Auf der Suche nach dem perfekten Möbel experimentiert Peter Ghyczy, der Erfinder des berühmten Garden Egg Chair, seit 40 Jahren mit Material und Technik.

Ghyczys Kollektion Citizens of the World besticht durch technische Finesse und gediegene Verarbeitung

Ghyczy: Ein Familienbetrieb entwächst den Kinderschuhen | Aktuelles

Ghyczys Kollektion Citizens of the World besticht durch technische Finesse und gediegene Verarbeitung

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Im doch schon etwas fortgeschrittenen Alter von 73 Jahren lässt Peter Ghyczy es sich nicht nehmen, Tag für Tag im Büro seines Familienbetriebs im holländischen Swalmen mehrere Stunden lang Ideen für neue Produkte zu skizzieren. Sein Lebensziel – die Qualität unserer Lebenswelt zu verbessern – lässt ihn auch jetzt nicht zur Ruhe kommen. Ghyczy zaubert Eleganz aus robusten, ehrlichen Materialien, die wie er selbst gut altern. Was brachte den Schöpfer der Sitzikone aus Kunststoff dazu, sich auf Massanfertigungen für höchste Ansprüche zu spezialisieren?

Gut möglich, dass er seine Leidenschaft für Perfektion und Stil seiner blaublütigen Abstammung verdankt. Danach haben fünf Jahrzehnte im Möbelgeschäft sicherlich das Ihre beigetragen. Ghyczy ist 1940 in Budapest geboren. Nach Aufenthalten in Belgien und Österreich flüchtete er während des Ungarischer Volksaufstands 1956 in die BRD. Er studierte Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf und Architektur an der Technischen Hochschule Aachen, ehe er die Designabteilung des Kunststoffherstellers Reuter in Lemförde übernahm. Das Gartenei, das er dort 1968 entwarf, sollte eigentlich nur die Eigenschaften einer neuen Polyurethan-Formel vorführen. Obwohl das geschwungene aufklappbare Sitzmöbel zum Kultobjekt avancierte, zog Ghyczy 1972 nach Holland und machte sich unabhängig. Seinem Erfindergeist tat der Ortswechsel keinen Abbruch.

Abmessung, Material und Finish jedes Moduls der Ghyczy-Kollektion können flexibel an individuelle Bedürfnisse angepasst werden

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Abmessung, Material und Finish jedes Moduls der Ghyczy-Kollektion können flexibel an individuelle Bedürfnisse angepasst werden

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„Als mein Vater seine eigene Firma gründete, wollte er weg vom Plastik und von kurzlebigen Designtrends, um etwas zu schaffen, das Bestand hat“, beteuert sein Sohn Felix, der die Leitung des Familienbetriebs übernommen hat. Dass viele Artikel der Frühzeit nach wie vor in Produktion sind, spricht für deren Wertbeständigkeit. Der 1970 konzipierte Tisch T 04 nutzte ein neues Verfahren zur Herstellung starker Floatglasplatten. Befestigungsklammern ersetzten den Tischrahmen. Die dünne Glasscheibe des Regals R 03 von 1971 ist mit Dübeln an einer schmalen Aluminiumschiene befestigt. Ghyczys Talent, intelligente Anwendungen für neue Werkstoffe und Technologien zu finden, brachte Lösungen hervor, die heute noch genauso funktionell sind wie zur Zeit ihrer Entstehung.

Die stete Nachfrage nach seinen zeitlosen Entwürfen bildet eine solide Geschäftsbasis. Inzwischen achten Vater und Sohn darauf, dass die bestmöglichen Materialien und Methoden zum Einsatz kommen und dass alle Erzeugnisse den höchsten Anforderungen entsprechen. Anstatt die Kollektion ständig zu wechseln und zu erweitern, konzentrieren sich die Ghyczys auf ein übersichtliches Inventar von Kernprodukten, das durch seinen gediegenen Stil besticht. Abmessung, Material und Finish sind individuell abstimmbar. „Wir können nicht mit den grossen Weltmarken konkurrieren, die alles in Asien herstellen lassen“, räumt Felix ein. „Aus diesem Grund entwirft mein Vater Module, die sich flexibel nach den Wünschen der Kunden kombinieren lassen.“

So perfekt wie die Polsterung auf den klaren Linien des Rahmens soll der Be-Sitzer auf dem Sofa GP 01 ruhen

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So perfekt wie die Polsterung auf den klaren Linien des Rahmens soll der Be-Sitzer auf dem Sofa GP 01 ruhen

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Auf der jüngsten Biennale Interieur in Kortrijk, Belgien, führte Ghyczy seine Kollektion Citizens of the World vor, die neue und bewährte Entwürfe enthält. Klare Linien und reduzierte Formen garantieren die ästhetische Kohärenz der Linie. Trotzdem hat jedes Modul seine eigene Identität. „Der Einfachheit halber benutze ich oft das Wort kosmopolitisch“, erwidert der Sohn auf die Frage nach einem Stiletikett. „Unsere Produkte schaffen es, zugleich luxuriös und bescheiden zu wirken. An ihrem Charakter kommt niemand vorbei.“

Der Stuhl S 02 aus Edelstahlrohr hat eine gepolsterte Sitzfläche und Rückenlehne, die zudem noch verstellbar ist

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Der Stuhl S 02 aus Edelstahlrohr hat eine gepolsterte Sitzfläche und Rückenlehne, die zudem noch verstellbar ist

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Als Chefdesigner des Familienbetriebs überwacht Felix Ghyczy die Entwicklung neuer Modelle. Er aktualisiert das Produktangebot, um es den Erwartungen zeitgenössischer Architekten und Innenarchitekten anzunähern, ohne dabei die vom Vater vorgegebenen Werte und Normen aus den Augen zu verlieren. Die Behandlung von Holz, Metall und Glas soll deren innere Schönheit zur Entfaltung bringen. Alle Metallteile aus Stahl, Messing und Aluminium sind im Sandguss gefertigt und mit polierter und unpolierter Oberfläche erhältlich. Holz wird gebeizt oder so lasiert, dass die Maserung sichtbar bleibt. Die Glaselemente sind so clever aufgehängt, dass sie zu schweben scheinen, und die weichen Textilien für Bezüge und Lampenschirme bilden einen spannenden Gegensatz zu den scharfen Konturen der anderen Komponenten.

Im Jahr 1970 entwickelte Ghyczy ein Befestigungssystem für Floatglasscheiben, dass in einer Serie robuster rahmenloser Tische zum Einsatz kam

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Im Jahr 1970 entwickelte Ghyczy ein Befestigungssystem für Floatglasscheiben, dass in einer Serie robuster rahmenloser Tische zum Einsatz kam

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Man sollte sich vom einfachen Äusseren freilich nicht täuschen lassen. Jeder Aspekt, etwa die Art, wie Materialien sich verbinden oder voneinander abheben, ist genauestens kalkuliert. Ghyczys Augenmerk auf jedes kleinste Detail macht seine Kollektion so einzigartig. Man nehme zum Beispiel den Esstisch T 3456. Zwei Eichenplanken liegen auf einem Stahlrahmen, der nahtlos die dazwischenliegende Fuge füllt. Das Holz wird sorgfältig ausgewählt, zwei Jahre im Freien getrocknet und dann in einer Klimakammer bei regulierter Luftfeuchtigkeit gelagert, damit später keine Risse oder Verformungen auftreten. Wenn es um die Lebensdauer seiner Möbel geht, ist Ghyczy kein Aufwand zu gross.

Der Metallrahmen, der zwei gemaserte Eichenplanken nahtlos verbindet, verleiht dem Tisch T 3456 ein zeitgenössisches Flair

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Der Metallrahmen, der zwei gemaserte Eichenplanken nahtlos verbindet, verleiht dem Tisch T 3456 ein zeitgenössisches Flair

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Eine weitere Probe seines Erfindergeists ist das Regal R 03, in dem zwei kleine Schrauben versteckt sind, mit denen man das Glas waagerecht stellen kann. „Unsere Nachahmer geben sich nicht die Mühe, die Schrauben ranzumachen. Wenn man etwas aufs Regal stellt, ist es nicht gerade“, konstatiert Felix mit nicht wenig Stolz auf dieses raffinierte Detail. „An solchen simplen Lösungen sieht man, wie viel technisches Feingefühl mein Vater hat.“

Ein weiterer Vorteil der schmalen Produktpalette und der geradlinigen Faktur ist die Nachhaltigkeit des Fertigungsbetriebs. Die Materialien kommen von bekannten Zulieferern. Bei der Verarbeitung wird Wert darauf gelegt, dass möglichst wenig Abfall entsteht. Und Ghyczy richtet schon in der Entwurfsphase alles darauf aus, dass das fertige Stück auf Generationen in der Familie bleibt. „Mein Vater ist ein Kind der Kriegszeit, in der nichts verschwendet wurde“, erklärt sein Sohn. „Er denkt umweltbewusst und hält nichts von der Wegwerfgesellschaft.“

Aus der schmalen Aluminiumschiene des Regals R 03, eines klassischen Entwurfs aus dem Jahr 1971, springt eine freitragende Glasplatte hervor

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Aus der schmalen Aluminiumschiene des Regals R 03, eines klassischen Entwurfs aus dem Jahr 1971, springt eine freitragende Glasplatte hervor

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Obwohl sich der Möbelmarkt seit Ghyczys Einstieg im Jahr 1972 radikal verändert hat, haben seine Designs eher noch an Relevanz gewonnen für eine Gesellschaft, die mit Problemen wie Obsoleszenz und Ressourcenknappheit konfrontiert ist. Die Firma steht vor der Herausforderung, in neue Regionen zu expandieren, ohne ihren Ruf als Edelmarke zu verlieren. Felix ist überzeugt, dass dieser Balanceakt gelingen wird: „Ich mache mir keine Sorgen um unsere Zukunft, denn wir haben eine kosmopolitische, extrem vielseitige Kollektion. Es gibt einen Markt für Nischenfirmen wie uns, die etwas Besonderes zu bieten haben und deren Produkte eine Geschichte erzählen.“ Der Familienbetrieb von Peter und Felix Ghyczy erzählt wie seine Möbel eine Saga, die sich über viele Generationen erstreckt.

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