Die Richtung der jüngeren Generation von Architekten, zu der auch der 1954 in Yokohama geborene Kengo Kuma gehört, steht unter einem neuen Vorzeichen.

So schnell wie kein anderes asiatisches Land hat es Japan in den letzten hundert Jahren geschafft, seinen wirtschaftlichen Einfluss auf westliches Niveau zu steigern. Und so stark wie kein anderes industrialisiertes Land hat Japan dabei einen kulturellen und sozialen Wandel durchlebt. Mit dem Herrschaftsantritt Meijis im Jahr 1867 wurde die Entwicklung Japans zu einer Industrie- und Seemacht eingeleitet. Der zuvor isolierte Inselstaat öffnete sich rasch dem Rest der Welt und die Neugier an westlichem Kulturgut machte sich breit. Japans Bevölkerung verdoppelte sich innerhalb von 45 Jahren auf 50 Millionen. Institutionelle Architektur passte sich dem westlichen Stil, also erst dem Neoklassizismus und später der Moderne, an. Zum grossen architektonischen Wandel kam es jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Die traditionelle japanische Architektur war bis dahin insbesondere von Holzkonstrukionen geprägt. Diese Häuser hatten eine durchschnittliche Lebensdauer von 30 Jahren. In den vom Krieg vollkommen zerstörten Städten hatte man nun endlich die Chance, langlebige Architektur ganz im Stil der amerikanischen Metropolen zu etablieren. Es wurde experimentiert wie nie zuvor. 1959 fanden sich die Metabolisten zusammen, deren Thema die Stadt der zukünftigen Massengesellschaften war. Ihre flexiblen Grossstrukturen standen für die Lebendigkeit der japanischen Stadtentwicklung. Beton und Stahl wurden zu den ultimativen Baustoffen. Kenzo Tange, Arata Isozaki u.a. brachten der neuen japanischen Architektur Weltruhm ein.

Lotus Haus, Ostjapan 2005, Fotos von Daici Ano

Die Macht der Lücke | Aktuelles

Lotus Haus, Ostjapan 2005, Fotos von Daici Ano

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Die Richtung der jüngeren Generation von Architekten, zu der auch der 1954 geborene Kengo Kuma gehört, steht allerdings unter einem gänzlich anderen Vorzeichen. Indem sie natürliche Materialien verwenden, traditionelle Fertigungsweisen nutzen und eine sehr zurückhaltende Gestaltung pflegen, besinnen sie sich auf ihre kulturellen Wurzeln und treiben eine neue Auffassung moderner japanischer Architektur voran.
Diese Abkehr vom Monumentalismus ging mit der Rezession, die Anfang der 90er Jahre einsetzte und mit deren Nachwehen man noch heute kämpft, einher. Es war auch die Zeit, in der Kengo Kuma sich entschied, seine Tätigkeit ausserhalb der Grossstadt auf dem Land auszuüben. Anders als in China oder Korea herrscht in Japan ein sehr grosser Respekt gegenüber handwerklichen Berufen. Kuma realisierte, welch anspruchsvolle und ökonomische Architektur man mit Baustoffen wie Holz und Stein schaffen kann. Sein Ziel ist, die traditionelle Architektur ins Bewusstsein der Menschen zurückzuholen und sie für das 21. Jahrhundert neu zu interpretieren.
Das Problem der europäisch geprägten Architektur, so Kuma, ist ihr Formalismus. Im Klassizismus stand das Objekt und dessen Proportionen im Zentrum des Interesses und auch die Moderne beschäftigte sich insbesondere mit der Schönheit der Form. Kumas Entwürfe hingegen sind durch ihre formale Bescheidenheit sehr anpassbar. Er sieht die Besonderheiten der Landschaft und Umgebung als den entscheidenen Ausgangspunkt seiner Arbeiten. Die Architektur soll sich demütig in die Umgebung einfügen und Teil ihrer werden. Als gestalterisches Mittel setzt Kuma hierbei Durchbrüche ein, die dem Bewohner oder Besucher immer den visuellen Kontakt zum Aussenraum und zur Natur ermöglichen. Mehr oder weniger grosse Spalten und Lücken ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Entwürfe. Ein eindrückliches Beispiel ist das Lotus Haus aus dem Jahr 2005. Fast wie ein Vorhang legt sich die Travertin-Fassade mit ihren Schachbrettartigen Aussparungen um die Fensterfronten des Hauses und lässt ein delikates Licht- und Schattenspiel entstehen. Ausserdem wird der sehr ehrliche Umgang mit Materialien deutlich. Der Naturstein deckt nicht die darunterliegende Konstruktion ab, sondern wird massiv eingesetzt und gezeigt.

Great Bamboo Wall, Peking 2002, Fotos von Satoshi Asakawa

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Great Bamboo Wall, Peking 2002, Fotos von Satoshi Asakawa

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Die Great Bamboo Wall ist Wohnhaus aus dem Jahr 2002 und liegt in einer Gemeinde in der Nähe der chinesischen Mauer. Während die Innenwände zum Teil aus vertikal mit gewissem Abstand aneinandergereihten Bambusstelen bestehen, bricht ein Gitter aus Bambusstangen das von oben einfallende Sonnelicht. Es erscheint ein immaterielles Gewebe aus Licht und Schatten. Bambus, der erst seit einigen Jahren zu Verbundstoffen weiterverarbeitet wird (siehe Sonderthema), wird fast immer in seiner ursprünglichen Form verwendet. In Kengo Kumas Architektur wird er geschickt zum Bindeglied zwischen Natur und Kultur.
Das Suntory Museum of Art in Tokyo, das im Frühjahr diesen Jahres fertiggestellt wurde, ist sicherlich ein Projekt, das die Adaptierbarkeit von Kumas übergreifender Architekturauffassung auf den urbanen Raum in Frage stellen könnte. Und wieder einmal steckt die Antwort im Detail. Die vertikalen Paneele, die die Fassade ausmachen, bestehen aus Keramik, ein Material, das aufgrund seiner Porösität häufig eine gewisse Dicke besitzen oder mit Beton verbunden werden muss. Im Fall des Museums hat man Aluminiumprofile zur Verstärkung der Keramik benutzt, wodurch es möglich war, besonders feine Kanten zu erhalten. Doch auch wenn diese Besonderheit des Materials dem Gebäude eine gewisse Transparenz und Zerbrechlichkeit verleiht, hebt es sich kaum vom gewohnten Stadtbild ab und fügt sich in die vorgefundene Umgebung ein. Aber wenn wir den Meister richtig verstanden haben, ist genau das sein Ziel. Eine Stadt ist halt eben eine Stadt.

Suntory Museum of Arts, Tokyo 2007, Fotos von Mitsumasa Fujitsuka

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Suntory Museum of Arts, Tokyo 2007, Fotos von Mitsumasa Fujitsuka

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