Journalist Klaus Leuschel über die Welt der Grandhotels und darüber, dass Designspitzenleistungen auch in der Fünf-Sterne-Tradition erst dann zum Tragen kommen, wenn auch die Gastfreundschaft die entsprechende Qualität aufweist.

Baldachin über dem Riverside Eingang, The Savoy, London; courtesy of The Savoy

Das Grandhotel: The Bourgeois Dream of an Aristocratic Castle | Aktuelles

Baldachin über dem Riverside Eingang, The Savoy, London; courtesy of The Savoy

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Im Fin du siècle kulminiert das Grandhotel evolutionär in Pomp und Grandezza. Kein Wunder, waren doch Elektrizität, Eisenbahn und Ozeandampfer seinerzeit, was Personal Computer, iPad oder Smartphone heute sind. Und so wie neue Technologien noch stets große Veränderungen bewirkt haben (seinerzeit etwa auch Hygiene, Fahrstuhl usw.), so gingen – und gehen – mit ihnen zumeist auch große gesellschaftliche Umwälzungen einher. Es waren Les Nouveaux Riches, die mit Erzen, Eisenbahn oder Strom zu Geld gekommen waren und die in der temporären Bleibe ihren „Bürgertraum vom Adelsschloß“ (Richter/Zänker) lebten und träumten. Folglich war das Grandhotel architektonisch gewöhnlich ein gigantischer (= Grand) Palast (= Hotel) mit majestätischem Auftritt im Stadtraum. Des Nachts ein Lichtermeer. En détail nachzulesen bei Nikolaus Pevsner, dessen 1976 erstmals erschienene „History of Building Types“ (dt. „Funktion und Form – Die Geschichte der Bauwerke des Westens“, Rogner&Bernhard 1998) bis heute das unübertroffene Grundlagenwerk zum Bautypus Hotel bildet.

Baldachin über dem Strand Eingang, The Savoy, London

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Baldachin über dem Strand Eingang, The Savoy, London

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Wenn die Entwicklung bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bautypologisch zum Stillstand kam, dann erklärt sich das vor dem Hintergrund von I. und II. Weltkrieg, sowie der Depressionsjahre zwischen den Kriegen. Damit sollen keinesfalls jene Ausnahmen gering geschätzt werden, die es gibt. Etwa in Hall in Tirol (heute: Parkhotel; vormals Turmhotel Seeber; Architektur Lois Weizenbacher), in Crans Montana im Wallis (Bella Lui; Architektur: Arnold Itten, Rudolf Steiger) oder auf dem Monte Verità im Tessin (Architektur Emil Fahrenkamp). Aber so sehr die neue Zeit nach einem adäquaten, also technischeren, Ausdruck strebte, so sehr widerstrebte die Ästhetik des Maschinenzeitalters jener Klientel, der das Grandhotel seinen Erfolg zu verdanken hat. In all der beschriebenen Im übrigen Widersprüchlichkeit besonders gut ablesbar am Savoy, „London’s most famous hotel“. Entworfen von Thomas Edward Collcutt, eröffnete es 1889 seine Türen. Der im Jahr 1929 umgebaute Baldachin bietet kaum zufällig eine formale Analogie zum Kühlergrill eines Rolls Royce, signalisiert es doch bis heute jedem Gast: Sie haben es geschafft! Im Übrigen die einzige „Straße“ im Vereinigten Königreich, die rechtsherum befahren wird.

Lobby / Bar des Eden Roc, Miami Beach: Morris Lapidus, 1956, renoviert 1997 von Spillis Candela & Partners; Foto © Eden Roc Renaissance

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Lobby / Bar des Eden Roc, Miami Beach: Morris Lapidus, 1956, renoviert 1997 von Spillis Candela & Partners; Foto © Eden Roc Renaissance

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Lobby, Royalton Hotel, New York, 1898: neugestaltet durch Philippe Starck, 1988, renoviert 2007 von Roman & Williams; Foto Nikolas Koenig, courtesy of Morgans Hotel Group

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Lobby, Royalton Hotel, New York, 1898: neugestaltet durch Philippe Starck, 1988, renoviert 2007 von Roman & Williams; Foto Nikolas Koenig, courtesy of Morgans Hotel Group

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Die Lobby
Wer über die vergangenen 100 Jahre nach Weiterentwicklungen der Moderne fahndet, sucht in Stadtplänen nach Perlen. Sämtliche evolutionär wichtigen Hotelbauten sind denn auch, so viel vorweg, Gegenreaktionen auf die Rabbit-Boxes eines Conrad Hilton. Dessen Vorstellung, ein Gast müsse in Istanbul oder Frankfurt den Deckel der WC-Schüssel, den Schrank und das Bett immer an der selben Stelle vorfinden, rief umgehend Nachahmer auf den Plan. Die Devise der Holiday Inn, Intercontinental, IBIS, Etap etc. dabei anscheinend bis heute: Es gibt nichts, was nicht noch etwas billiger ginge.

Ganz anders in Miami Beach, wo Morris Lapidus einem Ort zu Image und Profil verhalf. Denn erst das 1954 eröffnete Fontainebleau und das nebenan zwei Jahre später fertig gestellte Eden Roc setzten Miami Beach auf die Karte der Schönen und Reichen. Das Odium des „Neo-Baroque Modernism“, oder – weit despektierlicher – „gaudy kitsch“, blieb an Lapidus’ Hotels haften, bis Charles Jencks ihn zu einem Vorläufer postmoderner Architektur erkor. Keinesfalls zu Unrecht: So wie Lapidus hatte bis zu diesem Moment niemand die Lobby in einen zeitgenössischen Laufsteg der Eitelkeiten verwandelt. Im Gegensatz zu jenem traditionell europäischen Raumprogramm des Grandhotels, das in Entsprechung zu seiner exklusiven Klientel in der Intimität der Lobby den einzig adäquaten Raumausdruck sah. Den Prototyp dazu hätte wohl Cäsar Ritz, dieser ungekrönte „König der Hoteliers“, im Carlton London verwirklicht. Als er wenige Tage vor der Eröffnung begriff, dass sein wichtigster Gast, der Prince of Wales, sich in der Lobby zu klein vorkommen könne, ließ er kurzerhand die Stufen um eine weitere erhöhen und kaschierte diesen Catwalk ... mit einem roten Teppich. Was übrigens Philippe Starck 1988 motivisch im Hotel Royalton (New York) auf seine unnachahmliche Art in Blau aufgriff. Ritz wetterte zeitlebens gegen jene „Atmosphäre von Bahnhofshallen“, welche die USA ergriffen hatte und die Jahre später in den Atrien von John Portman kulminieren sollte, in denen Gäste 40 bis 50 Stockwerke in gläsernen Liftgondeln in eine Lobby hinunterschweben wie Stars oder Sternchen in Hollywood-Schinken. Wobei im Luftraum so mancher Portman-Lobby eine Kathedrale Platz fände: Pomp als erster Eindruck und dann das Gegenteil von Grandezza in hunderten von Rabbit-Boxes; zumeist schnippisch als „Zimmer“ verkauft.

Dolder Grand Hotel, Zürich, Schweiz; Anbau fertiggestellt 2008 durch Foster + Partners; Fotos Foster + Partners

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Dolder Grand Hotel, Zürich, Schweiz; Anbau fertiggestellt 2008 durch Foster + Partners; Fotos Foster + Partners

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Die Rezeption
Apropos Hollywood: Aus wie vielen Filmen ließen sich Szenen zusammenschneiden, welche die Rezeption zeigen? Gemeinhin ein Tresen, hinter denen Schlüsselfächer verrieten, ob die Gäste aus Zimmer 606 sich im Hotel befinden und ob sie Nachrichten oder Post erhalten haben. Tempi passati. Die Magnetkarte hat längst Schlüssel, Bildschirm und E-Mail haben Fax und Telegramm abgelöst.

Der Raum
Zu den Hotelzimmern, über deren Programm mutmaßlich am intensivsten gebrütet wurde, zählen jene im SAS Royal in Kopenhagen (heute Radisson Blue). Der Architekt Arne Jacobsen tüftelte so lang am Raster, bis vier individuelle Lösungen in ein und demselben Raum möglich waren: vom klassischen Doppelbett über die getrennten bis hin zur Kopf-an-Kopf-Variante oder dem Einzelbett. Diese Flexibilität griff Jahre später übrigens Interlübke einmal auf, in der eine – von Rolf Heide gestaltete – Wunschlösung des Gastes binnen Minuten möglich war; ganz ohne Muskelkraft, sogar für das Zimmermädchen leicht zu handhaben.

Jacobsen krönte seinen Beitrag zur Hotelarchitektur mit einer Materialität und Farbigkeit, für die Harald Szeemanns Begriff vom „Gesamtkunstwerk“ insofern zutrifft, als alles tatsächlich aus einem Guss war. Seine Bedeutung ist auch daran ablesbar, dass – obwohl längst renoviert – es das einzige Hotelzimmer ist, dem ein Buchtitel gewidmet ist („Room 606“, Phaidon Press, 2003). Vergleichbar grundsätzlich durchdachte Konzeptionen bieten allenfalls Andrée Putman mit dem Morgan’s (New York) und dem Wasserturm (Köln) oder Hannes Wettstein mit dem Grand Hyatt (Berlin). Putman, weil sie den teuren New Yorker Raum optimierte, ohne dass der deshalb eng wirkt. Wettstein, weil er über den bekannten Standard hinausging und die Sanitärzelle zum Raum öffnete, wodurch Hygiene im Grand Hyatt zum Wellnesserlebnis wird – ohne das Zimmer verlassen zu müssen.

Hotel Bel Air, Los Angeles, USA: Restauration fertiggestellt 2011 durch rockwellgroup; Fotos © Hotel Bel Air (oben) und © Jimmy Cohrssen

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Hotel Bel Air, Los Angeles, USA: Restauration fertiggestellt 2011 durch rockwellgroup; Fotos © Hotel Bel Air (oben) und © Jimmy Cohrssen

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Kunst
In der Hotelbranche werden Zimmer und Suiten in einem ausgeklügelten System mit einem Durchschnittsbetrag multipliziert und fertig ist das Budget, das für Kunst kategorienabhängig zur Verfügung steht. Kein Wunder, wenn Gäste ob dem, was da zumeist zu sehen ist, Schmerzensgeld verlangen dürften. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel; etwa Andrée Putman, die im Morgans einzig eine Edition von Robert Mapplethorpes „Flowers“ aufhängen ließ. Im Berliner Grand Hyatt verfolgte Hannes Wettstein einen anderen Ansatz. Er definierte Kunst einerseits als mögliche „Störelemente“, andererseits diente sie der „Verortung“, indem die Standardzimmer beispielsweise mit fotographischen Re-Editionen aus dem ortsansässigen Bauhaus-Archiv bestückt wurden.

Summa summarum
Es ließe sich mehr Anschauungsmaterial liefern; etwa zum Corporate Design, wo das Dolder Grand in Zürich (Erik Spiekermann, United Designers) oder das über ein Jahrzehnt revitalisierte Great Eastern Hotel in London (Conran & Partners) beweisen, dass für intelligentes Design keine Grenzen bestehen. Moderne Klassiker sind weithin möglich. Sowohl beim Logo als auch beim Umgang mit Duschgel, Seife oder Bademantel etwa.

Hotel Puerta America, Madrid, Spain, fertiggestellt 2005 durch Marc Newson Ltd; Fotos Rafael Vargas

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Hotel Puerta America, Madrid, Spain, fertiggestellt 2005 durch Marc Newson Ltd; Fotos Rafael Vargas

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Dennoch kann all dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei Hotels, die über lange Zeit erfolgreich am Markt bestehen wollen, formale Qualitäten exzellenter Details nur oberflächlich oder vordergründig entscheiden. Wenn erst die Gastlichkeit (engl. = hospitality) der Schlüssel zum Erfolg ist, dann wusste auch das schon Cäsar Ritz. Im genannten Carlton Hotel belief sich der Ertrag aus dem Hotel auf 48%, jener aus der Gastronomie auf 52%. Gut, Ritz’ Koch hieß Auguste Escoffier; dennoch ein Wert, von dem Hoteliers heute nur träumen dürften und das gänzlich unabhängig davon, wie viele Sterne Hotel und / oder Gastronomie haben. Übrigens wurde die Gestaltung der Gastrobereiche hier nicht thematisiert, weil sie durchaus als eigenständig – sozusagen als Einschub – gesehen werden können. Ebensolches gilt für die nicht realisierten Projekte, die zum Teil neue Wege zu beschreiten suchen. Am eindrücklichsten auf der Davoser Schatzalp, wo das Büro Herzog & de Meuron einen Appartement-Wolkenkratzer geplant hat; zur Finanzierung der Sanierung des daneben stehenden Hotels. Leider nur haben Wolkenkratzer im Heidi-Land einer heilen Bergwelt wenig Freunde, so intelligent die Lösung auch sein mag, die nicht auf Landverbrauch aufbaut.

Es ist, wie kluge Marketingexperten wissen, wie bei einem Bouquet Blumen. Nur wenn alle ganz frisch sind, wirken Blumensträuße nicht lieblos-angewelkt. Insofern sind es die Details, die den Unterschied ausmachen: das Muster auf dem Fußboden (im Fontainebleau etwa jenes der „Bowtie“ in der Lobby), das Vordach oder auch eine Obstschale beispielsweise. Solange jedoch in Hotelfachschulen gelehrt wird, dass in eine quadratische Schale vier, in eine runde drei Äpfel gehören, haben Schalen wie etwa jene von Alvar Aalto keine Chance. Dabei wirken die per se generös. Und dürften Gäste nicht davon ausgehen: Es wird schon wieder aufgefüllt?

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Dieser Artikel erschien erstmals in: form, Ausgabe Nr. 246