Es gibt wohl keinen besseren Zeitpunkt als den Beginn eines neuen Jahrzehnts, um die Uhr als Produkt neu zu betrachten.

2010, das neue Jahr. (Nicht zu verwechseln mit zwanzig Uhr zehn, für diejenigen unter Ihnen, die digital veranlagt sind.) Falls Typographie irgendetwas bedeuten kann, dann verspricht diese Kombination von Ziffern nur Gutes. Darüber hinaus gibt es keinen treffenderen Anlass als den Beginn eines neuen Jahrzehnts, um über die Dinge unter chronologischen Gesichtspunkten nachzudenken.

Public Clock für die Stadt Genf, Nicolas Le Moigne, 2006; Foto Nicolas Le Moigne

Zeitmaschinen | Aktuelles

Public Clock für die Stadt Genf, Nicolas Le Moigne, 2006; Foto Nicolas Le Moigne

×

Indem Zeiterfassungsmechanismen in unser modernes Gebrauchswerkzeug eingebaut werden, wie zum Beispiel Computer und Handys, zwingt uns die Technologie, unseren Lebensrhythmus in einem immer höheren Schritttempo zu halten. Sehnt man sich manchmal nicht zurück nach der guten alten Uhr, einem Objekt, dass für seine eigene Produktkategorie steht, mit dem einzigen und alleinigen Nutzen, die Zeit anzuzeigen?

Zwei der bedeutendsten Produkt-Designer des 20. Jahrhunderts, George Nelson und Dieter Rams, widmeten sich der Gestaltung von Uhren, in deren Design sich verschiedene Anliegen widerspiegeln. Im amerikanischen Lager findet sich eine hochexpressive und verspielte Reihe von Wand- und Tischuhren, während auf der deutschen Seite eine viel utilitaristischere, bemüht moderne und - wenn man so will -'puristische' Designsprache in der Gestaltung von Zeitmessinstrumenten verwendet wurde.

Beide Designer haben in letzter Zeit erneute Anerkennung genossen: Rams wurde eine Retrospektive in Londons Design Museum gewidmet und Nelsons Werk war Anfang 2009 Thema einer Sonderausstellung im Vitra Design Museum in Weil am Rhein.

'Ball Clock', George Nelson, 1949; © Vitra Collections AG, photo Andreas Sütterlin

Zeitmaschinen | Aktuelles

'Ball Clock', George Nelson, 1949; © Vitra Collections AG, photo Andreas Sütterlin

×

George Nelson entwickelte seine erste Uhrenkollektion für den Hersteller Howard Miller, einer Tochterfirma von Herman Miller, dem grossen Traditionsunternehmen für Büromöbel aus Michigan, USA. Der Auftrag des Herstellers war, ein unverwechselbares Produkt zu entwickeln, dessen Produktion kein neues, kostspieliges Werkzeug erforderte. Nelsons Entwurfsansatz wurde durch zwei Theorien untermauert: Erstens war er davon überzeugt, dass das Lesen der Uhr allein durch die Beobachtung der Relation der Zeigerpositionen zueinander stattfindet. Zweitens sah er die Funktion der klassischen Wanduhr langsam aber sicher durch die Armbanduhr abgelöst. So blieb der Wanduhr die Rolle eines dekorativen, skulpturalen Einrichtungs-Gegenstandes.

Skulpturalität findet man bei Nelson zum Beispiel bei der 'Ball Clock' von 1949, einer der Ikonen des amerikanischen Uhrendesigns, sowie bei seiner Mitte der 50er Jahre folgenden 'Cone' Uhr, die heute beide in einer Re-Edition von Vitra produziert werden. Was übt den grossen Reiz dieser Uhren aus? Sie zeigen nicht einfach die Zeit an, sondern verweisen auch auf die Zeit, in der sie konzipiert wurden.

Die 'Ball Clock' mit ihren sternförmigen Metallspeichen, an deren Enden bunte Bälle aufgesetzt wurden, kann als Beginn einer gestalterischen Auseinandersetzung mit der Nachkriegszeit eingestuft werden: Als ikonographisches Abbild der damals neuen Atomforschung. Die Abbildungen der Moleküle in Molekularmodellen aus Kugeln und Metallverbindungsstücken finden sich auch in den Arbeiten anderer Designer dieser Zeit wieder, wie zum Beispiel Ernest Races 'Antelope Chair', für die Designausstellung in der Londoner South Bank 1951, dessen Stahlrohrgestell auf kugelförmigen Füssen sitzt.

'Cone' clock, George Nelson, 1954; now produced by Vitra

Zeitmaschinen | Aktuelles

'Cone' clock, George Nelson, 1954; now produced by Vitra

×

Das Ballmotiv taucht in reduzierter Form in Nelsons Cone Uhr von 1954 wieder auf, bei der die Ziffern wiederum durch rundköpfige Pinwand-Nadeln ersetzt werden. Hier lassen sich zwei Verweise identifizieren: Während wiederum die atomare Struktur zitiert wird, verjüngt sich das Uhrengehäuse auf der Rückseite konusartig, und spiegelt den Glamour der Jet-Ära wider. (Das erste Düsenflugzeug, der Havilland Comet, wurde 2 Jahre vorher in Betrieb genommen). Die Gestaltung von Cone macht sich somit die technologischen und wissenschaftlichen Errungenschaften der Zeit zunutze.

Während George Nelson versucht, sein Werk fest im Zeitgeschehen zu verankern, will Dieter Rams genau das Gegenteil erreichen. Rams war seit 1962 Designdirektor bei Braun und ein Vertreter der rationalen und funktionalistischen Designlehre. Er entwarf eine Reihe vornehmlich elektronischer Produkte, wie das 'SK4' Radio mit Plattenspieler von 1954, den er zusammen mit Hans Gugelot, einem Professor der Ulmer Hochschule für Gestaltung entwickelte. Während Nelson eher verspielt an die Dinge heranging, sind die Entwürfe von Rams das Ergebnis einer rationalen und analytischen Arbeitsweise.

'AB1' alarm clock, Dietrich Lubs for Braun, 1987

Zeitmaschinen | Aktuelles

'AB1' alarm clock, Dietrich Lubs for Braun, 1987

×

Rams Phase 1 Desk Alarm Clock, die 1971 auf den Markt kam, war die erste einer Reihe von Zeitmessgeräten, deren reduzierte Form und sparsamer Farbgebrauch eine transzendente Ästhetik schaffen sollte, um eine historische Einordnung zu vermeiden. Die Wecker, unter anderen der AB1 von 1987, die unter Dieter Rams von seinem Mitarbeiter Dietrich Lubs entworfen wurden, sind heute noch in Produktion. Dies verdeutlicht eine von Rams Grundprinzipien: Gute Gestaltung sollte zeitlos sein.

'Phase 1 Desk Alarm Clock', Dieter Rams for Braun, 1971

Zeitmaschinen | Aktuelles

'Phase 1 Desk Alarm Clock', Dieter Rams for Braun, 1971

×

Die Braun Uhren besitzen vielleicht nicht den lebendigen Charakter von Nelson Entwürfen, jedoch legt sie Wert auf eine zeitübergreifende visuelle Gültigkeit.

Ein wichtiger Aspekt der Zeitmessung ist die Kontrolle über die Gesellschaft und das menschliche Verhalten, denn sie sagt uns, wo wir wann sein müssen. Als Zeichen der institutionellen Macht stehen Uhren nicht nur in privater und häuslicher Umgebung, sondern sind an Türmen und auf Plätzen im öffentlichen Raum allgegenwärtig.

Die grosse beleuchtete Uhr im Café Costes Paris, dessen Interieur von Philippe Starck Mitte der 80-er Jahre gestaltet wurde, könnte als ironischer Kommentar dieser Tatsache gewertet werden. Über der zentralen Treppe des Café Costes prangt sie an der Wand des Cafés, das an sich ein Zufluchtsort ist, um der Hetze des Alltags zu entfliehen. So stehen die 80er Jahre auch für ein Jahrzehnt einer neuen, amerikanisch beeinflussten Arbeitsethik, die leistungs- und profitorientiert war.

Interior of Café Costes, Paris, designed by Philippe Starck, 1984

Zeitmaschinen | Aktuelles

Interior of Café Costes, Paris, designed by Philippe Starck, 1984

×

Jedoch sind nicht alle öffentlichen Uhren zur Kontrolle des sozialen Zeitkontingents entstanden. Nicolas Le Moigne Uhr, die 2006 für die Stadt Genf entstanden ist, hat einen entschieden menschlichen und beruhigenden Charakter - dennoch wurde sie aufgrund öffentlicher Beschwerden sofort demontiert. Den sehr wörtlichen Titel Public Clock tragend, zeigt sie die Zeit eher in Worten an als durch analoge oder digitale Mittel, indem die Blätter ihres Rotationssystems jede Minute um die Achse des viereckigen Kastens herumflattern.

Public Clock designed for the City of Geneva, Nicolas Le Moigne, 2006; photo Nicholas Le Moigne

Zeitmaschinen | Aktuelles

Public Clock designed for the City of Geneva, Nicolas Le Moigne, 2006; photo Nicholas Le Moigne

×

Le Moigne stellt die Zeit auf eine vergnügliche Art dar, indem er sie wortwörtlich in Sprache übersetzt, als ob sie von einer menschlichen Stimme artikuliert würde. Damit wird der Passant angehalten, sich Zeit zu nehmen, den Schritt zu verlangsamen, um die Uhrzeit zu lesen, und damit auch darauf aufmerksam zu werden, dass die Zeit vorübergeht.

'Quadro' wall clock, Heinz Mutter for ChronArte, 2002

Zeitmaschinen | Aktuelles

'Quadro' wall clock, Heinz Mutter for ChronArte, 2002

×

Eine Anzahl weiterer Schweizer Designer haben sich dem Uhrendesign auf innovative Art gewidmet. Heinz Mutters 'Quadro' Wanduhr für ChronArte, mit seiner graphischen, mattfarbenen Optik, würde sich nahtlos in eine Reihe von Bildern der Zürcher konkreten Kunst einreihen, zum Beispiel von Vertretern wie Max Bill oder Camille Graeser. Farbige Säulen bilden sich Stunde für Stunde, bis das Ziffernblatt voll eingefärbt ist. Da die Uhr mit einem Funkempfänger ausgestattet ist, schaltet sie automatisch von Sommer- auf Winterzeit um.

'Partime 1x1', Andreas Mossner for Partime

Zeitmaschinen | Aktuelles

'Partime 1x1', Andreas Mossner for Partime

×

Eine ähnlich bildliche Darstellung liegt der Gestaltung von Andreas Mossners 'Partime 1x1' Uhr vor. Zwei rein geometrische Formen – Kreis und Rechteck – bilden in Kombination auf neuartige Weise die Zeit ab. Sowohl Mutter als auch Mossner bringen uns dazu, die Zeit auf eine neue, unkonventionelle Art und Weise abzulesen. Zeit stellt sich nicht mehr als geschriebene oder angezeigte Zahl dar, sondern als sich permanent veränderndes Verhältnis von Farbe zu Fläche.

Genauso graphisch, aber unverhohlen mechanischer in ihrem Design ist die '2.79' Pendulum Uhr, die von Martin Fischer für Clockwork entworfen wurde. Die traditionelle Wanduhr wurde auf das Minimalste reduziert. Kein Gehäuse ist zu sehen, sondern die reine Struktur der Uhr mit vollständig freigelegter Mechanik. Der Kontrast von linearer Struktur und mechanischen Elementen und der Kontrast der beiden vorherrschenden Materialien – unbehandeltes Messing und Mattstahl – unterstreichen die Absicht, dass dieses Produkt, obwohl es von Hand gefertigt ist, eher einen industriellen als einen handwerklichen Charakter hat.

'2.79' pendulum clock, Martin Fischer for Clockwork, 2009

Zeitmaschinen | Aktuelles

'2.79' pendulum clock, Martin Fischer for Clockwork, 2009

×

Der holländische Designer Maarten Baas zeigte an der Mailänder Möbelmesse 2009 die Film-Trilogie 'Real Time', eine konzeptuelle Auseinandersetzung mit dem Thema Zeit und ihrer Vermittlung in einer zunehmend digitalisierten Welt. Die Filme, von denen jeder volle 24 Stunden lang ist, verdeutlichen die 'Konstruiertheit' unseres Zeitbegriffs und die Tatsache, dass die Zeit kein natürliches Phänomen sondern eine gesellschaftliche Erfindung ist. Baas verdeutlicht dies, indem er die Mechanik der Uhren sozusagen durch den Mensch ersetzt: Die Leinwand-Akteure verändern in den Uhren-Installationen seiner Filme die Zeit von Hand.

Im Film 'Sweeper Clock' kehren zwei senkrecht von oben gefilmte Männer mit einfachen Besen einen dünnen, linear angeordneten Schutthaufen auf dem Boden Minute um Minute um einen imaginären Mittelpunkt etwas weiter, um genau nach einer vollen Stunde am Ausgangspunkt ihrer Handlung zu sein. In diesem Moment wird ein zweiter kürzerer Haufen um denselben Mittelpunkt um einen kleinen Winkel verschoben. Die Abfallhäufchen repräsentieren dabei die Zeiger einer Uhr. Dies ist menschliche Aktivität als filmisch gebanntes Design. 'Analog Digital Clock' zeigt eine digitale Zahlenanzeige auf einer Glasscheibe in Form eines handelsüblichen LED Displays. Hinter der Glasscheibe erkennt man verschwommen einen Akteur, der jede Minute die Striche der digitalen Ziffern per Hand mit einem Stift ausfüllt oder auswischt und damit die Zeitangabe jede volle Minute verändert. Der 'Look' des Digitalen wird durch eine menschliche, höchst analoge Darstellung parodiert.

Die italienischen Designer Andrea Trimarchi und Simone Farresin von FormaFantasma haben ebenfalls die Relation zwischen Zeit und ihrer gestalterischen Darstellung untersucht. Als Beitrag zur Serie 'Hidden inlays' des niederländischen Designkollektivs droog entwarfen sie 'Clock inlays'.

'Clock inlays' for droog by FormaFantasma (Andrea Trimarchi & Simone Farresin); photo FormaFantasma

Zeitmaschinen | Aktuelles

'Clock inlays' for droog by FormaFantasma (Andrea Trimarchi & Simone Farresin); photo FormaFantasma

×

Das Design-Duo untergräbt die Bedeutung der Uhr als Massenware, indem sie ein billiges Kaufhaus-Produkt verwenden. Dieses ist in verschachtelten Holzkisten versteckt, die mit kunstvollen Intarsienmotiven mechanischer Uhrenteile verziert sind. Die Verpackung wird dadurch wertvoller als der Inhalt selbst. Diese Umkehrung spricht auch für den Wert der Zeit an sich: Der Wert der Handarbeit, der sich durch die Intarsienarbeit auf den Kisten ausdrückt, und auch im Öffnungs-Prozess der Kisten wiederkehrt, wird ironischerweise honoriert durch das Auffinden einer 'stinknormalen' billigen Tischuhr. Für FormaFantasma ist die Zeit eben wertvoller als die Instrumente, die sie messen.

'Clock inlays' for droog by FormaFantasma (Andrea Trimarchi & Simone Farresin); photo FormaFantasma

Zeitmaschinen | Aktuelles

'Clock inlays' for droog by FormaFantasma (Andrea Trimarchi & Simone Farresin); photo FormaFantasma

×

And, so, time’s up on this article. I hope you feel it’s been time well spent.



Weiterführende Informationen zum Thema:

Erwähnte Produkte