Bis Ende letzten Jahres war Marc Krusin für zehn Jahre Leiter der Designabteilung bei Lissoni Associati. Nun konzentriert er sich auf die Arbeit in seinem eigenen Studio.

Bis Ende letzten Jahres war Marc Krusin für zehn Jahre Leiter der Designabteilung bei Lissoni Associati. Nun konzentriert er sich auf die Arbeit in seinem eigenen Studio. Wir trafen ihn in London während der 100%Design.

Sie sind bereits kurz nach dem Studium nach Mailand gegangen. Die Britische Möbelindustrie scheint eine starke Entwicklung in den letzten Jahren durchzumachen. Warum verliessen Sie Grossbritannien?
Marc. Nun, britisches Design hat ja nun eine lange Tradition und einen hervorragenden Ruf. Doch als ich GB verliess, konnte ich die hiesigen designorientierten Hersteller an einer Hand aufzählen und ich glaube das hat sich in den letzten Jahren geändert. Von dem was ich höre, scheinen sich einige der britischen Firmen neu zu definieren, was gut ist. Trotzdem haben die britischen Hersteller sicherlich noch nicht die Kompetenz, innovative Möbel in dem Mass an Flexibilität und Kreativität herzustellen, wie es italienische Produzenten haben.

Woher kommt diese Kompetenz der Italiener?
Ich glaube, das hat einen kulturellen Grund. Ich könnte Ihnen jetzt viele Fehler der Italiener aufzählen, aber eine ihrer grössten Fähigkeiten ist sicherlich der Umgang mit Dingen wie Möbeln, Mode, Autos usw. Und diese Fähigkeit basiert auf traditionsreichen Produktionsverhältnissen, damit meine ich Betriebe, die eng mit Designern zusammenarbeiten und Objekte zunächst in kleinen Serien produzieren, weil sie sie mögen und schön finden. Die gehen das Risiko, das damit verbunden ist, einfach ein. Dieses Konzept ist nicht in der britischen Mentalität verankert, soweit ich das beurteilen kann. Offenbar lässt man sich hier von diesen Risiken ausbremsen. Diese Zögerlichkeit erstickt jede Art von Kreativität. Das hört sich jetzt sehr böse an, aber das ist, was ich beobachte.

WA Bürosystem von Piero Lissoni und Marc Krusin für Knoll

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WA Bürosystem von Piero Lissoni und Marc Krusin für Knoll

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Sie arbeiteten bei Lissoni Associati bis Dezember 2008 und wurden recht schnell der Leiter der Designabteilung. Was meinen Sie, hat Sie besonders zu einer solchen Verantwortng befähigt?
Oh, das ist eine schwierige Frage für mich. Vielleicht war es meine Fähigkeit, ein Team zusammenzustellen, das motiviert und enthusiastisch bei der Sache ist. Ausserdem haben Piero und ich ein sehr ähnliches Verständnis von gutem Design. Das ist für eine solche Position natürlich fundamental.
Deshalb arbeiten wir auch jetzt noch zusammen, wie z.B. für Knoll.

Welche Bürosituation war der Ausgangspunkt für die Gestaltung des WA?
Natürlich haben wir eine Vorstellung, wie ein Büro sein sollte, wie Menschen dort arbeiten sollten und was ihre Bedürfnisse sind. Dieses Konzept wurde kombiniert mit Knolls Marktanforderungen für ein Bürosystem.
Mit dem WA haben wir stark Probleme mit einbezogen, die durch die tägliche Arbeit am Schreibtisch und Computer hervorgerufen werden, z.B. Verspannungen und Schmerzen, die durch das Benutzen der Maus entstehen – in diesem Fall entstand so das "arm-rest-mouse-pad".
Ich persönlich glaube, das Teilzeit- und Freelance-Arbeit eine gute Sache ist, denn es erlaubt den Mitarbeitern eigene Zeit- und Arbeitseinteilung. Man kann sich so eigenständig auf bestimmte Aufgaben konzentrieren und verschwendet keine Zeit im Büro, obwohl vielleicht gar nichts zu tun ist. Diese Arbeitsweise kann die Lebensqualität verbessern und dem Arbeiter mehr Freizeit für sich und seine Familie schaffen.
Glücklicherweise arbeiten immer mehr Menschen in Teilzeit oder Freelance und benötigen dadurch eher temporäre Arbeitsplätze in einer neuartigen Bürostruktur. Diese Entwicklung haben wir im WA beispielsweise in der Gestaltung der persönlichen Umgebung innerhalb eines temporären Arbeitsplatzes berücksichtigt – z.B. ein modulares, abschliessbares Stauraumsystem.
Ein anderer Gesichtspunkt war natürlich Re-use. Das gesamte WA kann einfach auseinander- und in anderer Form wieder zusammengesetzt werden und passt sich so der Grösse der Firma an. Ausserdem ist es vollkommen umzugstauglich.

Rezeption und Lobby des Traversi Gebäudes, Mailand, gestaltet von Marc Krusin

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Rezeption und Lobby des Traversi Gebäudes, Mailand, gestaltet von Marc Krusin

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Was ist Ihre ganz persönliche Vision des Büros der Zukunft?
Heutzutage leisten viele Menschen harte Arbeit, um einige wenige zu bereichern. Meine Vision ist eine Struktur, in der der Leistungsbeitrag eines jeden berücksichtigt wird und alle Beteiligten ermutigt werden – auch die, die das Schlusslicht bilden – sich weiter zu entwickeln. Es muss ein höheres Engagement für eine bessere Lebensqualität für alle von uns geben, und es muss mehr in Innovation und Empfindungsvermögen investiert werden und weniger in das blosse Geldmachen. Meine Vision des Büros der Zukunft spiegelt genau das wieder.

Bis jetzt haben Sie vor allem für die Massenproduktion entworfen. Gibt es auch den Wunsch kleinere Serien zu entwerfen?
Das Bewahren lokaler Handwerksbetriebe finde ich enorm wichtig. Es ist schön, wenn Länder Ihre handwerklichen Fähigkeiten für eine spezifische Art von Produkten pflegen. Das ist in wunderschönes Konzept.
Limitierte Auflagen wie wir sie in letzter Zeit kennen dienen meistens dem Experiment. Das ist sicher ein wichtiger Teil der Designwelt, aber es ist nicht mein Teil. Ich kann es mir vorstellen Kleinserien für eine bestimmte Architektur zu gestalten. Ein Gebäude und mit seinem gesamten Interieur entwerfen – also Möbel, speziell für dieses Gebäude – das wäre eine fantastische Aufgabe.

Rugs Tiptop, Lines für Gandia Blasco, von Marc Krusin

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Rugs Tiptop, Lines für Gandia Blasco, von Marc Krusin

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Der Dialog zwischen der Architektur und dem Design scheint bei Ihrer Arbeit eine entscheiden Rolle zu spielen. Ist das das Ergebnis jahrelanger Zusammenarbeit mit einem Architekten?
Sicher. Piero ist selbst Architekt und er hat mir diese Sichtweise vermittelt. Ein fundamentaler Unterschied zwischen Design und Architektur ist, dass Design meistens in Massen produziert wird. Das heisst man gestaltet einen Stuhl, der in die unterschiedlichsten Umgebungen passen muss. Auf den meisten Designschulen wird dir beigebracht, ein Objekt zu gestalten und häufig wird vergessen den Raum, in dem sich das Objekt befinden soll, mit einzubeziehen. Viele Designer haben aber noch nie einen Raum gestaltet und Möbel für einen Raum ausgesucht. Sie werden dann nur schwer verstehen, nach welchen Gesichtspunkten ein Architekt einen Stuhl oder Tisch aussucht. Ich glaube einfach, dass Designer dadurch häufig in ihren Fähigkeiten limitiert sind.

Tutube, Kriskros von Marc Krusin für Glasitalia,

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Tutube, Kriskros von Marc Krusin für Glasitalia,

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Als Designer schafft man Konsumgüter und hat somit ein gewisses Mass an Einfluss auf die ökologischen Aspekte eines Produkts. Wie weit geht dieser Einfluss Ihres Erachtens?
Nun, der Designer ist natürlich nur ein Teil einer ganzen Reihe von Verantwortlichen. Im Guten wie im Bösen. Vieles hängt vom Engagement des Herstellers ab. Klar, du kannst versuchen rezyklierbare Materialien vorzuschlagen, es gibt ein paar Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, aber immer nur bis zu einem bestimmten Punkt. Mit Knoll haben wir sehr viel Arbeit in Nachhaltigkeit investiert. Wir hatten viele Experten und Berater hinzugezogen....Ich weiss nicht ob sie das wussten, ich muss zugeben ich wusste es nicht: Alles Stahl ist 100%rezykliert oder 100%rezyklierfähig. Das ist schon faszinierend.

Okay, aber nur unter enormen Energieaufwand.
Genau. Und da sind wir schon beim Thema. An diesem Punkt fängt die Rechnung an, komplex zu werden. Es sind ein Haufen von Aspekten, die man berücksichtigen muss. Transport, Packaging. Die Leute haben Meinungen zu dem Thema, aber es gibt keinen Standard. Einer sagt dir Verchromen ist das umweltschädlichste, was es gibt, ein anderer könnte dir sagen, dass es das Material dafür haltbarer macht und somit nachhaltig ist. Es hängt immer davon ab, mit wem du sprichst.
Wahrscheinlich ist es eher eine gesellschaftliche Diskussion, als eine Debatte über Design, denn mehr Nachhaltigkeit bedeutet vor allem Konsumreduzierung.

Spirituelle Oase in Deir Mar Musa, Syrien, von Marc Krusin

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Spirituelle Oase in Deir Mar Musa, Syrien, von Marc Krusin

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Sie arbeiten an einem Konzept für ein spirituelles Zentrum in Syrien.
Ja, meine Frau und ich sind sehr spirituell orientiert, das ist ein wichtiger Teil unseres Lebens. Dieser Ort des Rückzugs, den wir in Syrien planen ist nah eines christlichen Klosters in einem Gebiet, in dem überwiegend Muslime leben. Die beiden Religionen leben dort sehr harmonisch miteinander. Wir haben die Idee ein Zentrum zu bauen, in dem jede Gruppe Ihre Religion ausleben kann, man jedoch voneinander lernen und einander verstehen kann.
Das Gebäue fügt sich in die Umgebung ein, d.h. es hat so wenig wie möglich Auswirkung auf das ökolgische System. Es werden lokale Materialen und ein ökolgisches Energiekonzept angewendet. Es ist eine fantastische Arbeit und ich würde mich gern auf die Architektur solcher Zentren konzentrieren, weil ich glaube, dass wir sie nötig haben.

Vielen Dank für dieses Gespräch.