In einer Kirche in der Nähe der Porta Romana waren im Rahmen der Mailänder Messe-veranstaltungen „Fuori Salone“ die „Reliquien“ brasilianischer Modernisten zu sehen: Rare Stücke der Designer des sogenannten „Tropical Modernism“ der 50-er bis 70-er Jahre.

Als Le Corbusier 1929 zum ersten Mal Rio de Janeiro besuchte, fand er Brasilien zwar faszinierend, jedoch auch ländlich und provinziell. Obwohl er einige Vorträge hielt, blieben diese einem kleinen, hochgebildeten Kreis vorbehalten, der seinen Ausführungen in Französisch folgen konnte, unter denen unter anderem Lucio Costa und Oscar Niemeyer waren, die prägend für die brasilianische Moderne wurden:
Sie waren es auch, denen mit dem Brasilianische Pavillon an der New Yorker Weltausstellung 1939 ein sensationeller Auftritt gelang.
Im Jahre 1943 folgte im New Yorker MOMA die Ausstellung „Brazil Builds“, gefolgt von der Wanderausstellung in Europa „Brasilien baut“, welche die Entwicklungen in Brasilien ins Blickfeld der Architekten der nördlichen Halbkugel rückte.

Ausstellung Brazilian Modern im Spazio Miticoro, Mailand

Tropical Modernism: Die Meister der brasilianischen Moderne | Aktuelles

Ausstellung Brazilian Modern im Spazio Miticoro, Mailand

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Der Bau der Planstadt Brasilia in den 50-er Jahren war der Höhepunkt der ,,Brasilianischen Moderne":
Bis heute stellt die Retorten-Hauptstadt das grösste Bauprojekt aller Zeiten dar.
Doch neben den international berühmten Architekten Costa und Niemeyer waren noch viele andere bekannte und unbekannte Modernisten am Werk, denen wir uns im Folgenden widmen wollen.

Jacaranda Servierwagen, ca. 1950, Designer unbekannt; Foto © Brazilian Modern

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Jacaranda Servierwagen, ca. 1950, Designer unbekannt; Foto © Brazilian Modern

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Sergio Rodrigues, Sessel Tonico; Foto © Brazilian Modern

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Sergio Rodrigues, Sessel Tonico; Foto © Brazilian Modern

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Sergio Rodrigues erhielt 1963 als junger, mehr oder weniger arbeitsloser Architekt den Auftrag für die Bestuhlung des Auditoriums der neuen Universität von Brasilia.
Darcy Ribeiro, der Universitäts-Direktor, eröffnete ihm im gleichen Atemzug, dass Rodrigues für Entwurf, Ausführung und Installation der Hörsaalbestuhlung nur 20 Tage Zeit blieben.
Zurück in Sao Paolo stellte Sergio Rodrigues folgende Überlegungen an:
Erstens: Welche Materialien sind leicht verfügbar? Und zweitens: Wer kann sie verarbeiten?
Eine Werkstatt übernahm die Schlosser- und Tischlerarbeiten und eine Sattlerei die Anfertigungen der ledernen Sitzflächen und Lehnen.
Dieses Beispiel illustriert, wie die Verfügbarkeit der lokalen Materialien und das handwerkliche Know-How den „Tropical Modernism“ massgeblich beeinflusst haben:
Die Details der Möbel sind zwar raffiniert, funktionieren jedoch oft mit einfachen Verbindungen.

Stuhl aus Leder und Jacaranda-Holz ca. 1960; Designer unbekannt; Foto © Brazilian Modern

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Stuhl aus Leder und Jacaranda-Holz ca. 1960; Designer unbekannt; Foto © Brazilian Modern

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Wegbereiter des „Tropical Modernism“ und ein grosses Vorbild von Sergio Rodrigues war Joaquim Tenreiro. Wie Lucio Costa und Burle Marx wurde auch er in Europa geboren und emigrierte 1928 im Alter von 22 Jahren nach Brasilien. Als Sohn eines traditionellen Möbelschreiners heuerte er bei den Ausstattern der brasilianischen Bourgeoisie an, wie zum Beipiel die renommierte Firma Laub & Hirsch, die mehrheitlich europäische Stilmöbel produzierten.
Tenreiro sammelte dort zwar viel Erfahrung, war jedoch vielmehr an der Entwicklung einer eigenen, zeitgemässen Formensprache interessiert, einer Sprache, die nach seiner Vorstellung „formale Leichtigkeit...“ besitzen sollte, „eine Leichtigkeit, die nichts mit dem tatsächlichen Gewicht zu tun hat, sondern mit Eleganz und mit räumlicher Funktionalität."

Stühle aus Jacaranda und Wollstoffbespannung; Designer John Graz; Foto © Brazilian Modern

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Stühle aus Jacaranda und Wollstoffbespannung; Designer John Graz; Foto © Brazilian Modern

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Seine grosse Erfahrung in der Holzverarbeitung kam ihm zugute, und tropisches Holz wie Jacaranda war auch das Material, das die brasilianische Ureinwohner zur Herstellung verschiedenster Utensilien verwendeten, wie Kochgeschirr, Waffen, Einrichtungsgegenständen und vielem mehr.
Der neue Stil Tenreiros verband also so gegensätzliche Einflüsse wie den luxuriösen Kolonialstil und die einfache, meist zweckgebundene Formensprache der indianischen Produkte.
Nach der Eröffnung seines eigenen Möbelateliers 1940 sollte es noch 10 Jahre dauern, bis Tenreiros Werk berühmt wurde – nicht zuletzt durch seinen grössten Kunden, Oscar Niemeyer, dessen Bauten er möblierte.

Stuhl aus Jacaranda und Leder; Design Joaquim Tenreiro; Foto © Braziilian Modern

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Stuhl aus Jacaranda und Leder; Design Joaquim Tenreiro; Foto © Braziilian Modern

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Stühle aus Jacaranda, Bespannung aus Rohrgeflecht; Design Joaquim Tenreiro, Foto © Brazilian Modern

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Stühle aus Jacaranda, Bespannung aus Rohrgeflecht; Design Joaquim Tenreiro, Foto © Brazilian Modern

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Die Ausstellung „Brazilian Modern“ zeigt jedoch nicht nur Werke der ohnenhin schon bekannten internationalen Meistern wie Rodrigues und Tenreiro, sondern auch von Giuseppe Scapinelli, der in den 1950 ein Möbelgeschäft in Sao Paolo betrieb, in dem er seine eigenen Entwürfe verkaufte.

,,Spider" Tisch aus Jacaranda und Glas, ca. 1950; Design Giuseppe Scapinelli; Foto © Brazilian Modern

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,,Spider" Tisch aus Jacaranda und Glas, ca. 1950; Design Giuseppe Scapinelli; Foto © Brazilian Modern

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Sessel aus Jacaranda und Stoff, ca. 1960; Designer unbekannt; Foto © Brazilian Modern

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Sessel aus Jacaranda und Stoff, ca. 1960; Designer unbekannt; Foto © Brazilian Modern

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„Novo Rumo“ war eine experimentierfreudiger Zusammenschluss von Architekten, deren Entwürfe oft aus Glas Holz und Metall materialisiert waren. Die „Novo Rumo“-Gruppe war eng mit dem polnischen Künstler Jorge Zalszupin verknüpft.
Zalszupin wanderte nach dem 2. Weltkrieg wie so viel Europäer nach Brasilien aus und gründete ein Designkollektiv namens L’Atelier, das aus Architekten, Ingenieuren und Handwerkern bestand.

Tisch aus Metall, Stahl und Glas, ca. 1950; Design Novo Rumo; Foto © Brazilian Modern

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Tisch aus Metall, Stahl und Glas, ca. 1950; Design Novo Rumo; Foto © Brazilian Modern

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Der Bau Brasilias war der Höhepunkt und gleichzeitig auch das Ende der Karriere vieler Modernisten Brasiliens. Nach dem Militärputsch von 1964 flüchteten einige der Schlüsselfiguren der Brasilianischen Moderne ins Exil oder wurden inhaftiert, da sie einer linksorientierten Intelligenzia zugeordnet wurden - darunter Oscar Niemeyer und Paolo Mendes da Rocha.

Detail eines Tischs aus Metall, Stahl und Glas, ca. 1950; Design Novo Rumo; Foto © Brazilian Modern

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Detail eines Tischs aus Metall, Stahl und Glas, ca. 1950; Design Novo Rumo; Foto © Brazilian Modern

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Trotz aller Einschränkungen unter der Militär-Diktatur erlebte Brasilien ein unvorhergesehenes Wirtschaftswunder, in dessen Kontext eine neue Generation von Designern entstand.
Bis heute bringt Brasilien eine erstaunliche Vielfalt an moderner Architektur und Möbeln hervor, die Europa nur zum Teil erreichen.
Den Gebrüdern Campana, und mit Ihnen dem brasilianischen Design, haben EDRA und Vitra zu internationaler Anerkennung verholfen. Jedoch finden leider - und auch dank - des starken Binnenmarktes viele brasilianische Produkte den Weg nicht bis über den Ozean und bleiben nur lokal erhältlich.

Reedition des Sofas Mole; Design Sergio Rodrigues; Foto © ClassiCon

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Reedition des Sofas Mole; Design Sergio Rodrigues; Foto © ClassiCon

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Doch einige Firmen sind auch hier vertreten und viele der Entwürfe der Meister der brasilianische Moderne werden auch heute noch produziert. Sergio Rodrigues hat wie die meisten der Designer der 50-er und 60-er Jahre in Brasilien seine eigene Produktionsfirma gegründet, mittlerweile besitzt jedoch Linbrasil die Produktionsrechte für seine Möbel, die in Europa von ClassiCon vertrieben werden.

Reedition des Sessels Diz; Design Sergio Rodrigues; Foto © ClassiCon

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Reedition des Sessels Diz; Design Sergio Rodrigues; Foto © ClassiCon

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Die Möbel von Jorge Zalszupin sind über Etel Interiors der erhältlich. Neben eigenen, neuen Entwürfen des Designteams um Etel Carmona, welche in der Tradition des hochstehenden handwerklichen Könnens der Brasilianische Moderne stehen, produziert Etel Interiores auch andere Reeditionen von Gregori Warchavchik und des Designkollektivs Branco & Preto.

Reedition des Sessels Paulista; Design Jorge Zalszupin; Foto © Etel

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Reedition des Sessels Paulista; Design Jorge Zalszupin; Foto © Etel

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Reedition des Sessels Dinamarquesa; Design Jorge Zalszupin; Foto © Etel

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Reedition des Sessels Dinamarquesa; Design Jorge Zalszupin; Foto © Etel

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Zeitlose Klassiker, deren klassische Formensprache dennoch einen Hauch Exotik transportiert und deren Verarbeitung von einer Tradition herausragenden Handwerks zeugt: Brasilianisches Design gibt auch jedem nördlichen Interieur Rasse – mit viel Klasse.

Nach dem Ende der Ausstellung „Brazilian Modern – Masters of Style“ werden die ca. 120 Ausstellungsstücke verkauft. Termin und Ort sind noch nicht bekannt.