Zwei der herausragendsten Entwürfe Tapio Wirkkalas aus den späten 60-er und frühen 70-er Jahren werden seit kurzem von Artek wieder aufgelegt; Auch auf internationalen Design-Messen wurde Wirkkalas Werk wiederentdeckt, so wie auf der „Design Miami Basel“, auf der originale Vintage-Stücke des finnischen Gestalters zu sehen waren. An dieser Stelle blickt Architonic zurück auf das Schaffen dieses grossen Meisters, dessen Beitrag zur Designgeschichte der Nachkriegszeit genauso gross wie auch vielseitig war.

Finnland, das Land der hellen Mittsommernächte, wurde oft überschattet von seinen Nachbarländern Dänemark und Schweden – zumindest in politischer Hinsicht.
Wenn es um Design geht, ist Finnland jedoch einer der hellsten Sterne am nordischen Firmament: Das mit am dünnsten besiedelte Land Europas leistete einen wichtigen Beitrag an die Designgeschichte der Nachkriegszeit.

'Bolle' Flaschen von Tapio Wirkkala, ein Produkt seiner Zusammenarbeit mit dem Muranoglas-Hersteller Venini

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'Bolle' Flaschen von Tapio Wirkkala, ein Produkt seiner Zusammenarbeit mit dem Muranoglas-Hersteller Venini

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Die Zeitschrift Domus, von Gio Ponti 1920 gegründet, besass seit jeher kultsymbolischen Charakter. Ab den 50-er Jahren begann das Magazin über finnisches Design zu berichten und machte es damit einer internationalen Leserschaft zugänglich. Mit grosser Regelmässigkeit fiel dabei der Name Tapio Wirkkalas.
Wirkkala, eine ausgebildeter Drechsler, wurde zu einer Schlüsselfigur des skandinavischen Modernismus und Teil der Design-Elite, welche die Titelthemen des Magazins von den frühen 60-er Jahren bis 1973 beherrschte.

Der finnische Designer Tapio Wirkkala; Bildrechte: Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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Der finnische Designer Tapio Wirkkala; Bildrechte: Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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Die von Alvar Aalto in den 30-er Jahren gegründete Firma Artek legte vor kurzem zwei von Wirkkalas Entwürfen aus den 50-er und 60-er Jahren wieder auf: Den X-Frame Tisch aus dem Jahr 1958, auf dessen X-förmiger hölzerner Basis aus Birke oder Ulme eine Glasplatte schwebt, und die einige Jahre später entstandene, formal klar geometrische TW001 Leuchte, deren Kunststoffschirm auf einem lackierten Birkenholz-Fuss steht.
Die Reedition dieser beiden Stücke ist jedoch nicht der einzige Grund, warum Architonic auf Wirkkalas umfassendes Werk zurückblickt; Seine Arbeit, die so prägend war für die Bildung eines spezifisch finnischen Stils, stellt einen wichtigen Gegenpol zum immer stärker globalisierten Design dar: Einem internationalen Stil, der aus der Nivellierung des Konsumverhaltens, der Herstellungsprozesse und letztendlich der Ästhetik resultiert.

'X-Frame Table' von Tapio Wirkkala, ursprünglich für Asko Oy, 1958; seit kurzem von Artek wieder in Produktion genommen

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'X-Frame Table' von Tapio Wirkkala, ursprünglich für Asko Oy, 1958; seit kurzem von Artek wieder in Produktion genommen

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Mit einem Tisch und einer Lampe hat Artek hat für die Wirkkala-Reedition lediglich zwei Möbel aus seinem Werk ausgewählt, doch seine dekorativen Glaswaren stellen einen mindestens ebenso wichtigen Teil seiner kreativen Arbeit dar.
Der von Natur aus schlagfertige und eloquente Wirkkala, der jedoch auch einen eher zaghaften und schwierigen Charakter besass, kreierte ein beeindruckendes Werk an Glasobjekten. Diese fügen sich auf den ersten Blick nahtlos in die uns vertraute skandinavische Designsprache ein, da viele der Entwürfe durch natürliche Formen und Texturen inspiriert zu sein scheinen.

'TW001' Leuchte von Tapio Wirkkala, jetzt von Artek wieder in Produktion, Foto von Juha Nenonen

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'TW001' Leuchte von Tapio Wirkkala, jetzt von Artek wieder in Produktion, Foto von Juha Nenonen

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Eines dieser Stücke ist Wirkkalas Vase „Kantarelli“ (Chanterelle), die vom finnischen Glashersteller IIttala ab 1948 in einer limitierten Edition produziert wurde. Die filigran gravierten Linien ihrer Glasoberfläche und die kelchartige Form der Vase scheinen sehr organisch inspiriert zu sein, geben ihr jedoch auch einen hochpoetischen Ausdruck.
Wirkkala gewann einen Wettbewerb, den die Firma IIttala ausgeschrieben hatte. In der Folge war Wirkkala ab 1946 für IIttala tätig und entwickelte 120 weitere Produkte, die alle in Produktion kamen, bis er die Firma 1951 verliess.
Für jedes Glasobjekt fertigte Wirkkala Hunderte von Skizzen an, die den intensiven Entwurfsprozess des Designers widerspiegeln.

Tapio Wirkkalas ikonische 'Kantarelli' Vase, präsentiert an der Mailänder Triennale 1951, hergestellt von IIttala von 1948 bis 1951 und von 1981 bis heute; Bildrechte Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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Tapio Wirkkalas ikonische 'Kantarelli' Vase, präsentiert an der Mailänder Triennale 1951, hergestellt von IIttala von 1948 bis 1951 und von 1981 bis heute; Bildrechte Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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Diese Virtuosität und das Feilen an einer Arbeit, um ihr den letzten Schliff zu verleihen, macht Wirkkalas Werk so wertvoll. Obwohl es sich um industriell hergestellte Objekte handelt, transportieren sie die Handschrift des Gestalters, denn Wirkkalas „Puuko“, sein Schnitzmesser, war immer in Reichweite, es war sozusagen mit seiner Hand zusammengewachsen. Während schlechte Handwerker den Werkzeugen die Schuld geben, entschied sich Wirkkala, seine Messer selbst herzustellen. Mit diesen Werkzeugen stellte er die Formen für seine seriell produzierten Glaswaren selbst her, sogar jene aus Metall.

„Kantarelli“ wurde an der Mailänder Triennale im Jahr 1951 im Rahmen der finnischen Ausstellungen präsentiert. An dieser Triennale gewann Wirkkala drei „Grand Prix“: Für seine Glaswaren, Holzskulpturen und den Entwurf der Ausstellung selbst. Mailand meinte es gut mit Wirkkala: Hier traf er Gio Ponti und seine Arbeiten wurden einem grossen und internationalen Fach-Publikum zugänglich gemacht. So wie Wirkkala die Form seiner Objekte selbst gestaltete, genau so war er auch der Vertreter finnischen Designs, der eine „Finnishness“ verkörperte und in der grenzübergreifenden Bewegung der Moderne verankert war. In der Nachkriegszeit war dieses Image finnischer Kultur geprägt von einem verklärten Bild naturnahen und fast eremitischen Lebens in einer lappländischen Holzhütte, fern des modernen Lebens.

'Paadarin jää'' (Eis des Padaar-Sees) von Tapio Wirkkala für Iittala, die Vase aus Gussglas wurde an der XII. Mailänder Triennale 1960 ausgestellt; Bildrechte Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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'Paadarin jää'' (Eis des Padaar-Sees) von Tapio Wirkkala für Iittala, die Vase aus Gussglas wurde an der XII. Mailänder Triennale 1960 ausgestellt; Bildrechte Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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Die Rationalität und der Formalismus der 20-er Jahre, wie er zum Beispiel durch das Bauhaus propagiert wurde, bekamen mit Ausbruch des zweiten Weltkrieges eine neue Bedeutungsebene. In einem Land wie Finnland, das traditionsgemäss mit Knappheit an Ressourcen und Material umgehen musste und keine Luxusgüter-Kultur pflegte, war diese rationale Designsprache nichts Neues.
Der finnische Entwurfsstil war durch eine Ästhetik der Reduktion auf das Wesentliche geprägt und entsprach damit sozusagen automatisch auch dem internationalen neuen Stil. Diese Dualität des Ausdrucks in Wirkkalas Werk half ihm internationale Anerkennung zu gewinnen. Zusammen mit dem dänischen Designer Hans Wegener gewann Wirkkala 1951 den Lunning Preis, eine Auszeichnung, die dem Zweck diente, das Werk bedeutender skandinavischer Designer zu ehren; 1954 folgten weitere drei „Grand Prix“ an der Mailänder Triennale.

Tapio mit einer Kaffekanne des "Finlandia" Services, von Rosenthal in den 50-er Jahren produziert; Bildrechte Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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Tapio mit einer Kaffekanne des "Finlandia" Services, von Rosenthal in den 50-er Jahren produziert; Bildrechte Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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Die Zusammenarbeit Wirkkalas mit den führenden Herstellern seiner Zeit bezeugen seinen Internationalismus. Nach seinem Umzug nach New York 1955, zu einer Zeit, in der skandinavisches Design in Amerika sehr „en vogue“ war, arbeitete er in Raymond Loewys Studio.
Dort traf er auf den deutschen Hersteller Rosenthal. Die Begegnung ergab eine Zusammenarbeit, aus der bemerkenswerte Keramikprodukte hervorgingen, die sich gleichzeitig durch ihre Skulpturalität und ihre Funktionalität auszeichneten.
Bis anhin hatte Rosenthal nur mit amerikanischen Designern zusammengearbeitet oder vorhandene Bauhaus-Entwürfe hergestellt. Der erste Entwurf Wirkkalas, der bei Rosenthal in Produktion ging, war sein „Finlandia“ Service aus dem Jahr 1957 - dessen Namensgebung die Nationalität des Designers nachdrücklich betonte.

Eine weitere Zusammenarbeit entwickelte sich mit der Muranoglas-Manufaktur Venini.
Die sehr graphische Kollektion machte viel stärker Gebrauch von Farbe verglichen mit der Designsprache IIttalas, die für ihre Produkte klares, farbloses Glas verwendete, das sich rein über seine Form definierte. Die zweifarbige „Bolle“-Serie aus dem Jahr 1966/67 zeichnet sich aus durch gedrungene oder langgezogene Formen, die von schmalen Flaschenhälsen kontrastiert werden und besitzt eine sehr starke optische Präsenz.

'Coreano' Serie von Tapio Wirkkala für Venini, 1966; Bildrechte Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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'Coreano' Serie von Tapio Wirkkala für Venini, 1966; Bildrechte Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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Auch wenn Wirkkalas Glas- und Keramikarbeiten einen grossen Teil seines Gesamtwerkes darstellen, erstreckte sich seine Tätigkeit auf einen weit umfassenderen Bereich.
Der internationale Modernismus der Vorkriegszeit war von dem Gedanken durchwirkt, die Welt mittels durchdachten, maschinell hergestellten gut funktionierenden Objekten zu verbessern, die allen zugänglich sein sollten. Die nach dem Krieg in Skandinavien vorherrschenden Werte wie Demokratie und Gleichheit stellten das ideale Umfeld für Design, das soziale Werte transportierte. Es ist die Idee eines alltagstauglichen Designs für eine demokratische Gesellschaft, die letztendlich hinter den hochwertigen Produkten von Iittala, Rosenthal und Venini steht.

In den 60-er Jahren entwarf Wirkkala eine Reihe an Gebrauchsgütern, wie zum Beispiel Ketchup-Flaschen aus Plastik oder die neue Glasflasche für die Wodkamarke Finlandia, die zur Ikone finnischen Industriedesigns im Ausland wurde. Abgesehen von der Zweckmässigkeit der Flasche und ihrer sehr ausdrucksvollen Form, beschwor sie Assoziationen mit den Landschaften arktischen Eises herauf. Nachdem das Gefäss seinen ursprünglichen Zweck erfüllt hatte, wurden weltweit viele der Finlandia Wodka-Flaschen als dekoratives Exempel finnischen Designs in unzähligen Haushalte eingegliedert.

'Kaffekanne TW 188', in Silber und Jacaranda, für Kultakeskus, 1958; Bildrechte Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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'Kaffekanne TW 188', in Silber und Jacaranda, für Kultakeskus, 1958; Bildrechte Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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Mit seiner Arbeit für die Flugindustrie erlangte Wirkkala jedoch sicher die grösste Popularität. Das Engagement des Designers und sein Beitrag für Finnlands Aussenwirkung in der Nachkriegszeit und der Generierung einer Art „Finnishness“ zieht sich durch sein gesamtes Werk. Die Produkte, die er für die nationale Fluggesellschaft Finnair (früher Aero) entwarf, sind ein massgebliches Beispiel dafür. Seine Gläser, Tassen, sein Besteck und sein Essgeschirr für die finnische Fluglinie sind nicht nur von Tausenden von Fluggästen benutzt worden, sondern wurden auch Teil einer nationalen finnischen Identität auf über 10.000 Metern über dem Meeresspiegel. Sie waren der Exponent finnischen Designs, der sich im wörtlichen und übertragenen Sinne über die ganze Welt verbreitete.

Messer der Besteckserie "Caravelle" aus dem Jahr 1960, hergestellt von Kultakeskus, entworfen von Tapio Wirkkala für die Bordausstattung von Finnair; Bildrechte Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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Messer der Besteckserie "Caravelle" aus dem Jahr 1960, hergestellt von Kultakeskus, entworfen von Tapio Wirkkala für die Bordausstattung von Finnair; Bildrechte Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation

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Die Plastiktasse für den Bordgebrauch des neuen Caravelle Flugzeugs, für die Wirkkala 1960 von Aero beauftragt wurde, entwarf er ganz im Sinne des Gesamtkunstwerks. Das Trinkgefäss für die Erst-Klass-Passagiere zitierte die Form des Flugzeug-Hecks, das Messer wurde durch die aerodynamische Form der Flügel inspiriert . Diese Reminiszenzen sollten das Bild Finnlands als Land technischer Innovation unterstreichen. Die Grafikerin Ilmari Tapiovaara war verantwortlich für die blau-weisse Grafik, die ebenso Teil der Corporate Identity von Aero wurde.

'Ultima Thule' Cocktail Glas von Tapio Wirkkala für Iittala, 1968; Die Gläser waren Teil des Bordgeschirrs für Finnairs Überseeflüge; Bildrechte Iittala

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'Ultima Thule' Cocktail Glas von Tapio Wirkkala für Iittala, 1968; Die Gläser waren Teil des Bordgeschirrs für Finnairs Überseeflüge; Bildrechte Iittala

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Mit den neuen DC-8 Maschinen flog Finnair ab 1969 von Helsinkis Vantaa Airport auch New York an. Wirkkalas „Ultimate Thule“ Gläser von IIttala, die im Jahr zuvor auf den Markt kamen, wurden als Bordgeschirr ausgewählt. Typisch für Wirkkalas Arbeitsweise, schnitzte er die Formen von Hand: Zuerst aus Graphit und dann in Metall.
Trotz der Einstellung des First-Class-Services in den 80-er Jahren werden die Gläser mit ihrer Ästhetik arktischen Eises immer noch benutzt: Ein Zeichen der Wertschätzung, welche die Passagiere ihnen entgegenbringen.

Es ist genau diese Wertschätzung, die durch Wirkkalas humanistischen Gestaltungsansatz entsteht, charakterisiert durch eine internationale und modernistische Sprache, die gleichzeitig die Handschrift des Designers und die finnische Seele in sich trägt. Genau das macht die gleichbleibende Bedeutung seiner Arbeit aus, die Artek erkannt hat und Wirkkalas Entwürfe bis heute produziert.
Objekte, die nicht nur gut funktionieren sondern uns auch emotional an sich binden, überdauern die zeitgenössische Wegwerf-Mentalität. Wirkkala wirkt auch in dieser Hinsicht in uns nach.

Die Sammlung der im Jahr 2003 gegründete Tapio Wirkkala Rut Bryk Foundation enthält eine Kollektion von mehreren tausend Objekten und Kunstgegenständen, Originalzeichnungen, Entwürfen, Fotografien und Dias der Arbeiten des Designer-Paares Tapio Wirkkala und Rut Bryk.