursprünglich waren diese Ausstellungsmöbel ein einziges, grosses Element, das, in einzelne Abschnitte zersägt und auf alle Filialen verteilt wurde. Dadurch wird eine die einzelnen Läden verbindende Identität geschaffen. Neben der nahezu übermächtigen, skulpturalen Präsenz der gigantischen Display-Units von Zaha Hadid wirkt die an schlichten Kleiderstangen präsentierte Mode fast nebensächlich.

Wie die Ladeneinrichtungen ihrer Kollegen TokujinYoshioka und Neri & Hu erfüllt aber auch Zaha Hadid mit diesen Entwürfen das ultimative Ziel heutigen Retail-Designs: die Erschaffung eines unvergesslichen Raumerlebnisses.

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