In meiner Jugendzeit, wir machten gerade Urlaub bei Malcesine am Gardasee, entdeckte ich ein Designgeschäft, das all die Schätze enthielt, die ich sonst nur aus Büchern kannte. Der Besitzer war so angetan von meinem Enthusiasmus, dass er mir ein Stapel Bücher vermachte. So bekam ich meinen ersten Einblick in all jene Strömungen und Marken, die das italienische Design weltberühmt machten.

Das Küchensystem Salinas besticht durch unkonventionelle Materialien, Bauteile und Arrangements

Boffi: Achtzig Jahre zeitloses Design | Aktuelles

Das Küchensystem Salinas besticht durch unkonventionelle Materialien, Bauteile und Arrangements

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Boffi gehört zweifellos zu diesen Marken. Piero Boffi verliess 1934 den italienischen Flugzeughersteller Caproni, um seine eigene, von Handwerkern geführte Firma zu gründen. Von Anbeginn an zählten Wertarbeit, Innovation und Unternehmergeist zu den Leitprinzipien, die jedes Detail der Betriebsführung und Produktplanung bestimmten. Das Jahr 1947 brachte nicht nur Eröffnung der ersten Werksanlage, sondern auch den Beitritt der Söhne Dino, Pier Ugo und Paolo – Boffi wurde ein Familiengeschäft. Was der Vater aufgebaut hatte, entwickelten die Gebrüder Boffi in den 1950er-Jahren weiter. Sie verbanden Kreativität, bereits damals ein Markenzeichen der Firma, mit fortschrittlichen Herstellungsmethoden und Technologien.

Integrierte, flexible Fertigung

Piero Boffis Zukunftsvision bleibt bis heute aktuell. Die Vorzeigeprodukte seiner Firma – Edelausstattung für Küche und Bad – werden nach modernsten Verfahren gefertigt. Das Werk steht in Lentate sul Seveso, einer Gemeinde zwischen Mailand und Comer See, dem Kernland der italienischen Möbelindustrie, wo neben Boffi viele andere Weltmarken angesiedelt sind.

Boffis Geschäftsführer Roberto Gavazzi erklärt, was diesen Standort so besonders macht: „Unsere Präsenz hier ist ein echter Wettbewerbsvorteil. Es gibt hochqualifizierte Arbeiter und gute Ideen liegen in der Luft und werden frei ausgetauscht.“

Alle Produktionseinrichtungen befinden sich auf dem neuesten Stand. Es gibt spezielle Tischler- und Lackierwerkstätten. Da alle Prozesse von einem zentralen Computerprogramm gesteuert werden, können Maschinen schnell und problemlos für andere Fertigungsschienen umgerüstet werden. Gavazzi sieht immense Wachstumschancen in diesem Bereich: „Flexibilität ist das Hauptkriterium, auf das wir uns beim Ausbau unseres Produktionssystems konzentrieren. Jeder Kunde soll die Lösung bekommen, die er sich wünscht. Wir führen ein komplettes Sortiment, das individuelle Wahlmöglichkeiten bietet. Ausserdem gibt es spezielle Dekor-Optionen, falls jemand etwas Besonderes sucht.“

Dank seiner integrierten, hochflexiblen Fertigungsanlage, die einen Grossteil der Komponenten vor Ort erzeugt, kann Boffi prompt auf alle Kundenanforderungen reagieren.

Joe Colombo, einer der ersten Designer, die für Boffi arbeiteten, entwarf 1963 die nur 90 x 75 x 75 cm grosse, extrem platzsparende Minikitchen

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Joe Colombo, einer der ersten Designer, die für Boffi arbeiteten, entwarf 1963 die nur 90 x 75 x 75 cm grosse, extrem platzsparende Minikitchen

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Emotionales Design

Gavazzi kommt auf das Thema Design zu sprechen und erläutert kurz die für die Produktentwicklung massgebliche Philosophie: „Reine Gebrauchsartikel oder reine Designobjekte auf den Markt zu bringen, genügt uns nicht.“ Boffi distanziert sich bewusst von der sonst so häufigen Überbewertung des Designs gegenüber dem Nutzwert. „Unsere Küchen und Badezimmer sollen emotional ansprechen. Sie sind modern, fortschrittlich und funktionell und ein Hochgenuss für den Benutzer.“

Ein frühes Beispiel einer solch emotionalen Lösung stammt von Joe Colombo, einem der ersten Designer, die für Boffi arbeiteten. Bekannt für seine futuristischen Wohnwelten, entwarf Colombo die 90 x 75 x 75 cm grosse Minikitchen. Ein solch raumsparendes System war im Jahr 1963 eine revolutionäre Idee! Mehr als fünfzig Jahre später passt sie ideal ins Grossstadtgedränge. Ein Herd mit zwei Kochplatten, Backofen und Grill, ein Kühlschrank, ein Schneidebrett, eine ausziehbare Arbeitsplatte und sogar ein Regal für Kochbücher finden Platz. 2010 brachte Boffi eine leicht vergrösserte Neuversion aus Corian heraus. Die Marke bewies damit, dass es nicht unmöglich ist, zugleich traditionsbewusst und zukunftsweisend zu denken.

Open von Piero Lissoni ist eine Arbeitsinsel aus Edelstahl – die erste ihrer Art, die eigens für Anwendungen im Freien entwickelt wurde

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Open von Piero Lissoni ist eine Arbeitsinsel aus Edelstahl – die erste ihrer Art, die eigens für Anwendungen im Freien entwickelt wurde

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Jubiläumsprodukte statt Jubiläumsfeiern

Auch nach Colombo konnte Boffi unter seinen Art-Direktoren Luigi Massoni, Antonio Citterio und gegenwärtig Piero Lisson eine lange Liste erstrangiger Designer verpflichten. Trotz der Erweiterung der Produktpalette ging die einheitliche Designsignatur nicht verloren. Im laufenden Jahr wurden zwei neue Küchenprodukte und eine neue Designerin vorgestellt.

Die erste Neuerscheinung, „Open“ von Piero Lissoni, ist eine Arbeitsinsel aus Edelstahl – die erste ihrer Art, die eigens für Anwendungen im Freien entwickelt wurde. Lissoni bezeichnet sie als „Maschine, die immer mit dabei ist, wenn man eine Mahlzeit zubereitet, sich einen Drink gönnt, Musik hört, mit Freunden plaudert oder leckere Gerichte geniesst.“ Das komplette „Open“-Set verfügt über einen Arbeitstisch mit Edelstahlrahmen und zwei Regalen aus Drahtglas, auf dem man Zutaten vorbereiten oder Imbisse präsentieren kann. Dieser Akzent macht den Kochbereich zum Mittelpunkt der Geselligkeit. Das „System für Terrasse und Garten“ wurde, wie Gavazzi versichert, vor allem „für die Wachstumsmärkte in Nordamerika und Asien konzipiert. Heute ist das eine Marktnische, aber wir denken, dass da grosses Potenzial besteht.“

Das zweite Produkt entwarf eine ehemalige Mitarbeiterin Lissonis, die bereits vor Jahren am Design von dessen „WK6“-Küche beteiligt war. Patricia Urquiola beweist mit dem Küchensystem „Salinas“, das durch unkonventionelle Materialien, Bauteile und Arrangements besticht, ihr Talent für einzigartige und überraschende Farb- und Materialkombinationen. Boffi beschreitet mit diesem Produkt neue Wege, meint Gavazzi: „Das achtzigste Firmenjubiläum ist für uns nicht als nur ein Grund zu feiern. Wir wollen neue Design-Massstäbe setzen, die zeigen, woher wir kommen und wohin wir gehen.“

Das Küchensystem Salinas, das durch unkonventionelle Materialien, Bauteile und Arrangements besticht, beweist Patricia Urquiolas Talent für einzigartige und überraschende Farb- und Materialkombinationen

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Das Küchensystem Salinas, das durch unkonventionelle Materialien, Bauteile und Arrangements besticht, beweist Patricia Urquiolas Talent für einzigartige und überraschende Farb- und Materialkombinationen

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Die Zukunft: neue Produkte, neue Technologien

Auf die Zukunft des Hauses angesprochen, nennt Gavazzi zuallererst Pläne für den Einstieg in eine neue Produktkategorie, als Ergänzung zu den beiden bisherigen Hauptlinien Küche und Bad. Bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren experimentierte Boffi mit Garderoben. „Wir wollen uns auf diesen Aspekt der Wohnlandschaft konzentrieren, der wie Küche und Bad komplexe modulare Systeme erfordert. Wir sind überzeugt, dass sich dies bestens mit unserer Kernkompetenz als Hersteller hochfunktioneller Innenausstattung vereinbaren lässt.“

Das Produktangebot hat selbstverständlich Priorität, aber das eigentliche Erfolgsgeheimnis, verrät Gavazzi, ist das Vertriebsnetz: „Es ist ausserordentlich schwierig, die richtigen Kunden in Sydney, Los Angeles, Tokio oder Shanghai ausfindig zu machen ..., doch genau das ist der Schlüssel zum Erfolg.“

Potenzielle Wettbewerbsvorteile bietet auch der Bereich Technik. „Design allein genügt nicht“, betont Gavazzi. „Technische Neuerungen in der Produktion und bei den Bauteilen (Funktion, Material, Beleuchtung usw.) sind entscheidend für unsere Zukunft.“ Dasselbe gilt für den Einzelhandel: „Wir müssen uns stärker als andere für die Optimierung der Geschäftsräume engagieren, weil wir relativ teure Artikel anbieten, die viel Platz beanspruchen. Ein Küchenfachgeschäft erfordert beträchtliche Investitionen, das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Wir benötigen kleinere Verkaufsflächen, wo wir unsere Produkte digital oder virtuell vorstellen können.“

Die Garderobe Solferino von Piero Lissoni und Decoma Design ist ein patentiertes System, dessen tragfähige, frei stehende Konstruktion eine einzigartige, offene Raumwirkung erzeugt

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Die Garderobe Solferino von Piero Lissoni und Decoma Design ist ein patentiertes System, dessen tragfähige, frei stehende Konstruktion eine einzigartige, offene Raumwirkung erzeugt

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Realität und Virtualität im Showroom

Der Übergang vom realen zum digitalen Einkaufserlebnis ist ein Trend unserer Zeit. Ein gutes Beispiel, wie man eine komplette Produktpalette im engen Stadtraum vorführen kann, ist der Autosalon Audi City in London. Klarerweise fehlt der emotionale Kontakt. Ständig über einen Bildschirm zu wischen, fühlt sich nicht besonders luxuriös an und die gediegene Verarbeitung, auf die Boffi so stolz ist, lässt sich auf diesem Weg kaum nachvollziehen.

Wer je den Genuss hatte, den Boffi-Showroom im Mailänder Altstadtviertel Brera zu besuchen – wo sich meine Liebe zum italienischen Design, die am Gardasee begonnen hatte, weiter vertiefte –, erlebt konkret, was Boffis zugleich rückwärts- und vorwärtsgewandter Blick zu vollbringen vermag. Ohne die Substanz des alten Baus zu beeinträchtigen, wurden zeitgenössische Lofts mit einer Gesamtfläche von 1300 Quadratmetern eingerichtet, auf denen sich die gesamte Boffi-Kollektion grosszügig darstellen lässt.

Dieses Modell lässt sich natürlich nicht beliebig übertragen, schon gar nicht auf dicht besiedelte Stadtzentren. Aber wie Audi gezeigt hat, kann mit technischen Mitteln eine überzeugende Produktpräsentation inszeniert werden, die sich nahtlos in die heutige Stadtwelt einfügt.

Der grosszügige Boffi-Showroom im Mailänder Altstadtviertel Brera präsentiert auf 1300 Quadratmetern die komplette Kollektion

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Der grosszügige Boffi-Showroom im Mailänder Altstadtviertel Brera präsentiert auf 1300 Quadratmetern die komplette Kollektion

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Vielleicht liefert Boffi schon bald Beweise dafür, dass es möglich ist, Vergangenheit und Zukunft zu einem real-virtuellen Einkaufserlebnis zu verknüpfen. Zu einem Geschäftsdesign, dass nicht nur die Vielfalt, sondern auch die Qualität der Markenprodukte ins beste Licht setzt – mitten in Trubel der Stadt.

Schön, wenn man achtzig Jahre jung ist. Da hat man die ganze Zukunft noch vor sich!

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