Parque Biblioteca España

Steil ist der Weg, anstrengend und verwinkelt, die Hitze unerträglich, aber schon von weitem sieht man ein stolzes, massives, rechteckiges Bauwerk der Ruhe, wie es einer Burg gleich aus der hügeligen Landschaft sticht.

Bibliotheken in sozialen Brennpunkten können die Lebensqualität steigern. Angelehnt an das Beispiel der Stadtentwicklung in Chicago ist in Medellín, der zweitgrössten Stadt Kolumbiens, ein Bibliotheken-Park entstanden.

Die Haupstadt des Departementos Antioquia im Tal des oberen Porce hat sich mit ihrer wachsenden Textil- und Maschinenindustrie seit Mitte des 20. Jahrhunderts als wirtschaftliches Zentrum etabliert. Im Gegensatz dazu sieht sich die Stadtentwicklung vor enormen Herausforderungen: die problematische Stadtstruktur entstand durch Binnenmigration, Wachstum der Bevölkerung und der Bildung von informellen Siedlungen.

Diesem Prozess durch integrative Stadtentwicklung entgegenzuwirken, sucht Sergio Fajardo seit seiner Wahl zum Bürgermeister 2003. In den schlimmsten Slums der Stadt liess er von renommierten Architekten öffentliche Institutionen mit den Schwerpunkten Bildung, öffentlicher Raum und Verkehr bauen. Die Strategie ist einfach: Investition in ziviles Engagement statt in öffentliche Sicherheit.

Fünf Bibliotheken sind Teil des Bibliotheken-Parks und alle liegen sie in sozialpolitisch brisanten Gegenden. "Our most beautiful buildings", sagte Fajardo, "must be in our poorest areas." (Unsere schönsten Gebäude müssen in unseren ärmsten Gegenden liegen.) Die Fakten sprechen Bände: Seit 1991 sind die Mordraten in der 2-Millionen-Stadt um den Faktor 13 gesunken.

Als Nahverkehrssystem im Ballungsraum Medellíns wurde die 'Metro de Medellín' als einzige Seilbahn Kolumbiens gebaut. Nicht, um als Massenverkehrsmittel für die Arbeiterklasse der Stadt zu dienen, sondern vielmehr als wichtige kulturelle Achse, die Minderheiten mit einbezieht und die Grenze zwischen arm und reich untergräbt. Sie schwebt über dem Slum von Santo Domingo Savio, der 170'000 Bewohner zählt. Direkt zum Parque Biblioteca España führend, ist sie für die untersten Schichten der Bevölkerung besonders wichtig, auch da diese of zuoberst am Hügel wohnen und nach der Arbeit im Stadtzentrum über zwei Stunden den steilen Hang hinaufgehen müssen. Von Giancarlo Mazzanti 2007 gebaut, verfügt der Parque Biblioteca España über Bibliothek, Auditorum, Internetzugang, Kindertagesstätte und eine Kunstgalerie.

Die drei schwarzen Blöcke von Santo Domingo Savio erscheinen wie eine trotzige Manifestation der Kultur in einem Umfeld von Hoffnung und Ungewissheit. Das fünfstöckige Innere bildet ein lichtes Areal, ist sozusagen vom Licht der hier versammelten Erkenntnis und frischer Luft durchflutet. Auf organische Weise sind die Blöcke miteinander verbunden. Die Besucher betreten den Lesesaal mit mehr als 12.000 Bänden durch einen abgewinkelten Eingang. Knapp 40 Computer mit Internet-Anschluss stehen hier zum Gebrauch frei.

Im Block rechts befinden sich auf mehreren Ebenen Räume für künstlerische Entfaltung und sportliche Tätigkeiten, während man im Untergeschoss auf die Verwaltung trifft. Links vom Eingang stellt das grosszügig ausgestattete Auditorium, vorgesehen für Lesungen, Filmvorführungen, Theatergruppen und Konzerte, eine Oase der Ruhe dar. Es ist auch der Ort, an dem die Gemeinde diskursiv Lösungen für ihre Probleme sucht.

Auf dieser Dreiteilung - Lesesaal-Rekreationsbereich-Auditorium - basieren alle fünf Bibliotheken-Parks. Sie unterscheiden sich hauptsächlich durch ihre Architektur, die andernorts terrassenförmig angelegte Pavillons bevorzugt. In der Comuna 13, dem von der Gewalt am schlimmsten heimgesuchten Stadtbezirk, ist der Bibliothek eine vierte Einheit angegliedert: das 'Zentrum für die Entwicklung gewerblicher Aktivitäten' (CEDEZO), das praktische Anleitungen zu ökonomischer Selbsthilfe bietet.

Ob die Métro de Medellín den ärmeren Bevölkerungsschichten tatsächlich als Transportmittel dient, sei mal dahingestellt, schliesslich sind die Tickets nicht für alle erschwinglich. Sicher aber sind in Santo Domingo Savio seit ihrer Eröffnung weniger Paramilitär präsent.

Medellín, die einstige Hochburg des Terrors, hat sich wieder zu einem der wichtigsten industriellen und kulturellen Zentren Kolumbiens aufgeschwungen - dank der mutigen Reformpolitik Fajardos. Er glaubt an die Architektur und an die Entwicklung der Fähigkeiten, welche die Armen im Wettbewerb mit gebildeteren Bevölkerungsschichten brauchen, durch diese Investitionen in Bildung und öffentlichen Raum.