Die japanische Lackkunst kennt die besondere Technik des "Urushi", die durch viele Schichten hauchdünnen semitransparenten Lackes ein Oberfläche von geradezu mystischem Glanz und sinnlicher Tiefe erzeugt.

Stone Implement Bowl von Takeshi Igawa, Polyurethanschaum mit Urushi, Ishikawa International Urushi Exhibition

Urushi - japanische Lackkunst im modernen Design | Aktuelles

Stone Implement Bowl von Takeshi Igawa, Polyurethanschaum mit Urushi, Ishikawa International Urushi Exhibition

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Urushi bezeichnet sowohl den Lack wie auch das Handwerk der japanischen Lackkunst, die eine jahrtausendealte Tradition besitzt. Der besondere Glanz und die optische Tiefe dieser Lackoberflächen übt eine Faszination aus, die Gestalter modernen Designs inspirierte, diese Technik anzuwenden. Dabei stellen sich verschiedene Herausforderungen, denn nur wenige Künstler ausserhalb Japans beherrschen diese Technik.

Dreibeiniger Hocker, Aldo Bakker 2006; Grösse 340 x 330 x 320 mm; Material: Eisblaues Urushi; Urushi Künstler: Mariko Nishide; Urushi Hersteller: Takuo Matsuzawa, Joboji Urushi Sangyo; Foto: Erik en Petra Hesmerg

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Dreibeiniger Hocker, Aldo Bakker 2006; Grösse 340 x 330 x 320 mm; Material: Eisblaues Urushi; Urushi Künstler: Mariko Nishide; Urushi Hersteller: Takuo Matsuzawa, Joboji Urushi Sangyo; Foto: Erik en Petra Hesmerg

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Der Rohstoff für Urushi wird aus dem Saft des in Südostasien heimischen Lackbaumes gewonnen.
Dabei wird der Baum angeritzt und der aussickernde Pflanzensaft in einem Behälter aufgefangen.
Ein mehrmalige Filtration durch mehrere Schichten speziellen Papiers ergibt einen klaren, hellen bis dunklen bernsteinfarbenen Lack, dessen überschüssiges Wasser durch Verdunstung entfernt wird. Bis heute wird Urushi in Holzfässern gelagert und mit einem Pergament verschlossen. Für den Export ist Urushi auch in Tuben erhältlich.

Dose mit Deckel von Manfred Schmid aus mattem Urushi Lack, Durchmesser 18 cm

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Dose mit Deckel von Manfred Schmid aus mattem Urushi Lack, Durchmesser 18 cm

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Dose mit Deckel aus Silber von Manfred Schmid, Durchmesser 15 cm

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Dose mit Deckel aus Silber von Manfred Schmid, Durchmesser 15 cm

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Urushi lässt sich auf eine Vielzahl von Trägermaterialien auftragen. Der Lack zieht weder stark ein noch trocknet er einfach ab durch die Verdunstung eines Lösungsmittels. Idealerweise bindet Urushi bei einer hohen Luftfeuchtigkeit von 75 bis 80 Prozent und einer Temperatur von 24 Grad ab. Unter diesen Bedingung setzt die Polymerisation des Urushis ein, das bedeutet grob gesagt, dass ein Molekülnetz gebildet wird, welches die Oberfläche umschliesst.
Synthetische Polymere sind in der Regel Kunststoffe - Urushi ist hinsichtlich der Resistenz gegen Hitze, Wasser, Alkohol, Säuren, Laugen und Lösungsmitteln, seiner Hitzebeständigkeit bis 280 Grad sowie seiner Elastizität und mechanischen Belastbarkeit den meisten synthetischen Polymeren überlegen.

Rote Lackdose aus Urushi von Kuroda Tatsuaki (1904–1982)

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Rote Lackdose aus Urushi von Kuroda Tatsuaki (1904–1982)

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Aufgetragen wird Urushi traditionellerweise mit einem Frauenhaarpinsel. Dieser ähnelt vom Prinzip her einem flachen Holz-Bleistift: Das lange Haar asiatischer Frauen wird zwischen zwei flachen Hölzern eingeklemmt und der Pinsel kann begradigt werden, indem ein Teil des Holzes abgeschnitzt und das Haar gekürzt wird. Die Verwendung von Frauenhaar hat im Übrigen einen ganz pragmatischen Hintergrund:
Das asiatische Haar ist glatt und besitzt eine besondere Struktur - japanische Männer tragen ihr Haar zumeist kurz, daher eignet sich Frauenhaar am besten.

Rote Lackdose aus Urushi von Kuroda Tatsuaki (1904–1982)

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Rote Lackdose aus Urushi von Kuroda Tatsuaki (1904–1982)

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Die Anfänge der asiatischen Lackkunst reichen bis in die vorchristliche Zeit zurück, wo Urushi als ästhetisches Ausdrucksmittel aber auch ganz pragmatisch als Konservierungsstoff verwendet wurde.
Im 6. Jahrhundert wanderten buddhistische Mönche über Korea nach Japan ein. Sie gaben der japanischen Lackkunst neue Impulse und perfektionieren die Urushi Kunst in technischer und künstlerischer Sicht.
Typisch für die japanische Lackkunst wurden unter anderem Streubilder, die ihren künstlerischen Höhepunkt im 9. Jahrhundert nach Christus erreichten. Bei dieser Kunstform wird Gold- oder Silberpulver durch ein Röhrchen in den noch feuchten, zumeist schwarzen Lackgrund eingestreut.
Diese Technik wird bis heute angewendet.
Die natürliche Farbe lässt sich durch verschiedene Pigmentierungen verändern, wobei die rote Pigmentierung durch Zinnober und Eisenoxyd und die schwarze Pigmentierung durch Lampenschwarz oder Eisenpulver die Farben des traditionellen Urushis bilden.

Babybadewanne von Yohko Toda aus rotem Urushi, Ishikawa International Urushi Exhibition

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Babybadewanne von Yohko Toda aus rotem Urushi, Ishikawa International Urushi Exhibition

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Die Ausbildung zum Urushi Meister ist in Japan nur Einheimischen oder zumindest japanisch sprechenden Personen vorbehalten. Frauen werden in der Regel nicht als Urushi Künstler ausgebildet.
Um Urushi Meister zu werden, bedarf es einer mehrjährigen Ausbildung. Die Produkte, die aus Urushi entstehen, ihr Erscheinungsbild und ihre Qualität sowie der Arbeitsprozess und die Arbeitsteilung sind beim traditionellen Urushi streng definiert. All diese Faktoren bewahrte die Ursprünglichkeit dieses Traditionshandwerks. Urushi ist vollkommen, ein luxuriöses Kunstwerk, dessen Gestalt Reinheit besitzen soll. Auf der anderen Seite hemmten diese strengen Definitionen auch die Weiterentwicklung dieses Kunsthandwerkes, das wie fast alle Handwerke damit kämpft, sich in der heutigen Zeit zu behaupten. Um die Urushi Kunst es am Leben zu erhalten, hat sich die Gilde der Urushi Meister in der japanischen Provinz Ishikawa geöffnet, und lässt nun neue Wege und Produkte zu, sowie den Austausch mit Künstlern anderer Länder.
Im Zuge dessen wurde 1989 Ishikawa International Urushi Exhibition ins Leben gerufen. Die letzte und achte Edition der Ausstellung fand 2009 mit dem Thema “The New Realm of Urushi Ware” statt.
Unter den ausgewählten Exponaten befanden sich 82 Werke aus 11 Nationen, welche die neuen gestalterischen Entwicklungen und künstlerischen Möglichkeiten dieses Materials zeigen.

Fuki-Urushi Badewanne von Salome Lippuner

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Fuki-Urushi Badewanne von Salome Lippuner

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Kenji Ekuan, Juror des Preises der Ishikawa international Urushi Exhibition formulierte die derzeitige Situation so:
"Japanese people have had trouble in considering elegant and noblelady-like Urushi ware as products perhaps because they have worked hard to manufacture industrial products and sell them to foreign countries for many years since the end of World War II. I wonder if they have pursued the so-called virginity in Urushi ware among numerous other arts and crafts items. It is true that Urushi ware producing regions will be declining unless they make Urushi products which the consumers would like to buy."

Fuki Urushi Table von Frederic Dedelley und Salome Lippuner

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Fuki Urushi Table von Frederic Dedelley und Salome Lippuner

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Wie versatil Urushi ist, zeigt sich an preisgekrönten Objekten des Design Wettbewerbs der Ishikawa International Urushi Exhibition:
Den ersten Preis des gewann Takeshi Igawa mit einer Schale aus Polyurethan Hartschaum, die mit Urushi beschichtet wurde. Die Stone Implemented Bowl entwarf der Japaner bereits 2007, ein Jahr bevor er an der Kyoto City University of Fine Arts diplomierte. Ein weiteres seiner Kunstwerke, die Leaf Figures, die 2005 entstanden sind, zeigt die traditionelle Technik des Kanshitsu in Kombination mit Urushi. Kanshitsu eine sehr alte Technik zur Herstellung von steifen Körpern aus Textil, aus der sogar Samurai Rüstungen gefertigt wurden. Eine Trägerskulptur wird mit Lack eingestrichenem Leinen (Mabu) mehrlagig belegt und mit Reisleim verklebt. Zum Schluss zieht man die harte Trägerskulptur heraus und zurück bleibt die lebendige und leichte Hülle, deren Form durch den Lack und Leim fixiert wurde und dessen glänzendes Finish durch einen Überzug mit Urushi Lack erzeugt wird.

RELIGIO - RE-BOUND TO THE SOURCE, Kanshitsu Behältnisse von Manfred Schmid

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RELIGIO - RE-BOUND TO THE SOURCE, Kanshitsu Behältnisse von Manfred Schmid

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Der deutsche Urushi Künstler Manfred Schmid gewann mit RELIGIO - RE-BOUND TO THE SOURCE ebenfalls einen Designpreis in Ishikawa.
Auch er arbeitete mit der Textilverklebungstechnik Kanshitsu. Er wendete jedoch seine eigenen Gestaltungsprinzipien an, die losgelöst sind von der des traditionellen Kanshitsu. Die aus Styropor grob zurechtgesägte Form wird mit Ton fertigmodelliert, jedoch nimmt er bewusst eine Unebenmässigkeit der Oberfläche in Kauf. Nach dem Bekleben wird Religio nicht mit glänzendem Lack veredelt, sondern innen sowie an den Rändern mit Sabi (einer Mischung aus gebrannter japanischer Tonerde und Urushi) weiterbearbeitet. Dadurch behalten die Objekte die Ästhetik eines Rohlings und wirken archaischer als eine perfektionierte Oberfläche.

Cupnoodle urushi von Nendo

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Cupnoodle urushi von Nendo

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Cupnoodle urushi von Nendo

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Cupnoodle urushi von Nendo

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Salome Lippuner aus dem Schweizer Jura entdeckte Urushi für sich als Schmuckgestalterin.
Auf einer Reise nach Japan besuchte sie in der Präfektur Ishikawa den Ort Wajima, auch Urushi no Sato, Heimatstadt des Lacks genannt. Nachdem sie ihre Arbeiten, die sie in selbst entwickelter Technik angefertigt hatte, vorzeigte, etablierte sich ein geistiger Austausch und Salome Lippuner wurde zur Schülerin, jedoch auch zur strategischen Beraterin, die neue Wege für die Entwicklung dieses Handwerks aufzeigte. Salome Lippuner wird international als Urushi Expertin geschätzt und von Designern und Architektin in die Entwicklung und Planung mit einbezogen, denn die Qualitäten des Urushi Lackes eignen sich auch zur Veredelung von Möbeln und Architekturoberflächen. Mit dem Produktdesigner Frederic Dedelley realisierte sie den "Fuki-Urushi Table" aus Pinienholz. Fuki-Urushi ist eine Lacktechnik, welche die Schönheit der Holzstruktur unterstreicht und die Maserung hervorhebt. Der Rohlack wird dabei auf die Holzoberfläche aufgetragen. Überschüssiger Lack wird mit einem Papiertuch abgenommen. Nach dem Trocknen wird dieser Vorgang circa 15 Mal wiederholt. Dies ergibt eine tiefschwarze Oberfläche, deren Maserung durch den schimmernden Glanz des Lacks hervorgehoben wird.

Side table Urushi Series von Aldo Bakker, 2008, Material: pinkes Urushi, Grösse 800 x 550 x 340 mm, Urushi Künstler: Mariko Nishide, Foto: Erik and Petra Hesmerg

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Side table Urushi Series von Aldo Bakker, 2008, Material: pinkes Urushi, Grösse 800 x 550 x 340 mm, Urushi Künstler: Mariko Nishide, Foto: Erik and Petra Hesmerg

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Aldo Bakker sieht seine Urushi Objekte als Brücke zwischen traditionellem Handwerk und industrieller Fertigungstechnik an. Auch wenn das Meisterhandwerk und digitale Präzisionstechnik gegensätzlicher nicht sein könnten, so streben sie doch beide die Perfektion eines Objektes an. Die Kombination höchster manueller Kunstfertigkeit und computergesteuerter Produktionsmethoden erzeugt eine Ästhetik der Vollkommenheit.
Der Kern aus steifem PU Schaum gibt die Form des Objektes vor, die Bakkers als totes Trägermaterial betrachtet, das durch die 60 Schichten Urushi Lack zum Leben erweckt wird und durch diesen Veredelungsprozess sogar einen immerwährenden Charakter erhält:
"The ‘Urushi Series’ is primarily about sustainability. My vision of sustainability is mainly directed at influencing behavior. My products represent a peaceful, silent protest against the way that consumer society has increasingly become only about the material. My answer is an effort to create products that are endlessly enduring and that point towards ‘eternal life.’ Conservation versus consumerism."

Le lac, Aldo Bakker 2007, Grösse: 1770 x 1410 x 120 mm, Material: ozeangrünes Urushi, Urushi Künstler: Mariko Nishide; Foto: Erik and Petra Hesmerg

Urushi - japanische Lackkunst im modernen Design | Aktuelles

Le lac, Aldo Bakker 2007, Grösse: 1770 x 1410 x 120 mm, Material: ozeangrünes Urushi, Urushi Künstler: Mariko Nishide; Foto: Erik and Petra Hesmerg

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Nendo stellte die Hochwertigkeit des Urushi dem Wegwerf-Prinzip von Pappbechern für Nudelsuppe entgegen. Ihr "cupnoodle urushi” entstand für das Cupnoodles
Museum in Yokohama, Japan. Nendo beauftragte Urushi-Künstler das Urushi direkt auf die Einweg-Becher aufzutragen. Dadurch wird der Wert der Wegwerf-Verpackung neu definiert: sie wird einem Veredelungsprozess unterzogen, der sie zum Tafelgeschirr macht.

'Urushi musical interface', von Yuri Suzuki, ein Touchpanel Instrument basierend auf dem Leiterplatten-Prinzip aus Goldintarsien

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'Urushi musical interface', von Yuri Suzuki, ein Touchpanel Instrument basierend auf dem Leiterplatten-Prinzip aus Goldintarsien

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'Urushi musical interface', von Yuri Suzuki, ein Touchpanel Instrument basierend auf dem Leiterplatten-Prinzip aus Goldintarsien

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'Urushi musical interface', von Yuri Suzuki, ein Touchpanel Instrument basierend auf dem Leiterplatten-Prinzip aus Goldintarsien

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Die Brücke zwischen alt und neu führt in beide Richtungen:
Die Langlebigkeit und die konservierenden Eigenschaften des Urushi sowie die mit dem Urushi Handwerk verbundenen traditionellen Arbeitstugenden wie bewusster Umgang mit Material, aufwändige und qualitativ hochwertige Verarbeitung und handwerklicher Ethos sind angesichts der Nachhaltigkeitsdiskussion ein hochaktuelles Thema. Andererseits wird durch die Kombination mit neuen Materialien und modernen Formensprachen ein altes Handwerk zum Leben erweckt.

Unter dem Jahrtausende alten Lack des Urushi wird somit auch ein Teil unseres heutigen Designs die Brücke in die Zukunft schlagen.