Ab dem 25. Oktober wird im Museum Marta Herford die Ausstellung »Die Brüder Rasch und ihre Im­pulse für die moderne Architektur« zu sehen sein, an deren Vorbereitung ich mit einem ungeheuer engagierten Team unter Roland Nachtigäller, dem künstlerischem Direktor des Marta, über die letzten zwei Jahre mitgearbeitet habe.

Heinz und Bodo Rasch (zugeschrieben Bodo Rasch), Projekt für hängende Wohneinheiten, 1927, Bleistift und schwarze Tinte, Graphitstift auf Transparentpapier, 99 x 118,2 cm, Canadian Centre for Architecture, Montréal 

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Heinz und Bodo Rasch (zugeschrieben Bodo Rasch), Projekt für hängende Wohneinheiten, 1927, Bleistift und schwarze Tinte, Graphitstift auf Transparentpapier, 99 x 118,2 cm, Canadian Centre for Architecture, Montréal 

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Die Zwanzigerjahre

Die Ausstellung thematisiert das Werk von Heinz (1902–1996) und Bodo (1903–1995) Rasch, deren frühe Architekturentwürfe wohl einzigartig in der Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts sind. Kaum zufällig sind ihre Zeichnungen denn auch prominent in so bedeutenden Sammlungen, wie jener des CCA in Montreal, der des MoMA in New York und des DAM in Frankfurt, sowie sämtliche ihrer Publi­kationen (im Original) in dem von Egidio Marzona zusammengetragenen „Archiv der Avantgarden des XX. Jahrhunderts“ vertreten. Die Brüder gehören ins Umfeld der Stuttgarter Moderne, auch wenn Heinz nach 1930 in Wuppertal gelebt hat. Sie bewegten sich etwa beim längst legendären Weissenhof auf Augenhöhe mit grossen Protagonisten des „Neuen Bauens“, wie beispielsweise Peter Behrens, Ludwig Mies van der Rohe oder Mart Stam. Ihre enge Freundschaft insbesondere zu Künstlern, darun­ter Willi Baumeister, Oskar Schlemmer, Kurt Schwitters und Otto Dix, prägte nachhaltig ihr Denken und Gestalten.

Heinz und Bodo Rasch (zugeschrieben Heinz Rasch), Hängehäuser Projekt: Perspektive, um 1927, Bleistift auf Papier, 27 x 46 cm, The Museum of Modern Art, New York © The Museum of Modern Art / Scala, Florence

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Heinz und Bodo Rasch (zugeschrieben Heinz Rasch), Hängehäuser Projekt: Perspektive, um 1927, Bleistift auf Papier, 27 x 46 cm, The Museum of Modern Art, New York © The Museum of Modern Art / Scala, Florence

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Jener Kultstatus, den die Brüder bei Kennern der Materie innehaben, beruht ganz zentral auf ihrer nur vier Jahre währenden Zusammenarbeit. Überspitzt liesse sich behaupten, dass sie die ersten waren, die jene Bedeutung der Kommunikation wirklich erkannt hatten, derer es bedurfte, um das „Neue Bauen“ aus der Fachwelt in die Welt hinaus zu tragen. Als Schriftleiter (heute würde man von„Chefredakteuren“ sprechen), als Herausgeber und Autoren steuerten sie einige der wichtigsten Publika­tionen zur Architektur- und Designgeschichte der Weimarer Republik bei. Und selbst wenn sie etwa beim Thema „Stuhl“ nicht mit einer freischwingenden Design-Ikone zu glänzen vermochten, so verdient nur schon ihre Bedeutung als Zeitzeugen und erst recht das Buch „Der Stuhl“,die kritische Würdi­gung dieser Ausstellung. Und dies gilt auch dann noch, wenn sie sich – wie am Weissenhof – selbst erst von ihrem persönlichen - und Ausbildungshintergrund lossagen mussten. Denn sie waren – das zeigen gerade ihre Musterwohnungen am Weissenhof – mit Handwerk und Holz aufgewachsen eben auch wie verwachsen.

Heinz und Bodo Rasch, Stuttgart, 1927. Eine Montage eines Fotos: Heinz (li.) und Bodo Rasch (re.) mit Dr. Köstel auf dem Tagblatt-Turmhaus; Original aus dem Nachlass Heinz Rasch, Deutsches Architekturmuseum Frankfurt a. Main, SW-Fotografie, 3,6 x 8 cm

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Heinz und Bodo Rasch, Stuttgart, 1927. Eine Montage eines Fotos: Heinz (li.) und Bodo Rasch (re.) mit Dr. Köstel auf dem Tagblatt-Turmhaus; Original aus dem Nachlass Heinz Rasch, Deutsches Architekturmuseum Frankfurt a. Main, SW-Fotografie, 3,6 x 8 cm

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Die Sechzigerjahre

Mit teils revolutionären Entwürfen leisteten die Raschs Pionierarbeit. Seit den 1960er-Jahren bis in die heutige Zeit lassen sich ihre visionären Impulse, so zu Hängehaus-Konstruktionen oder luftgefüllten Gebäudehüllen, anhand von Entwürfen und realisierten Projekten international bekannter Architekten nachzeichnen. Entwürfe von Cedric Price, Coop Himmelb(l)au, Kisho Kurokawa oder NL Architects (um hier nur vier von „gefühlt“ rund zwei Dutzend zu nennen) rücken das kreative Potenzial der Raschs in ein überraschend aktuelles Licht. Eine Nebenerzählung der Ausstellung thematisiert die überaus spannende Geschichte des Freischwinger-Stuhls und weist besonders Heinz Rasch dabei eine bemerkenswerte Bedeutung zu.

Karl Schwanzer, BMW Hochhaus und Museum, 1968, Blickrichtung Norden, ca. 1972; Foto: Sigrid Neubert © BMW Group Archiv 

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Karl Schwanzer, BMW Hochhaus und Museum, 1968, Blickrichtung Norden, ca. 1972; Foto: Sigrid Neubert © BMW Group Archiv 

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Nicht ganz freiwillig haben wir in der Ausstellung darauf verzichtet auf jene ihrer Ideen einzugehen, bei der es um die Imagination von Solararchitektur geht. Der Grund dafür lag darin begründet, dass es genau genommen noch immer an Beispielen realisierter Solararchitekturen mangelt (trotz Drop-Outs an der amerikanischen Westküste, Buckminster Fuller und dem „Whole Earth Catalog“), sieht man von den wenigen Bauwerken ab, die sich an einer Hand abzählen lassen. Und Solardachpaneele sind eben allenfalls Elemente der Architektur, nicht mehr und nicht weniger.

Ausserdem zeigt die Idee „aufblasbarer pneumatischer Zellen“, die auf Bodo Rasch zurückgeht, wie viel Forschungsarbeit hier in Zukunft noch schlummert. Und selbst wenn ein Haus wie das Marta Herford gerade mit Ausstellungen zu Architekturthemen (2010: Neutra, 2012: Buckminster Fuller) bewiesen hat, dass es Grundlagenarbeit leistet, hätte diese hier jeden Rahmen gesprengt. Das auch obwohl diese Ausstellung aufgrund des langen Vorlaufs auf so manche Vorarbeiten aufbauen konn­te. Zumal Ausstellungen meiner Ansicht zufolge darauf abzielen sollten, Jung und Alt, Experten und Laien gleichermassen zu erreichen, denn nur so kann Architektur (ausserhalb des universitären Fachdiskurses) wohl überhaupt je mehrheitsfähig werden – ein Wunsch übrigens, welchen gerade die Moderne seit ihren ersten Stunden sehnsüchtig hegte.

Haus-Rucker-Co (Günter Zamp Kelp, Laurids Ortner, Manfred Ortner, Klaus Pinter), Oase Nr. 7, documenta 5, 1972; Foto: Brigitte Hellgoth, Archiv: Zamp Kelp © VG Bild-Kunst, Bonn 2014

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Haus-Rucker-Co (Günter Zamp Kelp, Laurids Ortner, Manfred Ortner, Klaus Pinter), Oase Nr. 7, documenta 5, 1972; Foto: Brigitte Hellgoth, Archiv: Zamp Kelp © VG Bild-Kunst, Bonn 2014

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Die Gegenwart

Zum ersten Mal würdigt nun ein Museum dieses höchst virile Werk in seiner ganzen Komplexität und seiner Wirkung auf die Architekturgeschichte bis in die Gegenwart. In atmosphärisch dichter Form und mit ergänzenden Beiträgen zeitgenössischer KünstlerInnen (u. a. Ernesto Neto, Michael Beutler oder Erika Hock) zeigt Marta Herford, wie weit die Entfesselung des Blicks bis heute reicht. Für die Gestaltung zeichnet Holmer Schleyerbach (formroyal) verantwortlich, der bereits an der Ausstellungsarchitektur zum Werk von „Richard Neutra in Europa 1960–1970“ (Marta Herford, 2010) mitgearbeitet hatte. Das Ergebnis: ein sehr zeitgenössisches Amalgam aus Funktionalismus, Konstruktivismus und Container-Modulen (unter Verwendung verfremdeter Garagentore).

Kengo Kuma, Teehaus, 2007, Ansicht bei Nacht 2; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt 

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Kengo Kuma, Teehaus, 2007, Ansicht bei Nacht 2; Foto: Uwe Dettmar, Frankfurt 

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Summa summarum: eine Geschichte, die relevant geblieben ist; nicht zuletzt, weil sie ein Beweis für Crossover und Multidisziplinarität ist und somit für Konzeptionen, die zur Zeit der Raschs zwar noch nicht als Begriffe kursierten, aber von den Brüdern subtil und intelligent be- und hinterfragt wurden, waren sie doch als Grafiker, Werber, Architekten und Designer „unterwegs“. So verliessen sie sich beispielsweise bei der Titelillustration lieber auf die künstlerische Fähigkeit eines Willi Baumeister als auch das noch selber zu machen.

Zudem ist dank exzellenter Experten ein lesenswerter Katalog entstanden, der von Pentagram gestaltet wurde, dem wohl nicht nur „einflussreichsten Grafikdesignstudio der letzten fünfzig Jahre“ (so die Lesermeinung von GD USA), sondern wohl auch demjenigen mit einem Leistungsausweis, der in der Geschichte des Grafikdesigns seinesgleichen sucht.

Spillmann Echsle Architekten AG, FREITAG Flagship Store, 2006; Foto: Roger Frei

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Spillmann Echsle Architekten AG, FREITAG Flagship Store, 2006; Foto: Roger Frei

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Insofern keinesfalls zuletzt: Sollte auf Grund dieser Zeilen der Eindruck entstehen, es handele sich um die offizielle Verlautbarung der Pressesprecherin des Marta Museums: Als Autor und Ausstellungs­macher zu Architektur- und Designthemen sehe ich da insofern keinen Widerspruch, als es mir ja darum gehen muss, Kuriosität und Neugier zu wecken. Dennoch: Der Pressetext stammt nicht von mir. Wenn ich ihn jedoch in Teilen längst (fast) auswendig rezitieren kann, wäre das hier wohl die oft zitierte déformation professionnelle. Oder wie hiesse das sonst in der „Küchenpsychologie“?

Ernesto Neto, Three Stops for an Animal Architecture under Gravity, 2007, Polyamide und Polypropylen, 552 x 552 x 438 cm; Courtesy Galerie Max Hetzler, Berlin; Foto: def image  © Ernesto Neto 

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Ernesto Neto, Three Stops for an Animal Architecture under Gravity, 2007, Polyamide und Polypropylen, 552 x 552 x 438 cm; Courtesy Galerie Max Hetzler, Berlin; Foto: def image  © Ernesto Neto 

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