Die Geschichte der Shopping Mall im heutigen Sinne begann in den 50-er Jahren. Victor Gruen, ein aus Österreich emigrierter Architekt, vermisste in Los Angeles die auf den Fussgänger ausgerichteten europäischen Innenstädte.

Die Geschichte der Shopping Mall im heutigen Sinne begann in den 50-er Jahren. Victor Gruen, ein aus Österreich emigrierter Architekt, vermisste in Los Angeles die auf den Fussgänger ausgerichteten europäischen Innenstädte. Den zersiedelten Vorgarten-Siedlungen, und die auf das Auto ausgerichtete Planung der peripheren Wohnviertel fehlte ein Ort der Begegnung, und damit eine Identität.

Gruen wollte die Konzentration von Warenangeboten, Unterhaltung und Dienstleistungen eines klassischen Stadtkerns in ein multifunktionales, überdachtes Einkaufszentrum übersetzen, das auch die Aufgabe eines Ortes der Begegnung übernehmen sollte.

Das erste dieser Art entstand 1952 in Detroit. Architektonisch orientierten sich die ersten Einkaufszentren nach innen, aussen erschienen sie eher wie Zweckbauten, und die Erfindung der Klimaanlage machte Fassadenöffnungen zur natürlichen Belüftung auch überflüssig.

Im Nachkriegsboom der 50er Jahre schossen die Shopping-Malls wie Pilze aus dem Boden. Das Auto, mittlerweile für die Mittelschicht erschwinglich, verkörperte Mobilität, Freiheit und Wohlstand, und wurde zu einem Symbol des American way of life. Somit war der Erfolg der Shopping-Malls auch darin begründet, dass sie von riesigen Parkflächen umringt waren, von denen aus die Einkaufszentren direkt erschlossen wurden.

Einkaufen und Freizeiterlebnis verschmolzen immer mehr miteinander, und der Unterhaltungs- und Erlebniswert einer Mall wurde immer wichtiger. Es entstanden Mainstream Malls mit disneyartiger Architektur, «dekorierte Schuppen», bis das heutige, hybride Modell urbaner Komplexe entstand, die Shopping, Wohnen, Sportanlagen und Kultur in einem «Urban Entertainment Center» verknüpft, so genannten UEC.

Victor Gruen war enttäuscht über die Entwicklung seiner Idee, die entgegen seinem Vorhaben die Zersiedelung der Städte noch weiter vorantrieb. Daniel Libeskind formuliert seine Idee weniger ideologisch: Ausgangslage seines Konzeptes ist der Film «The Big Store» der Marx’s Brothers, die in einer Shopping Mall leben und wahnsinnig viel Spass dabei haben. Als architektonisches Vorbild diente ihm die Galleria Vittorio Emanuele II, die größte Passage Europas.

In jüngster Zeit grenzen sich diese UECs nicht nur durch ihr Angebot ab, sondern auch durch ihre Architektur. Labelling und Brands, der Markenkult, spielt nicht mehr nur bei der Auswahl der Geschäfte eine Rolle, sondern auch bei der Auswahl des Architekts. Der neuen Brünnen AG (dessen Mehrheitsaktionär der Grossverteiler Migros ist), ist im schweizerischen Bern ein sehr gelungen gebrandetes neues UEC entstanden, das Einkaufszentrum Westside.

Strategisch günstig erschlossen, durch Strassenbahn, S-Bahn, Bus und natürlich dem Auto, spannt sich das Westside über eine Autobahn, die das Einzugsgebiet Zürich und Westschweiz näher heranholt. Das architektonische Werk von Daniel Libeskind sollte eine neue Superlative setzen in der Schweiz: 55 Shops, zehn Gastronomiebetriebe, elf Säle mit digitalem Kinoerlebnis und ein Erlebnisbad mit Fitness und Spa.

Das Shopping und Freizeitangebot wir abgerundet durch ein Hotel mit 144 Zimmern und elf Seminarräumen. Die Altersresidenz mit dem hübsch kreierten Namen Senecasita (übersetzt soviel wie «Greisenhäuschen») bietet laut Pressetext «in der Grundpauschale alles Notwendige für ein sicheres und selbständiges Wohnen im Alter».

So sehr man die Konsequenz der Architektur bis ins Detail lobt, werden einem zuweilen auf die Tücken der Spitzwinkligkeit des Libeskindschen Konzepts vor Augen geführt, wie zum Beispiel die Tatsache, dass im Altersheim an einigen schrägen Wänden keine Bilder aufgehängt werden können.

Die Eingliederung des Holiday Inn erforderte wohl mehrere Zugeständnisse: Der piefige Ruf, den die Marke umweht, konnte auch nicht durch den glatten «international Style» wettgemacht werden, der metropolitane Charakter der Mall geht beim profanen Ausblick auf den kleinen S-Bahnhof und einen Kuhhügel auch verloren. Egal - denn der Blick aus den Standardfenster wird sowieso zum Teil von libeskindschen Fassadenapplikationen verdeckt, die den Hotelkasten aufwerten sollen.

Das alles kann jedoch den Eindruck nur leicht drüben, denn das Kernstück, die Shoppingmall ist bis ins Detail geplant und durchgestylt. Ein scharfkantiges weisses Raumgefüge ist nicht klar durch Decke und Wand definiert -die kristallartige Struktur des Gebäudes bildet vielmehr ein räumliches Molekül, das nicht nur durch seine Substanz, sondern auch durch den Raum dazwischen definiert wird. Die raumhohen Glasabschlüsse der Läden wirken durchlässig und einladend. Den Mietern der Shops wurde trotz aller Leitlinien Ihre eigene «Corporate Architecture».

Form ist hier Funktion, nichts ist einfach nur dekorativ - die Räume sind durchdacht und haben eine klare Funktion, Restflächen sucht man vergebens. Dem Studio Daniel Libeskind und seinem schweizerischen Planungsteam unter Leitung von Barbara Holzer ist nach einer über 40-jährigen planerischen Vorgeschichte, die von Krisen und politischen Hindernissen geprägt war, in nur zweieinhalb Jahren Bauzeit ein architektonisches Gesamtkunstwerk gelungen. Vom Architekten- und Planungsteam war mit Sicherheit nicht nur ein kreativer Kopf, sondern auch diplomatisches Geschick, Kompromissbereitschaft und Gewieftheit gefragt.

Das Wichtigste über Westside in Kürze

Bauherrin: Neue Brünnen AG
 100%-Tochter der Genossenschaft Migros Aare
Design: Daniel Libeskind
Architektengemeinschaft: Architekt Daniel Libeskind AG und Burckhardt + Partner AG
Totalunternehmer: ARGE TU-Westside: Rhomberg Bau AG und Strabag AG
Kosten: 500 Mio. Franken

Flächen des Erlebnis- und Einkaufszentrums
Westside Nutzfläche gesamt: 141'500 m2
Shopping: 23’500 m2
Mall: 9'000 m2
Gastronomie und Food Court: 3'000 m2
Bernaqua Erlebnisbad & Spa mit Fitnesscenter: 10'000 m2
Kinderland: 300 m2
Tankstelle mit Shop: 1'000 m2
Parkanlage mit Grünflächen: 58'000 m2

Weitere Zahlen
Fachgeschäfte und Boutiquen: 55
Restaurants und Bars/Lounges: 10
Multiplexkino Cinémas Pathé Westside: 11 Säle, 2'400 Plätze
Hotel Holiday Inn Westside: 144 Zimmer, 11 Seminarräume
Altersresidenz SeneCasita: 95 Wohnungen, 20 Pflegezimmer
Parking: 1'275 Auto- und zahlreiche Veloparkplätze
Besucher pro Jahr: 3,5 Mio.
Einzugsgebiet: 1,2 Mio. Menschen in weniger als 45 Min. erreichbar
Arbeitsplätze: rund 800